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Torwart Svend Brodersen ist in Japan ein Star
Der ehemalige Torwart des FC St. Pauli ist so etwas wie der Anti-Profi
Auf dem Transfermarkt ist es derzeit wieder wie jedes Jahr: bis zum »Deadline Day«, am 1. September um 18 Uhr, werden Fußballer wild gehandelt. Und nicht wenige dieser Transfers werden auch diesmal wieder von Beratern eingefädelt, ohne dass die betreffenden Spieler involviert wären. Aber für Chancen auf Spielzeit, Marktwertsteigerung und Topgehalt nicken viele Kicker die Deals einfach ab.
Fragt man Svend Brodersen nach diesen Auswüchsen im Profifußball, muss er nur grinsen. Der gebürtige Hamburger kommt gerade vom Vormittagstraining seines Arbeitgebers Fagiano Okayama, einem japanischen Erstligisten, und nimmt in einer Kabine Platz. »Fußball spielen kannst du überall«, sagt der 28-jährige Torwart mit blankrasierter Glatze, und fügt hinzu: »Es gibt auch Transfers, da verzichtest du auf die Bundesligakarriere, kannst dafür aber auf andere Weise so viel mehr gewinnen.« Ihm sei es so ergangen.
Seit vier Jahren spielt Brodersen in Japan – und wurde dort schnell zum Star. Das liegt einerseits an seinen spektakulären Paraden beim Yokohama FC und seit Anfang 2024 in Okayama. Andererseits sticht »Bro«, wie er oft genannt wird, auch abseits des Platzes heraus. Brodersen ist als Fan der japanischen Popkultur bekannt – ein Grund, warum er überhaupt nach Japan kam. »Man nennt mich hier auch Otaku«, sagt er nach dem Training und lacht. Otaku heißen in Japan Personen, die Tag und Nacht so viel Anime und Manga wie möglich konsumieren – und teilweise gedanklich in vielfältigen Fantasiewelten leben. Brodersen liebe zum Beispiel »One Punch Man«, eine Story über einen Typen mit einem übernatürlich kräftigen Faustschlag. Oder »Slam Dunk«, eine Geschichte über ein Basketballteam. Die Liste der Anime, die Brodersen schon »weggesuchtet« hat, ist natürlich deutlich länger.
Warum das erwähnenswert ist? Weil Brodersens Liebe für Japans Popkultur eben ein wichtiger Grund war, warum er im Sommer 2021 den FC St. Pauli verließ. »Ich bin nicht primär wegen des Fußballs gewechselt«, erklärt er. Im Statement vom Yokohama FC, wo Brodersen damals anheuerte, hieß es: »Meine Kindheit wurde durch Nintendo, Godzilla, Samurai, ›Fast & Furious‹ stark von der japanischen Kultur beeinflusst. Seitdem ist es mein Traum gewesen, eines Tages nach Japan zu kommen.«
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Der Schritt eines Antiprofis? Zustande gekommen war der Deal jedenfalls nicht über einen Berater, der Marktwertpotenzial sah, sondern über Gespräche in der Kabine von Brodersens Klub, dem damaligen Zweitligisten St. Pauli. »Mein Vertrag lief aus, ich hätte wohl verlängern können, aber eher mit Reservistenrolle.« So fragte er seinen Kabinennachbarn aus, den Japaner Ryo Miyaichi. »Ryo gab mir ein paar Tipps.« Und als glückliche Fügung standen dann die Olympischen Spiele von Tokio 2021 bevor – im Zuge derer Brodersen bereits seine am Abenteuer orientierte Einstellung zum Fußball offenbarte. Denn der DFB hatte Probleme, für das olympische Turnier, das im Profifußball keinen hohen Stellenwert hat, einen Ersatztorwart zu finden, viele wollten nur zusagen, wenn sie auch wirklich spielen würden. Als der ehemalige Jugendnationaltorwart Brodersen gefragt wurde, ging es ganz schnell: »Auch ohne zu spielen hatte ich sofort Bock!«
Am Ende eines für den DFB erfolglosen Turniers trat Brodersen die Heimreise gar nicht erst wieder an. »Als ich 2021 ins Land kam, konnte ich ja noch kein Wort Japanisch. Aber ich hab’ es mir dann angeeignet, indem ich alle möglichen Animes auf Japanisch ansah und bald auch Manga auf Japanisch las. Das machte Spaß, das funktionierte!« Auch wegen dieser Kenntnisse fällt Brodersen im japanischen Fußball heute auf. Andere ausländische Stars wie Lukas Podolski, Andres Iniesta oder David Villa haben es während ihrer Engagements nicht geschafft, die japanische Sprache zu lernen. Brodersen aber beherrscht sogar die vielen delikaten Höflichkeitsformen. Und wenn er zu Medienterminen dann in T-Shirts beliebter Mangastorys kommt, jubelt das Land.
Als er deutschen Teamkollegen den Wechsel erklärte, hätten viele mit dem Kopf geschüttelt. »›Dann bist du weg vom Fenster‹, sagten sie.« Er selbst sah das damals schon anders. Parallel zum Fußball hat Brodersen Psychologie studiert und Eigenschaften der japanischen Kultur erlernt. »Heute bin ich ein ruhigerer Typ als früher. Ich konzentriere mich weniger auf mich selbst und mehr auf meine Umwelt.« Das helfe in der Mannschaft, aber auch im Privaten.
Brodersen hat sich aber auch sportlich weiterentwickelt. Als das Fachmagzin »kicker« im Juni die deutschen Auslandsprofis analysierte, wurde neben Nicolas Kühn von Celtic Glasgow nur Svend Brodersen als »herausragend« eingestuft. Und so sagt Otaku grinsend: »Ich habe in Japan mein Glück gefunden.«
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