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Woidke und polnischer Botschafter uneins über Grenzkontrollen
Brandenburgs Ministerpräsident kann sich gemeinsame Kontrollen oder eine »Passierscheinlösung« für Pendler vorstellen
»Polen ist ein nicht mehr wegzudenkender Partner«, sagt Brandenburgs Ministerpräsident Dietmar Woidke am Dienstag auf der gemeinsamen Pressekonferenz mit dem polnischen Botschafter Jan Tombiński. Dieser ist zwar schon seit August 2024 im Amt, aber erst jetzt zu seinem Antrittsbesuch nach Brandenburg gekommen, von dem er gemeinsam mit Woidke berichtet.
Grenzkontrollen bleiben bestehen
Man habe ein sehr intensives und kurzweiliges Gespräch gehabt, so Woidke. Wichtigstes Thema: »Wie können wir auch in Zukunft die Vernetzung vorantreiben?« Da seien die Grenzkontrollen nur naheliegend. Nachdem die Bundesregierung die zuvor stichprobenartigen Kontrollen an den deutschen Außengrenzen am 8. Mai intensiviert hatte, war Polen am 7. Juli dieses Jahres nachgezogen und hatte eigene Kontrollen an der gemeinsamen Grenze gestartet. Die Kontrollen wurden zuletzt bis zum 8. Oktober verlängert.
Woidke wiederholt seine Position: Die Kontrollen seien notwendig, und sie hätten einen wesentlichen Beitrag dazu geleistet, die irreguläre Migration zurückzudrängen. Ein Wermutstropfen für den Ministerpräsidenten: »Dass die Grenzkontrollen nicht nur den Verkehr von Personen, sondern auch den wirtschaftlichen Verkehr in der Grenzregion beeinträchtigen, ist eine Tatsache.« Deswegen könnten die Kontrollen auch nicht »für die nächsten Jahre oder Jahrzehnte« so bleiben. Stattdessen müsse man daran arbeiten, dass man wisse, wer die europäischen Außengrenzen überquere.
Woidke sei »sehr dankbar« für die Schritte, die Polen in den letzten Jahren unternommen habe, gerade auch, um die Grenze zu Belarus zu sichern. Dort werde irreguläre Migration von Russland unterstützt, »als Hebel gegen die Europäische Union und damit auch als Hebel gegen Polen und Deutschland« verwendet. »Das hat Polen mit sehr viel Aufwand in den letzten Jahren verringert. Das verdient unsere Anerkennung«, so Woidke.
Nach einem Bericht von neun Menschenrechtsorganisationen vom Februar 2025 gab es im vergangenen Jahr an den polnischen Außengrenzen 13 600 illegale Pushbacks, also Zurückweisungen an der Grenze. Die Praxis verstößt gegen geltendes EU-Recht und internationale Vereinbarungen, da sie Menschen daran hindert, einen Asylantrag zu stellen und damit ein Grundrecht wahrzunehmen. Menschen auf der Flucht, die es trotz aller Schwierigkeiten über Polen in die Bundesrepublik schaffen, berichten von menschenunwürdigen Bedingungen im östlichen Nachbarland. Nachdem die polnische Regierung 2021 das gesamte Grenzgebiet zu Belarus abgeriegelt hatte, sind dort immer wieder Geflüchtete ums Leben gekommen. Menschen, die ihnen helfen, werden teilweise kriminalisiert.
Botschafter Jan Tombiński sagt, man stehe bei der Frage der Kontrolle der illegalen Migration »auf demselben Punkt«. Der illegale Grenzübertritt sei in beiden Ländern ein Delikt. »Aus diesem Grund hat Polen massiv in den Schutz der Außengrenze der Europäischen Union investiert«, so der Botschafter. Diese Investitionen in den »Schutz der Ostgrenze« seien aber nur dann gerechtfertigt, wenn an innereuropäischen Grenzen Freizügigkeit gewährleistet sei.
Anders als Woidke hält Tombiński die deutschen Grenzkontrollen nicht für nötig. Die geringe Zahl von Menschen, die ohne gültige Dokumente nach Deutschland gelangen, rechtfertige die Kontrollen nicht. Man wolle, dass sie so schnell wie möglich beendet werden. Auch der Botschafter spricht von den wirtschaftlichen Konsequenzen. Es gebe Tausende von Unternehmen, die im Grenzbereich zusammenarbeiten, dazu noch Tausende Pendler*innen. »Wir müssen dafür sorgen, dass wir dieses Kapital schützen«, so Tombiński.
Brandenburgs Ministerpräsident kann sich mehrere kurzfristige Lösungen vorstellen, sollte die Bundesregierung in absehbarer Zeit nicht von den Kontrollen abrücken. Neben gemeinsamen Kontrollen mit den polnischen Grenzschützern sei auch eine »Passierscheinlösung« denkbar, wie sie während der Corona-Pandemie angewandt wurde. Ziel sei es, »dass die Berufspendler möglichst ohne größere Verzögerung die Grenze passieren können.«
Infrastruktur soll verbessert werden
Neben den aktuellen Grenzkontrollen gibt es aber auch andere Hindernisse für eine engere Zusammenarbeit, vor allem in der Infrastruktur. Woidke sagt, es gebe ein Defizit, was Verbindungen allgemein und Brückenverbindungen betreffe. »Das ist eine riesengroße Herausforderung für die kommenden Jahre und Jahrzehnte.« Das wichtigste Projekt werde hier die Strecke Berlin–Küstrin sein. Deren Ausbau sei eine Verpflichtung der Bundesregierung. Er werde sich dort für den Ausbau einsetzen. Denn sie helfe Polen und vor allem auch Deutschland.
Hoffnung setzt Woidke dabei in das Sondervermögen Infrastruktur und Klimaneutralität. Der Ministerpräsident sagt, er wolle bei der Verteilung das Projekt »ganz nach oben setzen«. Anders als auf polnischer Seite ist die Bahnstrecke in Brandenburg eingleisig und nicht elektrifiziert.
Auch Botschafter Tombiński sieht Defizite in der Infrastruktur. Diese sei hinsichtlich der wirtschaftlichen Zusammenarbeit nicht ausreichend. Er moniert weiter, dass es bislang nur vier Grenzübergänge für die Bahn gebe.
Eine weitere Möglichkeit, Infrastrukturverbesserungen zu finanzieren, sind EU-Gelder. Der EU-Kommissar für Verkehr, Apostolos Tzitzikostas, hatte vor Kurzem gegenüber der »Financial Times« angekündigt, 17 Milliarden Euro in die europäische Infrastruktur investieren zu wollen. Der Hintergrund dieser Pläne ist allerdings nicht wirtschaftlicher, sondern militärischer Natur – und Teil der massiven Aufrüstungspläne der EU. Der Kommissar warnte in dem Interview, dass Straßen, Brücken und Bahnlinien in Europa nicht dafür ausgelegt seien, Panzer, Truppen und Militärgerät schnell über den Kontinent zu transportieren, sollte es zu einer militärischen Auseinandersetzung mit Russland kommen.
Auf diesen Finanztopf angesprochen, erklärt Ministerpräsident Woidke, man werde alle Möglichkeiten nutzen, die Defizite in der Grenzregion zu beseitigen. Tombiński sagt, es sei klar, dass nicht nur die Wirtschaft, sondern auch die Sicherheitssituation in Europa den Ausbau der Infrastruktur erzwinge. Er stelle aber klar, dass die Finanzarchitektur nicht Thema des Gesprächs gewesen sei.
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