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Auch Interesse an Extremismus ist Extremismus

Russland verschärft erneut sein Internet-Gesetz

  • Ewgeniy Kasakow
  • Lesedauer: 4 Min.
Was die beiden auf ihren Smartphones anschauen? Hoffentlich keine extremistischen Inhalte.
Was die beiden auf ihren Smartphones anschauen? Hoffentlich keine extremistischen Inhalte.

Es fing harmlos an: In erster und zweiter Lesung beschloss die Duma ein Gesetz über die Tätigkeit von Speditionen. Doch als die Unterkammer von Russlands Legislative den Gesetzesentwurf zur dritten Lesung vorgelegt bekam, tauchten auf einmal neue Inhalte auf.

Nun soll die Suche nach »extremistischen Materialien« mithilfe von Suchmaschinen sowie das Anklicken der Suchergebnisse mit einer Geldstrafe von 5000 Rubel (54 Euro) geahndet werden. Werbung für VPN zur Umgehung von Netzsperren wird verboten. Zwischen 50 000 und 80 000 Rubel (540 bis 860 Euro) sollen Privatpersonen beim ersten Vergehen zahlen, bei juristischen Personen und Amtspersonen ist die Summe entsprechend höher, beim wiederholten Vergehen steigt die Summe.

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Hohe Strafen für die Suche nach »extremistischen Inhalten«

In der Duma sorgte die Verschärfung des Umgangs mit dem Internet für Unruhe. In der eigentlich völlig loyalen Systemopposition von Kommunistischer Partei und Neuen Menschen regte sich Empörung, wie auch bei einigen Abgeordneten vom sozialkonservativen Gerechten Russland. Bei der Abstimmung gab es 306 Ja-Stimmen, 67 Nein-Stimmen und 22 Enthaltungen. Für die Duma inzwischen ein ungewohntes Abstimmungsverhalten.

Russlands Minister für digitale Entwicklung, Kommunikation und Massenmedien, Maksut Schadajew, versuchte im Anschluss die Wogen zu glätten. Nur das »bewusste« Suchen und Anschauen extremistischer Inhalte solle bestraft werden. Wer zufällig auf einen Link klickt, müsse keine Konsequenzen befürchten, so Schadajew. Doch Kritiker innerhalb und außerhalb des Parlaments ließen sich damit nicht beschwichtigen. Wiederholt wiesen sie darauf hin, dass das Gesetz gegen das in der Verfassung Russlands festgeschriebene Recht auf den Zugang zu Informationen verstößt.

Einwände kamen sogar unerwartet von einigen bekannten Unterstützern der Politik Wladimir Putins. Jekaterina Misulina, Anführerin der Liga des sicheren Internets, die sich auf Denunziation von Oppositionellen und Kulturschaffenden spezialisiert, beschwerte sich darüber, dass ihre Organisation nicht mehr recherchieren könne. Die Chefredakteurin des staatlichen Auslandssenders RT, Margarita Simonjan, verwies darauf, dass das Gesetz sie und ihre Mitarbeiter daran hindere, die Lügen feindlicher Kanäle zu entlarven.

Über 5000 Inhalte sind als extremistisch eingestuft

Was als extremistisch gilt, definiert das Justizministerium im Föderalen Register extremistischer Materialien. Als es im Juli 2007 angelegt wurde, bestand es aus 14 Einträgen, mittlerweile sind es 5473 und es werden immer mehr. LGBT, Childfree, Satanismus gelten inzwischen als »extremistische Organisationen« mit eigener Symbolik. Auch wenn Facebook und Instagram in Russland als »extremistisch« gelten, bleibt die Nutzung von Accounts weiterhin nicht strafbar. Die Verbreitung von Links zu diesen sozialen Netzwerken kann wiederum schon Konsequenzen haben.

Explizit verboten werden soll die Suche nach Abbildungen von »Anführern der NSDAP und der Faschistischen Partei Italiens« und der Ideologie dieser Organisationen. Das dürfte vor allem Schüler, Studenten und Geschichtslehrer vor Probleme stellen. Klar ist auch, dass die Suche nach namhaften oppositionellen Autoren oder Medien jederzeit eine Strafe nach sich ziehen kann. Zumal die entsprechenden Seiten und Kanäle in Russland eh blockiert und nur über VPN aufrufbar sind.

Auch Whatsapp ist im Visier der Zensur

Die Installation von VPN auf Smartphones soll weiterhin straffrei bleiben, verteidigen Verfechter das neue Gesetz. Nur werben solle man nicht oder Links dazu verschicken. Das könne in der Praxis jedoch anders aussehen, befürchtet das Projekt Tepliza sozialnych technologii (auf Deutsch etwa Treibhaus für soziales Wohlergehen). Die Nutzung von VPN könne durchaus erschwert werden, schreibt ein Experte des Projekts beim Online-Medium Wjorstka. Denn Sicherheitskräfte könnten durchaus nach dem Motto »Du hast VPN, also willst du extremistisches Material suchen« vorgehen.

Der russische Staat will zunehmend die Kontrolle nicht nur über die verfügbaren Inhalte für die Russen, sondern auch über deren Kommunikation. Schritt für Schritt schränken die Behörden die Nutzung des beliebten Messengers Whatsapp ein. Unternehmen in vielen Bereichen und Bildungseinrichtungen dürfen das US-Produkt nicht mehr für die Kommunikation mit ihren Kunden nutzen. Stattdessen sollen sie auf den »nationalen« Messenger Max umsteigen, der aggressiv beworben wird. Spekulationen, Whatsapp könne bald ganz verboten werden, halten sich hartnäckig. Auch Telegram stehen Veränderungen bevor, dort soll es weitere Werbeeinschränkungen geben.

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