Polizeigewalt auf Gaza-Demonstrationen in Berlin

Vergangene Woche kam es auf zwei Demos zu massiver Polizeigewalt – Kanzlei zeigt acht Beamte an

Eine Frau wird während der Internationalist Queer Pride (IQP) unter Schmerzgriffen festgenommen.
Eine Frau wird während der Internationalist Queer Pride (IQP) unter Schmerzgriffen festgenommen.

Verdrehte Arme auf dem Rücken, Platzwunden im Gesicht und ein bewusstloser Demonstrant auf dem Asphalt. Beamte ziehen an Haaren und an um den Hals gewickelten Kufiyas. Sie drücken mit ihren Fingern gegen Nasen und schlagen in Menschenmengen. In Berlin kam es auf zwei Demonstrationen in der vergangenen Woche zu massiver Gewalt gegen Protestierende durch die Polizei.

Internationalist Queer Pride

Rund 10 000 Menschen demonstrierten am vergangenen Samstag anlässlich der fünften Internationalist Queer Pride (IQP) in Kreuzberg. Die Demonstration ist eine antikapitalistische Alternative zum großen Christopher Street Day (CSD) und hatte sich in den vergangenen Jahren explizit gegen den Gaza-Krieg und die israelische Besatzungspolitik ausgesprochen.

Die Demonstration startete am Südstern und sollte am Oranienplatz enden. Doch so weit kam der Demonstrationszug nicht. Die Polizei löste die Demonstration vorher auf. Als Grund dafür gibt die Behörde an, dass es zu Angriffen auf Einsatzkräfte gekommen sein soll. »In der Folge mussten Zwangsmaßnahmen angewendet werden, um weitere Gefahren für die öffentliche Sicherheit abzuwenden und erkannte Tatverdächtige festzunehmen«, heißt es laut Polizeibericht. Insgesamt seien 57 Personen die Freiheit entzogen und 54 Strafanzeigen gestellt worden.

Videos in den sozialen Medien zeigen Dutzende Schmerzgriffe und Festnahmen. Auf einer Aufnahme ist eine Frau zu sehen, die von drei Beamten an eine Hauswand gedrückt wird. Die Beamten legen ihr Handschellen an, während sie mehrfach ruft: »Ich hab’ nix gemacht.« Ein Video, dass »nd« vorliegt, zeigt einen Senioren, der von der Polizei in einen Gefangenentransporter abgeführt wird.

Die Polizei begründet die Festnahmen damit, dass aus dem Aufzug heraus »wiederholt antisemitische Parolen gerufen« worden seien. Auf nd-Nachfrage sagt ein Polizeisprecher, dass es sich dabei ausnahmslos um die Parole »From the river to the sea« gehandelt habe. Ob die Parole antisemitisch ist oder nicht, ist umstritten. Strafrechtlich verfolgt wird sie, weil das Bundesinnenministerium sie im Rahmen einer Verbotsverfügung zu einem Symbol der Hamas erklärt hat. Aber auch das ist umstritten. Erst im Juni wurde ein Student vor dem Amtsgericht Tiergarten freigesprochen, der die Parole gerufen hatte. Das Gericht entschied unter Verweis auf ein Gutachten des Berliner Landeskriminalamts, dass der Spruch nicht als eindeutiges Kennzeichen der Hamas zu werten sei.

Sitzblockade am Checkpoint Charlie

Am vergangenen Donnerstag fand eine spontane Demonstration gegen den Krieg in Gaza und das Aushungern der dortigen Bevölkerung statt. Laut Polizei nahmen circa 300 Menschen an der Demo am Checkpoint Charlie in Mitte teil, die in einer Sitzblockade mit 200 Menschen endete.

Angaben der Deutschen Presse-Agentur zufolge, seien die Demonstrant*innen nicht der Aufforderung der Polizei gefolgt, den Platz zu räumen. Darum habe diese unmittelbaren Zwang »in Form von Schieben, Drücken und einzelnen Schlagtechniken« angewandt, wie die Behörde auf der Plattform X mitteilt. Demnach seien 20 Personen festgenommen worden.

Videos in den sozialen Medien zeigen Dutzende Tritte und Schläge von Beamten gegen Demonstrierende, noch bevor sich diese auf dem Boden niederlassen. Bei den Festnahmen wenden die Beamten Schmerzgriffe an, bei denen sie mit ihrer Hand gegen die Nasenscheidewand drücken oder mit ihrem Handschuh Augen, Nase und Mund der Festgenommenen verdecken und anschließend den Kopf weit nach hinten ziehen. Ein weiteres Video zeigt, wie mehrere Beamte auf eine am Boden liegende Person einprügeln. Ein Video zeigt einen Mann, der mithilfe von Schmerzgriffen festgenommen wird. Auf einer weiteren Aufnahme ist zu sehen, wie der Mann regungslos auf dem Asphalt liegt. Mehrere Beamte bewegen seinen Körper.

Kanzlei stellt Stafanzeige gegen Polizei

Die Rechtsanwaltskanzlei Advocardo hat am Sonntag acht Strafanzeigen gegen acht verschiedene Berliner Polizeibeamte wegen Körperverletzung im Amt gestellt. »In den letzten beiden Tagen wurden uns viele Videos zugespielt. Wir haben unfassbare Polizeigewalt gesehen. Wir kennen auch das Polizeirecht. Diese Polizeigewalt übersteigt jegliche Verhältnismässigkeit«, sagt der Anwalt Yalcin Geyhan im Gespräch mit »nd«. »Eine Frau mit Kopftuch wurde geschlagen, ein Mann bewusstlos. Personen wurden an den Haaren gezogen. Ein Polizeibeamter verpasste einem alten Mann einen Faustschlag. Medizinisches Fachpersonal sagte uns, dass Demonstrierende auch hätten sterben können.«

Geyhan glaubt, dass es auch Staatsanwälte in Berlin gibt, die deratige Polizeigewalt nicht richtig fänden. Polizeibeamte landen selten vor Gericht, noch seltener werden sie verurteilt.

Damit sich die Behörde wieder ihres Deeskalationsauftrages annehme, brauche es laut dem Anwalt mehr kritische Berichterstattung über die Polizei statt dass Polizeimeldungen in den Medien ohne Einordnung übernommen werden. Es brauche zudem eine Beschwerdestelle auf Landesebene, die viel mehr Möglichkeiten eingeräumt bekommt als bisher. »Die derzeitige Stelle ist eigentlich ein zahnloser Tiger.«

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