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Lieberoser Heide: Wenn der Panzer weicht, kommt die Wildnis
In Lieberose gibt es neue Wanderwege durch wilde Natur, die Militärgeschichte erzählen
»Nicht nur in den Savannen Afrikas und den Regenwäldern am Amazonas, auch hier in Brandenburg gibt es sie, die Wildnis!«, so die Stiftung Naturlandschaften Brandenburg (Wildnisstiftung). Mit spürbarer Leidenschaft eröffneten am vergangenen Donnerstag Ranger*innen und Vertreter*innen der Stiftung einen neu gestalten Wildnispfad in Lieberose und laden zum ersten Rundgang.
Wer dem Pfad im Oberspreewald folgt, findet weder Paddelverleih noch Imbissbuden, die saure Gurken und Schmalzbrot anbieten. Dafür kann man unweit von Deutschlands größter Wüste durch Moore, Kiefernwälder und Sandlandschaften wandern. Statt vieler Tourist*innen begegnet man hier Libellen und »Käuzchen«, wie der Raufußkauz von der Wildnisstiftung liebevoll genannt wird. Nach den beiden Tieren hat die Stiftung ihre zwei neu eingerichteten Rundwanderwege getauft. Auf dem Rundweg »Käuzchen« läuft man 15 Kilometer durch die Wildnis, auf dem Wildnisfad »Libelle« sind es nur vier.
Der Libelle folgen zur Eröffnung 50 Besucher*innen. Einen Wildnispfad gibt es in Lieberose seit 2014, jedoch nicht als Rundweg. »Wir wollten außerdem einen Wanderweg schaffen, wo man den ganzen Tag unterwegs sein kann«, sagt Sophie Büchner, Projektmanagerin bei der Wildnisstiftung.
Sogar Wolf oder Wildkatze kann man auf den Wegen begegnen. So viel Glück haben die Besucher*innen am Donnerstag nicht. Dennoch sind viele erstaunt über die Vielfalt von Flora und Fauna auf der kurzen Strecke. Hier wechseln sich Feucht- und Trockenlebensräume auf recht kurzer Strecke ab.
Warum sind auf 25 000 Hektar in der Lausitz so viel Wildnis und Biodiversität entstanden? Das hängt mit der deutschen Militärgeschichte zusammen. Zwischen 1942 und 1945 nutzte die Waffen-SS den ehemaligen Wald als Truppenübungsplatz. Die Rote Armee übernahm nach Kriegsende. Bis 1990 fanden in der Lieberoser Heide Panzermanöver statt, »die tiefe Spuren in der Landschaft hinterließen«, informiert die Wildnisstiftung auf einem Flyer. So bildete sich die Lieberoser Wüste heraus.
An diese Geschichte und ihre positiven Folgen für die Natur erinnern nicht nur die neuen Tafeln, die die Stiftung entlang des Wildnispfads aufgestellt hat. Auch die klassischen Panzerstraßen aus Betonplatten findet man auf Zubringerstraßen ins Wildnisgebiet.
Das Militär hat aber nicht nur eine Naturlandschaft hinterlassen, sondern auch reichlich Munition. Trotz dieses explosiven Erbes muss sich kein Wanderer in Lieberose um seine Sicherheit sorgen. »Den Pfad haben wir natürlich entmunitioniert«, sagt Büchner den Besucher*innen. Ihre Kollegin Antje Wurz, Geschäftsführerin der Stiftung erklärt im Gespräch mit »nd«, welche Vorteile die Militärgeschichte für die Wildnis hat. »Dort, wo Munition liegt, greift kein Mensch ein«, so die Forstwirtin Wurz. Dadurch entstehe ein »Totalreservoir« aus wilder Natur.
Das Reservoir zu erhalten ist dennoch mit einigen Tücken verbunden. »Wenn es auf diesen Flächen brennt, können wir nicht löschen«, sagt Wurz. Die Feuerwehr kann nur auf einem Streifen entlangfahren. Darum sorgt die Stiftung mit Waldbrandschutzmaßnahmen wie Löschwasserbrunnen vor. Außerdem renaturiert die Stiftung die Moore auf dem Naturschutzgebiet.
