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Anwälte gegen Palästina-Repression in Berlin

51 Anwält*innen in Offenem Brief an Polizei und Justiz: »From the river to the sea, palestine will be free« soll entkriminalisiert werden

Wird die Parole »from the river to the sea« mit dem zweiten Teilsatz »...palestine will be free« in Berlin weiterhin strafrechtlich verfolgt?
Wird die Parole »from the river to the sea« mit dem zweiten Teilsatz »...palestine will be free« in Berlin weiterhin strafrechtlich verfolgt?

Die Berliner Polizei nimmt regelmäßig Demonstrant*innen fest, wenn diese »from the river to the sea, palestine will be free« skandieren. Auf die Festnahmen können Strafbefehle und teilweise sogar Anklagen folgen. In den vergangenen Monaten hat das Berliner Amtsgericht jedoch mehrfach Menschen freigesprochen, die den umstrittenen Slogan verwendet haben.

Ist die Parole somit noch strafbar? 51 Anwält*innen wenden sich am Dienstag in einem Offenen Brief an Berlins Polizeipräsidentin Barbara Slowik Meisel und den leitenden Oberstaatsanwalt Jörg Raupach. Sie fordern den »umgehenden Stopp der Verfolgung von Menschen, welche diesen Protestslogan verwenden«, wie dem Brief zu entnehmen ist, der »nd« vorliegt.

Die Rechtsanwält*innen verteidigen Angeklagte im Zusammenhang mit dem Slogan oder verfolgen die gesellschaftliche Debatte dazu, wie sie schreiben. Zu den Unterzeichnenden gehören der Vorsitzende der Linksfraktion in der Bezirksverordnetenversammlung in Neukölln, Ahmed Abed, die Anwältin und Autorin Christina Clemm sowie Nadija Samour, Partneranwältin bei der Nichtregierungsorganisation (NGO) European Legal Support Center (ELSC). Das ELSC ist eine Rechtshilfeorganisation für die Solidaritätsbewegung mit Palästina in Europa.

Insbesondere in der Hauptstadt würden wegen des Slogans »pausenlos Menschen auf Demonstrationen festgenommen und erkennungsdienstlich behandelt, Strafbefehle und Bußgelder verhängt, Wohnungen durchsucht, Festplatten und Mobiltelefone beschlagnahmt, Einbürgerungen oder die Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen suspendiert, Demonstrationen untersagt oder aufgelöst«, heißt es in dem Brief. Die Festnahmen erfolgten dabei in den meisten Fällen gewaltsam und mit der Folge von körperlichen Verletzungen und des mehrstündigen Freiheitsentzugs. Zuletzt berichtete »nd« über derartige Gewalt auf der Internationalist Queer Pride, auf der die Parole skandiert wurde.

Den Unterzeichnenden zufolge seien seit dem 7. Oktober 2023 deutschlandweit mehrere Tausend Verfahren geführt worden. »Kein anderes Land weltweit ist im Übrigen bislang auf die Idee gekommen, den Slogan als Kennzeichen der Hamas zu verfolgen«, so die Anwält*innen. Die Staatsanwaltschaft klagt Menschen an, die die Parole benutzen, weil sie damit ein Kennzeichen einer verbotenen Vereinigung verwenden würden. Das Bundesinnenministerium hatte im November 2023 die Hamas zu so einer erklärt und die Parole »from the river to the sea« ohne den zweiten Teilsatz zum Symbol dieser erklärt.

»Kein anderes Land ist bislang auf die Idee gekommen, den Slogan als Kennzeichen der Hamas zu verfolgen.«

Offener Brief

Doch selbst ein Gutachten des Berliner Landeskriminalamts (LKA) aus dem Mai 2025 kann keine Belege für eine Verwendung der Parole durch die Hamas finden. Die Geschichte der Parole reicht bis in die 1960er Jahre zurück, als palästinensische Akteure sie benutzten, um einen säkularen Staat zu fordern. Die Parole wird und wurde von verschiedenen Organisationen verwendet. Auch die Hamas verwendete eine Abwandlung der Parole, jedoch nicht als Wahlspruch, so das Gutachten des LKA.

In ihrem Brief beziehen sich die Anwält*innen auf das LKA-Gutachten sowie auf vier verschiedene Freisprüche, die zwischen Mai und Juli 2025 vor dem Berliner Amtsgericht ergangen sind. Den Freisprüchen folgend hätten weitere Abteilungen des Amtsgerichts Anklagen der Staatsanwaltschaft nicht zur Hauptverhandlung zugelassen.

Ein Urteil des Landgerichts, mit dem eine Angeklagte rechtskräftig wegen der Verwendung der Parole verurteilt wurde und auf das sich die Staatsanwaltschaft regelmäßig berufe, sei nicht nur überholt, so der Offene Brief. Zudem sei auch nicht dargelegt worden, wie sich die Hamas den Slogan zu eigen gemacht habe. »Die von der Strafkammer vorgezeichnete Linie läuft auf eine pauschale Kriminalisierung der mehrdeutigen Wortfolge hinaus«, hatte der Anwalt Robert Brockhaus bereits im Februar 2025 im Verfassungsblog ausgeführt. Der Schuldspruch sei grundrechtlich bedenklich und »auch aus strafrechtlicher und tatsächlicher Perspektive problematisch«, so Brockhaus.

Auch die UN-Sonderberichterstatterin für Meinungsfreiheit hatte in einem Bericht aus dem Jahr 2024 geschrieben, eine pauschale Strafbarkeit sei nicht im Einklang mit den internationalen Menschenrechtsnormen. Denn somit würden all jene mit Strafe bedroht, die die Parole ohne Bezug zur Hamas verwenden. Die UN-Sonderberichterstatterin weist darauf hin, dass Wissenschaftler*innen, Menschenrechtsexpert*innen und viele jüdische Gruppen in dem Slogan den Aufruf zum Selbstbestimmungsrecht der Palästinenser*innen erkennen.

»Die Befunde des Gutachtens und des Amtsgerichts Tiergarten sind eindeutig – die Verwendung des Slogans ist divers, seine Bedeutung ist mannigfaltig«, heißt es in dem Brief an Slowik Meisel. Von der Polizeipräsidentin fordern die Unterzeichnenden, die Polizei unverzüglich anzuweisen, Menschen nicht mehr wegen der Parole zu verfolgen. Slowik Meisel antwortete auf Anfrage dazu nicht innerhalb einer kurzen Frist. Selbiges gilt für die Staatsanwaltschaft, von der die Unterzeichnenden des Briefes fordern, dass diese anhängige Anklagen und Strafbefehlsanträge zurücknimmt.

Der vollständige Offene Brief ist hier lesbar.

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