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Diese Liebe macht einsam
Es gibt kaum Bücher über weibliche Fußballfans – und es gibt kaum jemanden, der Jürgen Klinsmann mehr geliebt hat als Michaela Maria Müller
Fußballfan-Literatur gibt es regalmeterweise, spätestens mit »Fever Pitch«, von Nick Hornby zu Beginn der 90er Jahre veröffentlicht, ist es ein ganz eigenes Genre. Nach der Musik bildet der Fußball das beliebteste Gerüst, etwas poppig und auch lustig eine Coming-of-Age-Geschichte zu erzählen.
Umso überraschender, dass es so gut wie keine Frauen-Fußballfan-Biografien gibt. 2013 erzählte Wiebke Porombka in »Der zwölfte Mann ist eine Frau« von ihrer Leidenschaft für Werder Bremen und besonders für Kalle Riedle. Erst jetzt, mehr als zehn Jahre später, tut es ihr Michaela Maria Müller gleich: Bei ihr sind es die Bayern, vor allem aber Jürgen Klinsmann, die sie verzaubert zurücklassen.
Ganz schmal ist Müllers Buch, das in der Reihe »Ikonen« bei Voland & Quist erschienen ist. Es zählt knapp über 90 Seiten, und am Ende bleibt die Erkenntnis, dass Coming of Age auch ein Loslassen von Idolen und Träumen ist. Im letzten Kapitel stellt Müller fest, dass von ihrer als Zwölfjähriger erstellten Bucket List vier von fünf Items einfach verblasst sind. Vielleicht sind die jugendlichen Träume und Bedürfnisse gar nicht so sehr prägend, wie es die männlich dominierte Idee eines Coming of Age suggeriert. Vielleicht ist es auch gar nicht so tragisch, wenn sich das brennende Begehren der Jugend umwandelt in eine Art von Irritation der Welt gegenüber.
Das bedeutet aber nicht, dass jemals jemand Jürgen Klinsmann mehr geliebt hätte als Michaela Maria Müller. Sie liebte ihn mit Inbrunst und vor allem in einer Art Einsamkeit, die dem männlichen Fandasein immer abgeht, weil ebenjenes männliche Fantum immer auch auf eine imaginäre Community zielt, auf einen Platz im sozialen Gefüge. Michaela Maria Müllers Impuls hingegen war, sich außerhalb zu stellen – und damit mitten rein in die Liebe zum Idol.
Der Fußball behauptet sich gern als Spiegelbild der Gesellschaft und als Gleichmacher obendrein: In der Kurve sind alle sozialen Unterschiede ausgelöscht, Hauptsache, das Herz ist beim Verein. Deswegen soll er auch unpolitisch sein. Dass mit diesem Argument jeder Weg verstellt wird, Unterschiede und Ungleichheiten in den Fan-Biografien zu erkennen, führt dazu, dass gerade tendenziell rechte Fans es so gern verwenden: Sie wollen halt nichts anderes von den anderen Leuten als ihre Ruhe. So definieren sie dann ihre Hingabe: eine Art sublimierter Narzissmus.
Dem stellt Müller eine Unschuld und eine Leidenschaft entgegen, die in ihrer Einsamkeit und Vergeblichkeit von einer Liebe erzählt, die die Gemeinschaft zwar ersehnt, aber keine Möglichkeit findet anzudocken. Einmal geht sie zu einem Fußballtraining, um sich ihrer Leidenschaft anzunähern – das war in den 80ern und 90ern ein großer Schritt, als Mädchen bei den Jungs im Training aufzuschlagen –, und versagt dann dort als Torhüterin, weil sie den Ball nicht weit genug schlagen kann.
Besonders erhellend an diesem schmalen Buch ist nicht nur das, was Michaela Maria Müller aufschreibt, sondern auch das, was fehlt: die Inauguration durch irgendeine Vaterfigur, der erste Stadionbesuch, das erste eigene Tor im Dorfclub. Diese Art der Fanliebe, die – Fußballfans selbst werden das nicht gerne hören – millionenfach stattgefunden hat, sodass sie etwas Groschenromanhaftes aufweist, ist Michaela Maria Müller nicht vergönnt. Aus niemals klaren Gründen wird sie aber trotzdem verzaubert, und zwar von zwei Seiten: einerseits vom FC Bayern und andererseits von dessen Mittelstürmer von 1995 bis 1997, Jürgen Klinsmann, dem sie Briefe schreibt.
Die Frage ist: Was fügt dieser spezifisch weibliche Blick der Phänomenologie des Fußballfantums hinzu? Ist da überhaupt ein Unterschied zu männlichen Fans? Die Antwort wäre wohl: heute vermutlich nicht mehr. Spätestens seit der WM 2006, als Klinsmann Bundestrainer war, hat die Zahl der Frauen auf den Stadienrängen und auf dem Rasen rapide zugenommen.
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Wer aber wie Müller oder auch Porombka in den 80ern aufgewachsen ist, musste sich als Mädchen dem Idol schon ganz verschreiben. Diese Form der bedingungslosen Verehrung eines Stars, der als Projektionsfläche dient, findet sich auch in journalistischer Form bei Birgit Schönau, die in ihrem famosen Buch »Calcio – Die Italiener und ihr Fußball« 2005 ganze Lobeshymnen auf Francesco Totti anstimmte; fehlt aber gleichzeitig fast vollständig bei den »26 Geschichten vom Spielfeldrand«, die Stefanie Fiebrig in »Bring mich zum Rasen« 2014 versammelte – eine der wenigen anderen literarischen Frauen-Fußballfan-Biografien überhaupt.
Müllers Buch umweht eine rührende Einsamkeit, gerade auch weil es sehr geradeheraus und offenherzig erzählt ist. Wenn es ein Spielstil wäre, dann hätte ihn vermutlich Mirko Slomka entworfen. »Klinsmann« unterläuft die Erwartungen an eine Fan-Biografie vielleicht genau deswegen, weil diese Erwartungen falsche sind – darauf wird sich einlassen müssen, wer dieses Buch liest.
Es ist insofern auf andere Weise politisch, als es die politisch interessierte Fußballliteratur ansonsten unidentitär gern hat. Klinsmann bedeutet in seiner schwäbisch grundierten Weltläufigkeit eine Art von Paradigmenwechsel in der Perzeption des deutschen Fußballs weltweit. Er hat mit seiner Art, Fußball spielen zu lassen, den Titel 2014 mit vorbereitet; er hat auch jene WM 2006 als Cheftrainer und Werbegesicht mit verantwortet, die mit ihrem angeblich harmlosen Party-Patriotismus für einen deutlichen Rechtsruck in der Gesellschaft gesorgt habt. Dass genau jener Klinsmann auch Aufhänger für ein Aufbegehren in einer Biografie sein kann, löst sich nur dadurch, wenn man anerkennt, dass Held*innenverehrung nichts Ewiges ist.
Michaela Maria Müller: Klinsmann. Ein Briefroman. Voland & Quist, 96 S., br., 12 €; E-Book 7,99 €.
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