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Todesliste als Gedankenspiel

Vertrauter von Brasiliens Ex-Präsident Bolsonaro verfasste Dokument zur Planung eines blutigen Staatsstreichs

Die Angeklagten sollen auch den Richter des Obersten Gerichtshofs Alexandre de Moraes als Bolsonaros Erzfeind im Visier gehabt haben.
Die Angeklagten sollen auch den Richter des Obersten Gerichtshofs Alexandre de Moraes als Bolsonaros Erzfeind im Visier gehabt haben.

Mit Lesebrille wäre das nicht passiert: Zwei Exemplare des von ihm verfassten und von der Polizei sichergestellten Plans für eine nach den Nationalfarben »Grün-gelber Dolch« genannte Operation will Mário Fernandes am 9. November 2022 nur deshalb in seinem Büro im Planalto-Präsidentschaftspalast ausgedruckt haben, um den Text besser erkennen zu können. Das erklärte der Brigadegeneral der Reserve bei seiner Befragung vor Gericht am Donnerstag.

Anschließend habe er die Papiere sofort zerrissen, von deren Inhalt niemand sonst Kenntnis erhalten habe. Wenige Minuten nach dem Ausdruck hatte der damalige Exekutivsekretär von Präsident Jair Bolsonaro dessen Residenz im Alvorada-Palast betreten, in der sich neben dem gerade abgewählten Staatschef dessen Adjutant, Oberstleutnant Mauro Cid, befand – der Kronzeuge im laufenden Prozess gegen den rechtsextremen Politiker.

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Bolsonaro muss sich im Hauptverfahren vor der Ersten Kammer des Obersten Gerichtshofs (STF) in Brasília gemeinsam mit sieben Mitangeklagten verantworten. Diese hatten nach Überzeugung der Anklage nach der Wahlniederlage im Jahr 2022 versucht, einen Staatsstreich gegen seinen linksgerichteten Nachfolger Luiz Inácio Lula da Silva auszuführen. Bolsonaro droht eine lange Gefängnisstrafe.

Der Plan von General Fernandes, der gemeinsam mit weiteren Offizieren vor Gericht steht, die konkrete Vorschläge für den Ausnahmezustand und den Einsatz des Militärs beim Putsch entwickelt haben sollen, sah die Ermordung von Lula da Silva, dessen Vizepräsidenten Geraldo Alckmin sowie des Obersten Richters Alexandre de Moraes vor. Die Anschläge, darunter einer mit Gift auf Lula, waren für den 5. Dezember 2022 geplant. Dabei sollte eine »Kids pretos« genannte Spezialeinheit zum Einsatz kommen, die Fernandes bis 2020 befehligt hatte.

Nach den Morden sollte laut Anklage ein Notstandskabinett mit Bolsonaro an der Spitze eingesetzt werden. Den Ermittlungen der Bundespolizei zufolge waren die Zielpersonen und deren Sicherheitsvorkehrungen bereits ausgespäht worden. Laut dem Kronzeugen Mauro Cid war General Fernandes eine der treibenden Kräfte um Bolsonaro, die einen Staatsstreich befürworteten.

Seinen Operationsplan dafür stufte dieser nun vor Gericht zu einem »aus Gewohnheit« in digitaler Form verfassten »Gedankenspiel«, einer »Studie der Situation« und »Risikoanalyse« herunter. Einen weiteren von der Polizei ermittelten Ausdruck des Dolch-Planes einen Monat später erklärte der Angeklagte damit, dass er eine »neue Idee« gehabt habe. Dieser Vorgang sei ebenfalls folgenlos geblieben. Die Anklage ist davon überzeugt, dass Bolsonaro volle Kenntnis von den Plänen hatte und der Staatsstreich nur deshalb abgeblasen wurde, weil er nicht ausreichend Unterstützung bei den Chefs der Streitkräfte fand.

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