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»Knast funktioniert durch permanente Drohungen«
Die Umweltaktivistin Hanna Poddig über ihren kürzlichen Gefängnisaufenthalt
Wie war Ihre erste Nacht nach dem Gefängnisaufenthalt?
Ich war sehr froh über echten Kaffee und ein richtiges Kopfkissen. Aber besonders gelitten habe ich während der sieben Tage im Knast nicht. Anders als bei meinen früheren Hafterfahrungen hatte ich diesmal keine schlimmen Momente der Einsamkeit. Das mag auch daran liegen, dass ich nie wirklich allein war – entweder war ich mit mehreren Personen in einer Zelle oder die Tür war offen. Aber klar: Ich finde es schöner, mit Menschen aufzuwachen, die ich mag.
Sie haben infolge einer Waldbesetzung eine Ersatzfreiheitsstrafe angetreten, weil Sie eine Geldstrafe nicht zahlen wollten. Das bezeichneten Sie hier im »nd« auch als »Praxisteil meiner knastkritischen Recherche«. Was ist das Ergebnis davon?
Ich war inzwischen in vier verschiedenen Knästen. Und es bestätigt sich immer wieder: Knast ist eine extreme Verdichtung sozialen Elends. Du bist keine zehn Minuten drin, und es ist offensichtlich, dass das niemanden besser machen kann. Die Vorstellung, Knast würde Probleme lösen, ist eine Lüge.
Ich war die ersten Tage im »Bunker«, dem Strafraum des Gefängnisses. Warum, weiß ich nicht genau – vielleicht, weil ich mich geweigert habe, Fingerabdrücke abzugeben. Aber genau das zeigt, wie Knast funktioniert: durch permanente Drohungen. Im offenen Vollzug droht der geschlossene, im geschlossenen der Bunker. Immer geht noch schlimmer.
Hanna Poddig ist 39 Jahre alt, seit vielen Jahren aktiv und politisch in der Anti-Castor-Bewegung sozialisiert. Bekannt wurde sie als Umweltaktivistin und Kritikerin von Polizei, Knast und Repression; aktuell setzt sie sich verstärkt mit rechter Esoterik auseinander: 2025 erschien ihr neues Buch zur Anastasia-Bewegung. Am Donnerstag kam sie aus einer siebentägigen Ersatzfreiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt Bielefeld-Senne frei.
Sie haben sich bewusst entschieden, die 140 Euro nicht zu zahlen. Die meisten, die eine Ersatzfreiheitsstrafe antreten, können so eine Entscheidung gar nicht treffen. Kann man aus so einer Position überhaupt nachempfinden, was es heißt, ins Gefängnis zu müssen?
Klar bin ich privilegiert. Ich wusste: Ein Anruf, und ich bin raus. Ich behaupte auch nicht, dass ich durch diese Erfahrung abschätzen kann, wie ich auf Haft reagieren würde, wenn ich nicht die Option hätte, mich freizukaufen. Die meisten sitzen da nicht aus Prinzip, sondern weil sie schlicht keine andere Wahl haben. Für die wirkt es natürlich völlig verrückt, dass ich freiwillig drin bleibe.
Bei früheren Aufenthalten habe ich ziemlich viel Gefängnispost bekommen. Das verändert natürlich auch die Dynamik. Diesmal war das nicht so – und ich glaube, das war gut für mein Verhältnis zu den anderen.
Werden Sie im Gefängnis überhaupt ernst genommen? Ich kann mir vorstellen, dass andere solche politischen Aktionen eher als eine Art »Abenteuerurlaub« abstempeln.
Das habe ich im Knast nie gehört. Dort geht’s um Zigaretten, Kaffee, wer wem was weggenommen hat – nicht um politische Motive. Klar: Wer länger drin ist, nimmt dich nicht sofort ernst, wenn du nur eine Woche bleibst. Aber ich war in einem Haus, in dem viele neu waren. Da konnte ich auffangen, unterstützen, sagen: Komm, wir trinken einen Kaffee. Auch wenn der nur aus Instantpulver ist und nicht wirklich nach Kaffee schmeckt.
Wenn das der Praxisteil Ihrer knastkritischen Recherche war – was wären denn auf theoretischer Ebene Ihre Forderungen? Achtung: Der Slogan »Knäste abschaffen« zählt nicht!
Gerade weil »Knäste abschaffen« so weit weg wirkt, ist der sinnvollste Weg die schrittweise Entkriminalisierung: Wenn Schwarzfahrer*innen nicht mehr hinter Gitter müssen, erscheint es bald auch absurd, Menschen wegen Ladendiebstahl oder Kreditkartenbetrug einzusperren. Darüber können wir uns langsam der grundsätzlichen Frage nähern: Brauchen wir Gefängnisse überhaupt – oder gibt es bessere Alternativen? Und ganz konkret: die komplette Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafe. Menschen einzusperren, bei denen Gerichte nicht einmal fanden, dass sie eine Gefahr für andere oder sich selbst sind – nur weil sie kein Geld haben –, ist blanker Unsinn.
Sie sind seit vielen Jahren politisch aktiv. Was ist derzeit Ihr Schwerpunkt?
Ich mache viel Antirepressionsarbeit. Damit kann ich zwar selten eigene Themen setzen, aber sie ist nicht weniger wichtig – denn die vielen Gerichtsverfahren sind real, und es macht einen Unterschied, ob Menschen da alleine durchmüssen oder nicht. Ich trete als Laienverteidigerin auf oder unterstütze andere dabei, sich selbst zu verteidigen.
Warum überlassen Sie diese Arbeit nicht den Profis?
Auch die kritischsten Anwält*innen gewöhnen sich mit der Zeit an den Gerichtsalltag, vieles, was eigentlich skandalös ist, erscheint dann irgendwann normal. Wer dagegen nur gelegentlich im Gericht ist, bewahrt sich eine andere, widerständige Perspektive.
Man kann den Gerichtssaal außerdem auch als Aktionsraum begreifen – mit kreativen, politischen Interventionen. Zu meiner Verteidigungsstrategie gehören auch Gummibälle auf dem Gerichtsflur und Konfetti im Gerichtssaal. Nicht falsch verstehen: Als Laienverteidigung sollte man sich schon benehmen, sonst riskiert man seine Zulassung. Aber auch das ist es an manchen Tagen wert.
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Kann eine Laienverteidigung mit einer Volljuristin mithalten?
Laienverteidigung lohnt sich oft – etwa bei Bußgeldern, wo Anwält*innen teurer wären als die Strafe selbst. In manchen Bereichen haben wir uns so viel Wissen angeeignet, dass uns Anwält*innen sogar weiterempfehlen. Und man kann beides auch miteinander kombinieren: Viele linke Anwält*innen freuen sich über Unterstützung. Und wer unsicher ist, kann sich in erster Instanz selbst oder mit Laien verteidigen – und für die Berufung oder Revision immer noch einen ausgebildeten Anwalt dazuholen.
Und was machen Sie, wenn Sie nicht im Gerichtssaal sind?
Gerade durch mein aktuelles Buch zur Anastasia-Bewegung bin ich viel auf Veranstaltungen unterwegs – auch in Kontexten, die sich sonst nicht unbedingt überschneiden. Und das finde ich das Schöne daran: dass ich manchmal so eine Pendlerin zwischen den Welten bin – also zwischen verschiedenen Szenewelten. Dadurch kann ich meine Erfahrungen auch weitertragen. Zum Beispiel Wissen über Laienverteidigung, das ist im Antifa-Bereich noch weitgehend unbekannt.
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