- Politik
- Sozialer Widerstand
Eine spät-neoliberale Offensive
Während sich in den USA Widerstand gegen den Trump-Autoritarismus formiert, lässt in Deutschland eine gesellschaftliche Mobilisierung auf sich warten
Politisch bleibt die Dynamik in den USA weiter hoch. Der Widerstand formiert sich endlich. Erst die fulminante Tour gegen die »Oligarchen« von Bernie Sanders und Alexandria Ocasio-Cortez, dann die massenhaften Demonstrationen unter dem Slogan »No Kings«. Und schließlich der Sieg des linken Kandidaten Zohran Mamdani bei den Vorwahlen der Demokratischen Partei in New York, verbunden mit einem stetigen Absinken der Umfragen für Trump.
Parallel werden die willkürlichen Verhaftungen von Migrant*innen durch das US Immigration and Customs Enforcement (ICE; Einwanderungs- und Zollbehörde) forciert, während diese Eingreiftruppe zu einem Repressionsapparat von Donald Trumps Make-America-Great-Again-Bewegung ausgebaut wird. Er soll dann auch für andere innere Feinde nutzbar sein. Schließlich der Eintritt in den Krieg gegen den Iran, der eine Debatte über Trumps vermeintliche Friedfertigkeit im Vergleich zum demokratischen Establishment beendet haben dürfte. Und vieles mehr. Also eine hohe Dynamik, die zugleich eine mobilisierende Zuspitzung mit sich bringt.
In der Bundesrepublik kommt die spät-neoliberale Offensive von Friedrich Merz währenddessen lediglich schaumgebremst durch die SPD daher. Angriffe auf die Arbeitszeit, verbal auch auf die Rente, für generelle Ausweitung von Arbeit überall, die Sanktionierung der Bürgergeld-Empfänger*innen, die läppische Erhöhung des Mindestlohns, der damit unterhalb der rechtlichen Vorgaben der EU bleibt, die widerrechtlichen Abweisungen von Geflüchteten an den Grenzen und die Aussetzung des Familiennachzugs, verbunden mit den Milliarden für Rüstung und Steuerentlastungen für Unternehmen, weshalb dann leider kein Geld mehr für die Entlastung der Bürger*innen bleibt – man kann sich da schon fragen, was von der Sozialdemokratie eigentlich inhaltlich noch übrig bleibt, wenn das so weiter geht. In der Gesamtschau geht es um substanzielle Rechtsverschiebungen. Zugleich werden diese aber entdramatisiert und normalisiert.
Dieses Vorgehen lässt kaum eine politische Zuspitzung zu. Auch weil wichtige Akteure wie die Gewerkschaften nach wie vor über eine Rüstungskonversion falsch herum und durch Milliarden für Infrastrukturinvestitionen eingebunden bleiben und keinen harten Dissens zur Regierung formulieren. Gleichzeitig sind Bewegungen in großen Teilen demobilisiert, finden jenseits ihrer jeweiligen Themen keinen gemeinsamen Nenner oder haben sogar große Differenzen in Sachen Umgang mit Außenpolitik, Aufrüstung und Kürzungspolitik.
Die schwarz-rote Bundesregierung vollzieht substanzielle Rechtsverschiebungen, die sie zugleich entdramatisiert und normalisiert.
Die Zuspitzung wird erst wieder stattfinden, wenn die Krise des Exportmodells mit Steuergeschenken und Investitionen in Rüstung und physische Infrastrukturen nur noch schwer zu bewältigen ist, wenn die Entwicklung von Löhnen, Preisen und Mieten das Leben zunehmend erschwert und die AfD in den Umfragen wieder zulegt – nicht zuletzt bei den Wahlen in Sachsen-Anhalt im nächsten Jahr oder, unter anderen Vorzeichen, bei den Wahlen in Berlin. Bis dahin wird es politisch eher weiterdümpeln, sofern nicht politische Ereignisse oder Krisen wieder alles durcheinanderwirbeln.
In dieser Situation ist es enorm wichtig, dass Die Linke zurück ist und sich stabilisiert, ja neue Attraktivität ausstrahlt. Eine gesellschaftliche Mobilisierung ist aber nicht erkennbar. Mobilisierungen, wie sie derzeit das Kampagnennetzwerk Campact zur »Verteidigung der Demokratie« versucht, dürften eher nicht funktionieren. Mühsamer Machtaufbau von unten ist gefragt, bis wieder Bewegung ins politische Spiel kommt.
Auf sie kann man nicht warten. Es gilt, auf sie hinzuarbeiten, sie vorzubereiten, Bedingungen zu schaffen für ein Momentum. Etwa für einen inklusiven klassen- und konfliktorientierten »sozialen Antifaschismus« und neue Allianzen. Denn die Eskalationsdynamik ist im Verhältnis von blockierter Transformation und in Schüben stattfindender Faschisierung in Deutschland angelegt.
Mario Candeias, Jahrgang 1969, ist Politikwissenschaftler. Er arbeitet bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung unter anderem zu Tendenzen der Faschisierung. Jüngst erschien sein Buch »Monster verstehen. Eine Chronik des Interregnums« im Argument-Verlag.
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