Innovation made in Brandenburg

Delegation aus Polen besucht Brandenburgs größten Wissenschaftsstandort, den Potsdam Science Park

Thomas Leya erforscht und kultiviert am Fraunhofer-Institut in Potsdam Schneealgen.
Thomas Leya erforscht und kultiviert am Fraunhofer-Institut in Potsdam Schneealgen.

»Wenn man das Wort ›Chip‹ hört, denkt man, das sind Computerchips«, sagt Ghazeleh Madani. Madani hat das Unternehmen CanChip gegründet. Sie hat einen ihrer Chips dabei. Eine transparente Kunststoffplatte mit mehreren kleinen Plastikzylindern und Gravierungen, die man nicht fotografieren darf. »Das ist die Plattform, auf der dann die menschlichen Zellen wachsen«, erklärt sie. Ihr mehrfach preisgekröntes Unternehmen nutzt neue Methoden, um diese Chips herzustellen und ist am »Potsdam Science Park« (Wissenschaftspark Potsdam) angesiedelt.

Madani stellt dort am Dienstagvormittag auf einer Veranstaltung ihr Unternehmen vor. Zu Gast ist eine Delegation aus der südwestpolnischen Woiwodschaft Niederschlesien, vergleichbar mit einem deutschen Bundesland. Eigentlich hätten auch der niederschlesische Vize-Marschall Michał Rado und Brandenburgs Wirtschaftsminister Daniel Keller kommen sollen. Aber sie haben kurzfristig abgesagt.

Niederschlesien ist seit zehn Jahren Partnerland von Brandenburg. Die Woiwodschaft gilt als eine der in der Wissenschaft stärksten Regionen Polens. Das Wirtschaftsministerium sieht Potenziale in der Verknüpfung regionaler Kompetenzen. Wirtschaftsminister Keller teilt in Abwesenheit mit, man wolle die enge Kooperation mit den unmittelbaren Nachbarn unterstützen. »Die Zusammenarbeit Brandenburgs mit Niederschlesien eröffnet neue Chancen für beide Regionen«, so Keller.

»Wir wissen, dass die Forschung und Entwicklung nicht nur an einem Standort passieren kann«, sagt Ghazeleh Madani. Die mikrofluidischen Chips, die CanChip herstellt, können in der Krebstherapie eingesetzt werden. Eine weitere Anwendungsmöglichkeit: Tierversuche für Arzneimittel ersetzen. »Wir lösen das Problem mit der Nutzung von menschlichen Zellen«, so die Forscherin und Start-up-Gründerin. »Das ist ethisch, effizienter und kostenreduzierter.« Sie sagt, die Zeitersparnis belaufe sich auf bis zu 70 Prozent, die Kostenersparnis auf bis zu 60 Prozent. Man suche Zusammenarbeit. Im kommenden Jahr will CanChip in Potsdam expandieren. Dafür habe man schon Labore im Potsdam Science Park reserviert.

Dieser ist, wie Geschäftsführerin Agnes von Matuschka erläutert, »vor 30 Jahren auf der grünen Wiese« im westlich gelegenen Ortsteil Potsdam-Golm entstanden. Mittlerweile sei er der größte Wissenschaftsstandort Brandenburgs, erklärt von Matuschka. Auf dem Gelände finden sich nicht nur zwei Max-Planck-Institute und drei Fraunhofer-Institute, inzwischen sind auch 43 Unternehmen am Standort angesiedelt. Die meisten seien zwischen einer bis zehn Personen groß, so von Matuschka.

Unternehmensansiedlungen vor Ort sind erklärtes Ziel. Es habe früher viele Start-ups gegeben, die aus dem Forschungsbetrieb entstanden, dann aber nach Berlin oder anderswo gezogen seien, erklärt die Science-Park-Geschäftsführerin von Matuschka. »Das Land Brandenburg hat dann gesagt: Wir wollen die hier halten.« Allerdings kann nicht jedes Unternehmen sich vor Ort ansiedeln. »Wir überlegen sehr genau, an wen wir vermieten. Wir sagen auch Firmen ab, die hier nicht reinpassen«, sagt von Matuschka.

