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Teichrosen und olle Dorfbengels
Seit Jahren besucht unsere Kolumnistin die Alte Oder – ihren Rückzugsort
Unsere Badestelle ist immer noch die Alte Oder. Ein schöner Sandstrand, wir sind den Berg hoch, man konnte runterrollen oder von ganz oben ins Wasser rennen. Und wunderbare Murmeln machen. Das ist der beste Sand, der hat so eine Dichte, das habe ich an keinem anderen Strand so gut hingekriegt wie hier.
Die Büsche am Ufer sind diesen Sommer hüfthoch. Stare sammeln sich auf einem abgestorbenen Baum, die Ulme verdoppelt sich im Wasser. Teichrosen bilden Blattinseln mit gelben Tupfern entlang des Oderarms – ein Altarm mit gleichmäßiger Breite von etwa acht Metern, vielleicht hundert Meter lang. Mittig senkt sich der Oderhang ins Wasser, Spuren führen durch den Sand auf den nächsten Hochweg. Wir legen die Sachen ab und waten hinein, mitten in gespiegelte Wolken. Kühles Nass umschließt mich, Sichtweite gut ein Meter. Ich schwimme bis zum nächsten Teichrosenteppich, als meine Freundin ruft: »Da war letztens noch ein Baum, schwimm lieber nicht weiter. Nicht, dass du dir den Bauch aufschlitzt«.
Anne Hahn ist Autorin von Romanen und Sachbüchern und schwimmt für »nd« durch die Gewässer der Welt.
Lebus an der Oder. Seit fünfzehn Jahren komme ich mehrfach im Jahr, um zu schreiben, zu wandern und zu schwimmen. Die Landschaft erinnert mich an meine Kindheit an der Elbe. Meine Freundin, auch ein Elbe-Kind, schloss sich an. Jede arbeitet für sich, schwimmen gehen wir gemeinsam. Meine Neugier auf Lebus wuchs mit jedem Besuch. Inzwischen habe ich mit etlichen Menschen Gespräche geführt, mit ihnen Feste gefeiert, am Feuer gesessen. Stimmen gesammelt, aufgeschrieben. Die Wirtin unserer Pension erzählt von der Badestelle.
Meine Kinder durften auch hier schwimmen lernen. Und die Gäste des Hauses. Vormittags wurde gearbeitet und nachmittags durfte man an die Oder gehen. Da wurden Brötchen geschmiert mit Butter und Salz, Wasser oder Tee mitgenommen, ein paar Äpfel, alles auf den Bollerwagen, dann ist man los. Und es war ein ungeschriebenes Gesetz: Wenn man es geschafft hat, ohne Begleitung die Alte Oder zu durchschwimmen, dann hatte man die Schwimmstufe und durfte auch allein zur Oder, ohne Erwachsene.
Mit seiner Furt am Bergrücken wurde Lebus jahrtausendelang besiedelt, umkämpft, zerstört und immer wieder aufgebaut. Nächstes Jahr feiert Lebus 800 Jahre Stadtrecht und lockt Gäste mit dem Hinweis auf spektakuläre Natur. Adonisröschen, Oderhänge, Radwege. Ausblicke auf die Skyline Frankfurts und ins Lebuser Land. Und immer wieder der Fluss. Biber, Hochwasser und Umweltkatastrophen wandeln die Landschaft der Oder. An der Badestelle sind gerade alle Weiden verschwunden, ich schlitze mir zum Glück nichts auf. Wir haben uns genug abgekühlt, laufen den Pfad zurück. Die Sonne geht hinter dem Hang unter, alles ist in rosa Licht getaucht. Ein Graureiher steckt seinen Kopf zwischen die Federn. Ein junger Mann führt Schäferhunde in Richtung Badestelle, eine Fledermaus flattert vorbei. Wir laufen den Kietzer Berg hinauf, dem Garten, dem Feuer und neuen Geschichten entgegen.
Früher waren mehr Leute aus dem Ort unten an der Badestelle. Da haben sich Banden gebildet und man hat schon ein Auge geworfen auf irgendwelche hübschen Jungs, die ollen Dorfbengels.
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