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Bekenntnis zu Israel entzweit Koalition in Brandenburg
SPD verlangt bei Einbürgerung Anerkennung des Existenzrechts und verärgert mit dem Alleingang das BSW
Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) zeigt sich verärgert und irritiert. Brandenburgs Innenminister René Wilke (für SPD) sei noch neu im Amt, sagt BSW-Landtagsfraktionschef Niels-Olaf Lüders am Dienstag. »Es scheint, als müssten die Gepflogenheiten der Koalitionsarbeit erst noch vollständig vermittelt werden.«
In der vergangenen Woche hatte Minister Wilke im Landtag verraten, dass es in Brandenburg bereits seit Juni eine neue Bedingung für Einbürgerungen gebe. Menschen, die den deutschen Pass erhalten wollen, müssen sich demnach nun zum Existenzrecht Israels bekennen.
»Selbstverständlich stellt niemand von uns das Existenzrecht Israels infrage«, versichert Niels-Olaf Lüders. »Dennoch empfinden wir dieses Vorgehen in doppelter Hinsicht als instinktlos. Zum einen, weil eine solche Regelung gerade in der gegenwärtigen Situation, also vor dem Hintergrund des durch die derzeitige rechtsradikale Regierung Israels begangenen Völkermords in Gaza, eingeführt wurde. Und zum anderen, weil es außerordentlich befremdlich ist, dass dieser Schritt trotz der erkennbaren politischen Bedeutung weder mit uns abgestimmt noch uns vorher angekündigt wurde.« Lüders findet: »In einer Koalition sollte so etwas nicht vorkommen.« Die BSW-Landesvorsitzende Friederike Benda werde »diesen Vorfall zum Anlass nehmen, einen Koalitionsausschuss zu beantragen, der nach der Sommerpause zusammentreten soll«.
»Brandenburg hat den Mut gehabt, diesen Schritt zu gehen. Und ich stehe voll und ganz dahinter.«
Andreas Büttner Antisemitismusbeauftragter
Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) erklärte bereits am Montag, dass es beim Bekenntnis zum Existenzrecht Israels angesichts der besonderen historischen Verantwortung Deutschlands keine Abstriche geben werde. Die Nachrichtenagentur dpa zitierte Woidke mit den Worten: »Es ist ganz einfach: Das Existenzrecht des Staates Israel ist für uns nicht verhandelbar. Wer der Meinung ist, dass der Staat Israel in seinen völkerrechtlich anerkannten Grenzen von 1948 nicht existieren darf, der kann in Deutschland nicht eingebürgert werden.« Das Land Brandenburg folge damit einer Bestimmung des im Juni 2024 reformierten Staatsangehörigkeitsgesetzes.
Innenminister Wilke hatte sich bereits in der vergangenen Woche darauf berufen, dass die neue Bedingung für eine Einbürgerung in Absprache mit dem Ministerpräsidenten eingeführt worden sei. Wilke betonte, dies bedeute aber nicht, dass man mit allen Entscheidungen der israelischen Regierung einverstanden sein müsse. »Es ist nicht das Bekenntnis, dass alles, was irgendein Regierungschef in Israel jemals tat und tun wird, ebenfalls Solidarität und Einverständnis bekommt.«
Bei einem BSW-Landesparteitag am 12. Juli in den Neuen Kammerspielen Kleinmachnow bezeichnete die Landesvorsitzende Benda den israelischen Regierungschef Benjamin Netanjahu als »Kriegsverbrecher«. Die jetzt bekannt gewordene Bedingung für Einbürgerungen in Brandenburg bezeichnet Benda als »Weg in den Gesinnungsstaat«.
Das wiederum bezeichnet CDU-Landtagsfraktionschef Jan Redmann als diffamierend. »Das BSW stellt damit das bislang unumstrittene Diktum von Israels Sicherheit als deutsche Staatsräson infrage«, urteilt Redmann. Diese Haltung habe sich bereits am vergangenen Donnerstag gezeigt, als sich im Landtag erstmals keine Mehrheit für die Solidarität mit Israel gefunden habe. Dabei sei die Entscheidung von Innenminister Wilke richtig. Es gehe hier auch um eine klare Haltung gegen islamistische Ideologien. Redmann meint, die Koalition müsse ihre Haltung zu Israel dringend klären.
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Nach einem Anfang Juli vorgelegten Bericht der Fachstelle Antisemitismus lassen sich von insgesamt 484 antisemitischen Vorfällen des vergangenen Jahres in Brandenburg 213 Verfälle dem Rechtsextremismus zuordnen. Nur 18 Vorfälle lassen sich auf Islamismus zurückführen. Linksradikale Motive spielten in sechs Fällen eine Rolle.
Derweil hat sich Brandenburgs Antisemitismusbeauftragter Andreas Büttner seine Gedanken zum Existenzrecht Israels gemacht. »Ich habe oft darüber nachgedacht, was es eigentlich bedeutet, Deutscher zu sein. Was dieses Land ausmacht. Was wir sein wollen – und was wir nie wieder sein dürfen«, notierte Büttner. »Jetzt hat Brandenburg entschieden, dass bei Einbürgerungen künftig die Anerkennung des Existenzrechts Israels verpflichtend sein soll. Für manche ist das eine Randnotiz. Für mich ist es eine Gewissensfrage.« Denn Israel sei nicht irgendein Staat, sondern das Rückgrat der jüdischen Weltgemeinschaft, schrieb Büttner. »Es ist das Zuhause derer, die nach der Shoah keinen sicheren Ort mehr hatten. Es ist das Versprechen, dass es nach Auschwitz nie wieder ein schutzloses Judentum geben wird. Israel ist ein Ort der Hoffnung – in einer Welt, die Juden immer wieder zur Zielscheibe gemacht hat.«
Dieses Existenzrecht werde heute nicht nur von Fanatikern in der iranischen Hauptstadt Teheran infrage gestellt, »sondern auch auf deutschen Schulhöfen, in Kommentarspalten, bei Demonstrationen mitten in Berlin«. Wer Israel das Existenzrecht abspreche, spreche Juden das Recht auf Sicherheit ab, argumentiert Büttner. »Wer das tut, kann nicht Teil dieser Gesellschaft werden.« Die Einbürgerung sei kein reiner Verwaltungsakt, sie sei auch ein Bekenntnis. Zu diesem Bekenntnis gehöre: »Ich erkenne an, dass aus deutscher Geschichte Verantwortung erwächst. Und dass diese Verantwortung nicht irgendwann endet, weil es bequemer wäre.«
Büttner gesteht: »Ich kenne die Zweifel. Ich kenne die Einwände. Aber ich kenne auch die Gesichter der Überlebenden, denen ich die Hand gereicht habe. Ich kenne ihre Blicke. Ich habe ihre Erzählungen gehört – und das Schweigen zwischen den Sätzen. Ich habe in ihren Stimmen die unaussprechliche Angst gespürt, dass alles wieder zurückkehren könnte.« Deshalb sei es nicht zu viel verlangt von jemandem, der deutscher Staatsbürger werden wolle, das Existenzrecht Israels anzuerkennen. Es sei das Mindeste. »Brandenburg hat den Mut gehabt, diesen Schritt zu gehen. Und ich stehe voll und ganz dahinter.« Es zeige den Juden, die in Brandenburg leben: »Dieses Land schützt euch. Dieses Land meint es ernst.«
Büttner wünscht sich, dass dieser Schritt bundesweit Schule macht. Berlins Regierender Bürgermeister Kei Wegner (CDU) hat bereits erklärt, dass er das für überlegenswert hält.
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