- Kommentare
- Keine Regenbogenflagge auf dem Bundestag
CSD in Berlin: Warum Klöckners Argumentation queerfeindlich ist
Anton Benz blickt auf die Debatte um die Regenbogenflagge auf dem Reichstag zurück
Wenn am Samstag zum Christopher Street Day (CSD) wieder Hunderttausende für queere Rechte durch Berlin ziehen, weht über dem Reichstagsgebäude keine Regenbogenflagge. Diese werde ja bereits am »Tag gegen Homophobie«, dem 17. Mai, gehisst, so die Argumentation von Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU). Bei genauerem Hinsehen ist selbst diese Begründung queerfeindlich – denn sie schließt trans und nichtbinäre Menschen aus.
Was zunächst nach einem harschen Urteil klingt, wird deutlich, wenn man Klöckners bisherigen Äußerungen zur Causa Regenbogenfahne noch einmal unter die Lupe nimmt: Mit einem Tag Vorlauf erklärte die Bundestagspräsidentin im Mai: »Am 17. Mai werde ich in diesem Jahr auch auf dem Reichstagsgebäude neben der Bundesflagge und der Europaflagge die Regenbogenfahne wehen lassen.« Schließlich habe an ebenjenem Tag die Weltgesundheitsorganisation (WHO) Homosexualität aus ihrem Krankheitskatalog gestrichen (1990) und der Bundestag die Urteile gegen Homosexuelle aus der Nazizeit aufgehoben (2002). Ohne Zweifel ein wichtiges Signal, denn auch im Jahr 2025 werden Lesben, Schwule und Bisexuelle in Deutschland diskriminiert.
Was in der Erklärung allerdings nicht vorkam: dass der 17. Mai nunmehr seit 2009 auch als Tag gegen Transphobie gilt; dass er inzwischen Internationaler Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transfeindlichkeit (IDAHOBIT) heißt – oder dass die WHO nach 1990 noch 28 Jahre gebraucht hat, um »trans sein« nicht mehr als psychische Störung zu betrachten.
Klöckner hatte mehr als genug Gelegenheiten, dieses Versäumnis zu korrigieren; in zahlreichen Interviews rechtfertigte sie ihre Entscheidung. Doch es änderte sich nichts: im ARD-Format »Bericht aus Berlin« am 29. Juni empörte sich die Politikerin lediglich über »Anfeindungen gegen Menschen jeglicher sexueller Orientierung« und ließ damit aus, dass eben auch jene Menschen bedroht werden, deren geschlechtliche Identität – nicht ihre Sexualität – das starre »Mann-Frau-Weltbild« sprengt.
Banner mit der Aufschrift »Es gibt nur zwei Geschlechter« sind auf rechten Gegendemos zu Pride Paraden der Renner. Und eine reaktionäre Debatte über das Thema Gender kommt nicht ohne die Erzählung von der übergriffigen trans Frau aus, die eine Gefahr in jeder Frauentoilette oder -sauna sei – auch Klöckner bediente dieses Narrativ in der Vergangenheit, sagte, das Selbstbestimmungsgesetz »lade förmlich zur Identitätsverschleierung ein«. Noch im Jahr 2022 sorgte die konservative Katholikin für Aufsehen, als sie einen Text über trans Menschen im »Regenbogenportal« der Bundesregierung als »irre« bezeichnete.
Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.
Doch zurück zum Interview mit der ARD: darin bezeichnete Klöckner den 17. Mai erneut ausschließlich als »Tag gegen Homophobie« – obwohl dieser Tag seit über 15 Jahren mehr ist als das. Auch in späteren Interviews mit Phoenix (2. Juli) und Table Media (14. Juli) kamen Klöckner Wörter wie Trans- oder Interfeindlichkeit in diesem Zusammenhang nicht über den Mund. In der Gesamtschau betrachtet sagen diese Auslassungen etwas darüber aus, wie die Bundestagspräsidentin über queere Vielfalt denkt: Während gleichgeschlechtliche Liebe selbst in der CDU inzwischen ein gewisses Maß an Akzeptanz erlangt hat, fehlt es noch immer an Respekt für Menschen, die sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren, das ihnen bei Geburt zugewiesen wurde. Und das ist noch sehr zurückhaltend ausgedrückt.
Eine Ausnahme darf ich der Vollständigkeit halber nicht verschweigen: in einer Antwort im Namen Klöckners auf dem Transparenzportal Abgeordnetenwatch ist dann doch vom »Internationalen Tag gegen Homo-, Bi-, Inter- und Transphobie« die Rede – einmal zumindest. Fraglich allerdings, ob Klöckner bei dem Schreiben selbst Hand angelegt hat.
Ein kleiner Trost: Der Berliner CSD führt dieses Jahr nicht zum Reichstagsgebäude, stattdessen zieht er am Bundesrat vorbei. Vor dessen Gebäude gehisst: eine Regenbogenflagge. In der Erklärung ist die Rede von »Schwulen, Lesben, Transsexuellen und Transgendern, Inter- und Bisexuellen«. Geht doch.
Wir stehen zum Verkauf. Aber nur an unsere Leser*innen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört denen, die sie lesen und schreiben. Sie sichern mit ihrem Beitrag, dass unser Journalismus für alle zugänglich bleibt – ganz ohne Medienkonzern, Milliardär oder Paywall.
Dank Ihrer Unterstützung können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen in den Fokus rücken
→ marginalisierten Stimmen eine Plattform geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und weiterentwickeln
Mit »Freiwillig zahlen« oder einem Genossenschaftsanteil machen Sie den Unterschied. Sie helfen, diese Zeitung am Leben zu halten. Damit nd.bleibt.