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Verkehrsinfarkt durch Grenzkontrollen
Staus an der Stadtbrücke von Frankfurt (Oder) und Kunstaktion in Zollbrücke
Schon seit Mitte Oktober 2023 kontrolliert die Bundespolizei aus Polen einreisende Menschen wie vorher seit dem Jahr 2007 nicht mehr. Bereits das behinderte Pendler und Speditionen. Immerhin pendeln 14 000 Polen zur Arbeit nach Brandenburg und weitere 4000 nach Berlin.
Seit Montag schlägt Polen zurück und kontrolliert seinerseits aus Deutschland einreisende Personen. Nun werden die in Deutschland arbeitenden polnischen Ärzte und Krankenschwestern, Putzfrauen und Handwerker nicht nur früh auf dem Weg zur Arbeit aufgehalten, sondern auch abends, wenn sie heimkehren. Frankfurt (Oder) erlebe jeden Abend bis in die frühen Morgenstunden einen »Verkehrsinfarkt«, berichtet der Stadtverordnete Jan Augustyniak (Linke). Teils stauen sich die Fahrzeuge bis hoch zur Heilbronner Straße, die einen Kilometer vom Grenzübergang Stadtbrücke entfernt liegt.
Wie Augustyniak beobachtete, kontrollieren die Polen jetzt nicht anders, als es auch die Bundespolizei tut. Denn die zwingt alle Autos, langsam an ihnen vorbeizufahren und schaut in die Fahrzeuge hinein. Sehen die Insassen nach weißen Deutschen oder Polen aus, werden sie durchgewunken. Dunkelhäutige oder irgendwie südländisch aussehende Fahrer oder Beifahrer sowie Frauen mit Kopftüchern werden angehalten und müssen ihre Pässe vorzeigen. So versucht Deutschland, Flüchtlinge fernzuhalten, die unter Umständen abgewiesen werden.
»Damit stirbt die europäische Idee.«
Jan Augustyniak Linke-Stadtverordneter
Das besondere Problem der polnischen Kontrollen an der Stadtbrücke: Auf deutscher Seite ist die Straße hinter der Brücke zweispurig und weist noch einen grünen Mittelstreifen auf. Hier können zu kontrollierende Autos herausgezogen werden, während der Verkehr daneben zumindest schleichend weiterrollt. Auf polnischer Seite in der Schwesterstadt Słubice ist die Straße von der Brücke herunter nur einspurig. Wenn dort jemand angehalten wird, müssen alle warten. Wenn die Insassen eines Reisebusses kontrolliert werden, dauert das drei bis vier Minuten, berichtet der Stadtverordnete Augustyniak.
Er hatte sich schon 2023 gegen die deutschen Kontrollen gewandt und protestierte nun am Montag mit neun anderen Menschen gegen das polnische Vorgehen. Es sei ein »stiller Protest mit Schildern« gewesen, unter dem Motto »Doppelstadt bleibt solidarisch«, sagt Augustyniak dem »nd« am Freitag. Auf den Schildern habe gestanden: »Open hearts, open minds, open borders« (Offene Herzen, offene Gedanken, offene Grenzen). »Damit stirbt die europäische Idee«, beklagt der Kommunalpolitiker die beiderseitigen Kontrollen, die auch auf der Autobahn von Berlin nach Warschau für Staus und zähflüssigen Verkehr sorgen. Acht bis zehn Kilometer bis vor Jacobsdorf betrug der Rückstau dort am Freitag gegen 13 Uhr, was die Fahrzeit bis zur Grenze um knapp 20 Minuten verlängerte.
»Die aktuelle Lage an der brandenburgisch-polnischen Grenze – etwa am Grenzübergang in unserer Doppelstadt Frankfurt (Oder)/Słubice – bereitet uns große Sorgen«, gesteht der Landtagsabgeordnete Kurt Fischer (SPD). Es müsse schnell eine Lösung gefunden werden, die Lage zu entschärfen und das Zusammenleben und den täglichen Pendelverkehr in der Grenzregion zu erleichtern. Wünschenswert wäre laut Fischer, dass deutsche und polnische Beamte gemeinsam kontrollieren und sich dabei die Infrastruktur teilen. »Die grundsätzliche Notwendigkeit von Grenzkontrollen zur Steuerung und Ordnung von Migration ist nachvollziehbar«, meint Fischer. »Doch diese muss im Sinne der grenzüberschreitenden Zusammenarbeit und Freundschaft zwischen Deutschland und Polen praktikabler gestaltet werden.«
70 Kilometer nördlich von Frankfurt (Oder) werden in Zollbrücke an den Wochenenden 19. und 20. sowie 26. und 27. Juli eine Polnisch sprechende Fährfrau und ein Deutsch sprechender Fährmann Besucher zum anderen Ufer der Oder übersetzen – wo es außer Natur erst einmal nichts gibt. Zollbrücke ist einer der Orte im Oderbruch, die nicht mehr als ein paar Dutzend Einwohner zählen. Doch das in Zollbrücke ansässige Theater am Rand genießt einen ausgezeichneten Ruf und zieht Gäste von weither an.
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Nun lädt das Theater im Rahmen des vom Land Brandenburg geförderten Kulturlandjahres »Welten verbinden« zu Kunstaktionen, die angesichts der Grenzkontrollen besser nicht passen könnten. Die samstags und sonntags von 13 bis 20 Uhr halbstündlichen Fährfahrten gehören dazu. In den dabei gehaltenen Monologen wird es unter anderem heißen: »Brechen wir nun durch zur anderen Seite des Flusses.« Das ist auch das Motto der Kunstaktionen: Es bezieht sich auf einen Song von The Doors. Während diese US-Band 1967 sang »Break On Through To The Other Side« (Brich zur anderen Seite durch), heißt es jetzt in Anspielung auf den Grenzfluss »Break On Through To The Oder Side«.
Auf dem Programm steht unter anderem eine von Tomasz Kurianowicz, dem Chefredakteur der »Berliner Zeitung«, moderierte Diskussion zum Thema »Deutsche Waffen-Angst ODER polnische Wehrfähigkeit?« Und Michael Kurzwelly, der Slubfurt als verbindendes Kunstwort für Frankfurt (Oder) und Słubice erdachte, eröffnet die Botschaft eines imaginären Nova Amerika mit Menschen, die aus Afghanistan, Syrien, Kamerun, dem Iran, Polen und Deutschland stammen. Dazu steht in der Ankündigung: »In Nova Amerika braucht man nicht Asyl zu beantragen. Wer kommt, gehört sofort dazu.«
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