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Online-Verschreiber für medizinisches Cannabis bald vor dem Aus?
Medizinisches Cannabis könnte noch in diesem Jahr wieder strenger reguliert werden
Ist der kurze Höhenflug des legalen Cannabis in Deutschland schon bald wieder vorbei? Dieser Eindruck könnte entstehen, wenn man Äußerungen und Absichten insbesondere von CDU-Politikern aus den vergangenen Monaten Revue passieren lässt. Die Koalition hatte vereinbart, im Herbst 2025 eine »ergebnisoffene Evaluierung des Gesetzes zur Legalisierung von Cannabis« vorzunehmen. Konkret geht es zunächst einmal um medizinisches Cannabis.
Gesundheitsministerin Nina Warken (CDU) möchte schärfere Regeln für dessen Verschreibung einführen, weil die Zahl der Privatrezepte und der Bezug über das Internet zuletzt stark zugenommen habe. Ingesamt hatte sich der Umfang des Imports 2024, also in dem Jahr, als Cannabis teilweise für den sogenannten Freizeitkonsum legalisiert wurde, mehr als vervierfacht. In der zweiten Hälfte des Jahres 2024 stieg die Zahl der Verordnungen zulasten der Krankenkassen nur um neun Prozent, der Handel mit Medizinialcannabis sei jedoch um 170 Prozent gewachsen.
Die Legalisierung überholte sozusagen die Regelungen für medizinisches Cannabis, für das damit auch die Verordnung auf ein Betäubungsmittelrezept wegfiel. Zudem wurde die Online-Verschreibung möglich. Die Steigerung in diesem Bereich hat aber auch damit zu tun, dass die Vorgaben zu legalem Freizeit-Cannabis es den Konsumenten eher schwer machen. Bislang wurden von den Behörden bundesweit 293 Cannabis-Clubs zugelassen. Dabei liegen Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen vorn, es folgen Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg. Das Saarland hat noch keinen einzigen genehmigten Club, und auch Berlin nur sieben. Für 328 dieser Einrichtungen sind die Anträge noch in Bearbeitung. Erst 27 wurden abgelehnt, 53 von den Antragstellern wieder zurückgezogen.
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Weil über die Clubs die Beschaffung umständlich ist und die möglichen Lieferanten mit deren Konstruktion eher ausgebremst werden, steigt offensichtlich parallel der Bedarf an sauberem Stoff – und der ist wohl aus Sicht vieler Interessenten am sichersten über medizinisches Cannabis gegeben. Hinzukommen könnte, dass angesichts der allgemein gelockerten Vorschriften für Handel und Besitz des Rauschmittels ein paar ganz Schlaue die Idee hatten, Verschreibungen zu ergaunern und das Rezeptierte dann zum eigenen Profit in Umlauf zu bringen.
Die von Warken geplante Regulierung passt natürlich insbesondere jenen Unternehmen nicht in den Plan, die sich gerade auf telemedizinische Cannabis-Verschreibungen einschließlich Versandhandel spezialisiert haben. Eine dieser Plattformen ist Doktor ABC, von deren Betreibern insbesondere die mit der Neuregelung absehbare Benachteiligung von Patienten im ländlichen Raum moniert wird. Eines der Probleme sei, dass Apotheken nicht das gesamte Spektrum von Cannabisblüten vorrätig haben, das Ärzte in Zukunft nur nach direktem Kontakt verschreiben können. Die wenigsten Mediziner dürften sich zusätzlich zu ihren alltäglichen Patienten und deren Sorgen mit den Qualitäten von mehr als 1000 Blütensorten beschäftigen wollen.
Die Branche befürchtet nun, dass Lieferengpässe vorhersehbar sind. Dann müssten Patienten entweder auf die Behandlung verzichten, oder in den Schwarzmarkt ausweichen, wo die medizinische Aufsicht fehlt. Doktor ABC arbeitet zum Beispiel mit 300 zertifizierten Partnerapotheken zusammen und könne so eine schnelle, bundesweite Lieferung sichern, heißt es.
Allgemein können pro Monat und Person maximal 100 Gramm Cannabisblüten verordnet werden. Für gesetzlich Versicherte kostet die Zuzahlung je nach Preis zwischen fünf und maximal zehn Euro. Mit einem Privatrezept würden für die Patienten je nach Anbieter und Sorte sechs bis 15 Euro pro Gramm getrocknete Blüten fällig.
Laut dem Gesetzentwurf aus dem Gesundheitsministerium kann der Stoff aber in Zukunft nur noch verschrieben werden, wenn es zuvor einen persönlichen Arztkontakt gab. Eine Folgeverschreibung setzt Arzttreue voraus: Genau diese Praxis muss schon zuvor vier Quartale lang konsultiert worden sein. Damit würde der Verordnung für eigentlich Gesunde der Riegel vorgeschoben. Selbst gut eingestellte chronisch Kranke besuchen ihren Hausarzt oft nur zweimal im Jahr.
Der Versandhandel von medizinischem Cannabis über Online-Apotheken würde vollständig verboten. Den bisherigen Nutzern bliebe der Weg über eine Arztpraxis samt Apotheke vor Ort oder die Versorgung auf dem illegalen Markt. Andere könnten den Eigenanbau erwägen. Die letzten beiden Varianten sind mit etlichen Unsicherheiten behaftet, unter anderem dann, wenn eine genaue Dosierung und gute Qualität gewünscht sind.
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