Butzner Bagen heißt eines davon. Mit Hilfe von Staudämmen wird Wasser aus dem Bergsee, an dem der Wanderweg vorbeiführt, im Moor gestaut. Moore sind durch ihre besonders hohe Kohlenstoffspeicherkapazität besonders wichtig im Kampf gegen die Klimakatastrophe. Ein Waldbrand, der auf ein Moor übergreift, ist besonders verheerend. Denn das Feuer lässt sich nicht löschen und das Moor verliert seine CO2-Speicherfähigkeit.
Ein »Musterbeispiel für öffentlich-privaten Naturschutz« nennt Silke Martin das, was in der Lieberoser Heide in den vergangen 30 Jahren geschehen ist. Martin läuft am Donnerstag auch zum ersten Mal den Wildnispfad entlang, wie sie im Gespräch mit »nd« sagt. Dabei hat sie als Projektmanagerin der Naturwelt Lieberoser Heide GmbH ebenfalls an der Neugestaltung der Wanderwege mitgewirkt.
Zwischen 1942 und 1945 nutzte die Waffen-SS den ehemaligen Wald als Truppenübungsplatz.
Durch Spenden einer Privatperson war es möglich, die Wege neu zu gestalten. Martin sieht die Vorteile des Gebiets für den Tourismus: »Manche wollen auch gar nicht mehr den Übertourismus im Spreewald«, sagt sie. Darum sei die Ruhe der Heide, nur wenige Kilometer vom Biosphärenreservat entfernt, etwas Besonderes.
Der Aufbau der Pfade war in dem munitionsbelasteten Naturschutzgebiet gar nicht so einfach. »Ja, wir haben die Wege gehackt – mit Muskelkraft«, sagt Büchner und lacht.
Nicht nur sicher und ruhig wandern lässt es sich nun in Lieberose, sondern auch lesen und rätseln. Dazu laden mehrere neu gestaltete Info-Tafeln ein. Ob man die Informationen auch auf Sorbisch lesen könnte, fragt eine Besucherin Büchner. Bislang hat die Stiftung nur auf Polnisch und Englisch übersetzt. »Ich mache aber gerade einen Sorbisch-Kurs«, sagt Büchner stolz.
Damit reiht sich Büchner in den Boom ein. Laut Angaben des RBB verbuche die Schule für Niedersorbische Sprache und Kultur in Cottbus in diesem Jahr einen Rekord bei den Teilnehmer*innen im Kompaktkurs Niedersorbisch. So hätten sich mehr als 100 Menschen angemeldet, um die vermeintlich ausgestorbene Sprache zu lernen.
Nicht auf den Infotafeln, sondern auf einem Stoffbeutel lässt sich am Donnerstag dennoch ein niedersorbisches Wort lesen. »Bogowy kónik« steht auf der Tasche einer Besucherin geschrieben. Übersetzt steht es für die Libelle, der man wohl am ehesten am Bergsee begegnet. Genauso wie dem Graureiher, dem Fischadler oder dem Eisvogel, eines der Wahrzeichen des Spreewalds.
Für Tobias Westphal war es etwas ganz Besonderes, an diesem Ort arbeiten zu können. Der gelernte Tischler, der sich selbst »Holzschmied« nennt, arbeitet meistens in seiner Werkstatt im Spreewald. Dort baut er Ziegen- und Schafställe. Am Donnerstag läuft er das erste Mal den Wildnispfad entlang, für den er Verschiedenes selbst gestaltet hat. Dazu gehören die Holzkonstruktionen für die Beschilderung, Sitzbänke und eine Himmelsliege, auf der man in die Sterne schauen kann. »Nicht vergessen, am 12. August ist Perseiden-Nacht«, erinnert eine Besucherin. Die seltenen Sternschnuppen lassen sich in der Lieberoser Wildnis bestimmt besonders gut beobachten.
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