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Berliner Schätze aus 800 Jahren
Ein Münzschatz und ein Kinderstiefel – das Landesdenkmalamt präsentiert archäologische Funde vom Molkenmarkt
Dass ihre Hinterlassenschaften für Aufsehen sorgen, hätten die Bewohner*innen des mittelalterlichen Berlins wahrscheinlich nicht erwartet. Seit 2019 finden am ehemaligen Molkenmarkt archäologische Grabungen statt. Ein japanisches Samuraischwert aus dem 17. Jahrhundert wurde schon geborgen, eventuell ein Gastgeschenk japanischer Gesandter. Am Mittwoch präsentierte das Landesdenkmalamt direkt an der Grabungsstätte die nächsten herausragenden Funde, unter anderem einen Münzschatz aus dem 13. Jahrhundert.
Wie Eberhard Völker, Projektleiter der Grabung Molkenmarkt, ausführt, sind solche Münzfunde etwas Besonderes. Zum Vergleich: Bei einer Grabung im Bereich der alten Königstraße, der heutigen Rathausstraße, seien insgesamt mehr als 1500 Münzen gefunden worden, nur sechs von ihnen aus dem 13. Jahrhundert. Die fünfeinhalb Denare, die Völker präsentiert, sind aus Silberblech und so dünn, dass sie vom Wind weggeweht werden könnten, wären sie nicht mit einer Glashaube bedeckt. Geprägt sind sie auf der einen Seite mit dem Markgrafen dieser Zeit, Otto IV. Auf der Rückseite ist der Brandenburger Adler zu sehen. Was man mit den heute als Schatz bezeichneten Münzen im 13. Jahrhundert hätte kaufen können, sei nicht überliefert, so Völker. »Ich kann mir aber vorstellen, dass man einen Brotlaib damit kaufen konnte.«
Ein weiterer Sonderfund: Ein Kinderstiefel aus Leder, gefunden in einer ehemaligen Latrine. »In den Latrinen – feucht, kompakt, gut abgedichtet – erhält sich auch mal Leder oder Holz«, erklärt Archäologin Karoline Müller im Gespräch mit »nd«. Sandboden sei gut durchlüftet, dort würde das meiste verrotten, so Müller, die seit 2022 bei der Grabung am Molkenmarkt arbeitet.
Aber auch was sonst noch in den ehemaligen Notdurftgruben zu finden ist, ist aus archäologischer Perpektive interessant. »Latrinen liefern uns viele Informationen über das Alltagsleben«, sagt Müller. Dort finde man Speisereste oder auch bearbeitetes Knochenmaterial, so die Archäologin. Aus den ausgewerteten Proben könne man etwa herauslesen, was gegessen wurde und wie es zubereitet wurde. Und noch mehr: »Latrinen wurden nicht nur als Abort genutzt, sondern auch als Müllgruben. Und da landete dann alles, was nicht mehr gebraucht wurde.« Im Zweifel dann auch ein Kinderschuh.
Während der Vorstellung der weiteren Sensationsfunde – unter anderem ein Seidenband, das schon im 15. Jahrhundert aus China bis nach Berlin gekommen sein muss – wird auf dem Gelände weitergearbeitet. Unter anderem am ehemaligen Kornmesser-Waisenhaus, das bis zu seiner Zerstörung im Zweiten Weltkrieg in der Jüdenstraße 38 stand. Joachim Friedrich Kornmesser war von 1709 bis 1715 Berlins erster Bürgermeister, nachdem die Städte Berlin, Cölln, Friedrichswerder, Dorotheenstadt und Friedrichstadt per Erlass zusammengelegt wurden. Nach seinem Tod wurde aus seinem Vermögen ein Waisenhaus gestiftet, das Mitte des 19. Jahrhunderts umzog. In das Gebäude zog danach ein Pfandhaus.
Wenn die Erfassung des Gebäudes abgeschlossen ist – denn wie Grabungsleiter Völker erklärt, wird alles dreidimensional dokumentiert – wird das Gebäude abgetragen, um darunter die nächsten Schichten freizulegen und auszuwerten. »Wir wollen ja noch zwei Meter tiefer«, sagt Völker.
Es wird wohl noch weitere Funde zu präsentieren geben. Denn die Arbeiten auf den rund 22 000 Quadratmetern sind noch lange nicht abgeschlossen. »Ab 2026 stehen noch 5000 Quadratmeter Fläche an«, sagt Völker. Insgesamt werden rund 88 000 Kubikmeter des historischen Untergrunds bewegt werden müssen. Davon 50 000 von Hand – mit Schaufel, Spaten und Kelle. Schon jetzt gibt es 700 000 Funde, die ihrer Auswertung harren. Denn die Grabungen haben Priorität.
Auf dem Gelände soll irgendwann das Molkenmarkt-Quartier mit 450 Wohnungen entstehen. Aktuell läuft ein Architekturwettbewerb. Die Geschichte Berlins soll aber trotz Überbauung sichtbar bleiben. Vorgesehen sind »archäologische Fenster«, durch die Teile der Grabungen zu sehen sein sollen.
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