Um die Ansiedlung zu erleichtern, gibt es zwei Gebäude, in denen Büro- und Laborräume angemietet werden können. 2007 wurde das GO:IN fertiggestellt, ein Schreibtischplatz kostet dort nur 150 Euro im Monat. In diesen geförderten Räumen kann man allerdings nur fünf Jahre bleiben. Seit 2021 gibt es das GO:IN 2, in dem auch CanChip die Labore reserviert hat. Dieses ist frei finanziert und die Mieten sind erheblich teurer.

Die Entwicklung des Standorts geht weiter. Die Stadt Potsdam hat im Norden eine Erweiterung geplant. Und auch um den Bahnhof herum soll gebaut werden, wenn denn ein Bebauungsplan steht. Dort sollen dann aber nicht nur Gewerbeflächen, sondern auch Wohnraum geschaffen werden. Denn wie in allen anderen Großstädten mangelt es auch in Potsdam an Wohnungen.

»Das Land Brandenburg hat dann gesagt: Wir wollen die hier halten.«

Agnes von Matuschka
Geschäftsführerin Potsdam Science Park

Neben einem weiteren Unternehmen, das versucht, mit einer neuen Herangehensweise komplexe Moleküle, die vor allem in der Krebsforschung zum Einsatz kommen, Geld zu verdienen, wird den polnischen Gästen auch der Institutsteil Bioanalytik und Bioprozesse des Fraunhofer-Instituts für Zelltherapie und Immunologie vorgestellt. »Wir sind eine Großforschungseinrichtung für angewandte Forschung«, erklärt die stellvertretende Institutsleiterin Eva Ehrentreich-Förster.

Was das genau bedeutet, zeigt sie anhand mehrerer Beispiele. Eins davon ist die Entwicklung von einer verbesserten Extraktion von THC aus Blut oder Speichel. Bisherige Verfahren zur Ermittlung des Gehalts des Cannabis-Wirkstoffs im Körper sind aufwendig und oft ungenau. Von dem neuen Verfahren erhoffen sich die Forscher*innen eine deutlich verbesserte Genauigkeit bei Vor-Ort-Schnelltests und bei detaillierten Labormethoden. Eine mögliche Anwendung: Präzise Selbsttests, mit denen Cannabis-Konsument*innen überprüfen können, ob sie noch legal Autofahren dürfen. Noch wird aber geforscht.

Den Schritt hin zur Kommerzialisierung von Forschungsergebnissen hat Thomas Leya schon geschafft, obwohl er zu einem Nischenthema arbeitet: Schneealgen. Diese kälteliebenden Mikroalgen gedeihen in der Natur in kalten Umgebungen, wie etwa Gletschern oder rund um die Polarkreise. Leya und sein Team haben es geschafft, die kleinen Pflanzen zu kultivieren. »Wir haben in den 90ern angefangen, eine Datenbank aufzubauen, um die Schneealgenforschung voranzutreiben«, sagt Leya. Mittlerweile umfasst die Sammlung in Potsdam mehr als 500 verschiedene Algenstämme. Einen großen Teil der Algen hat Leya selber gesammelt. Für die Algenforschung ist diese Datenbank wichtig: »Wir bespielen die ganze Schneealgengemeinschaft«, sagt er.

Aber nicht nur Algen sind in der Datenbank, sondern auch über 10 000 Datensätze über aus den Algen isolierte Stoffe. Diese werden in der Kosmetikbranche eingesetzt. »Gletscheralge, wenn man das hört, die machen frisch und jung«, sagt Schneealgenforscher Leya mit einem Augenzwinkern. »Kosmetika leben von der Erzählung.« Die Produktion der Inhaltsstoffe findet vor Ort statt. Hinter einer Glastür ist ein 60 Liter fassender Bioreaktor, in dem die Algen gezüchtet werden. Auch das ist angewandte Forschung.

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