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UN-Plastikabkommen: Neuer Kopenhagen-Moment
Kurt Stenger über die vorerst gescheiterten Verhandlungen über Begrenzung der Kunststoffverschmutzung
Katerstimmung in großen Teilen der Welt: Einigen wenigen, autokratisch regierten Ölförderländern ist es gelungen, die finale Runde der Verhandlungen über ein UN-Plastikabkommen platzen zu lassen. Dass diese komplett ergebnislos blieb, ist ein Trauerspiel angesichts der breit von Wissenschaft, Verbänden und Staatsvertretern geteilten Erkenntnis, dass dringender Handlungsbedarf gegen die zunehmende Plastikverschmutzung besteht. Nicht wenige Beobachter hatten gehofft, dass es zumindest irgendein, zur Not auch schwaches Ergebnis gibt. Liegt ein weltweit verbindliches Abkommen erst mal vor, lasse sich dieses auf lange Sicht nachbessern. Aus dieser Perspektive braucht es nun einfach weitere Verhandlungsrunden, wie etwa aus der deutschen Regierung gefordert wird.
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Doch viele ambitionierte Länder sahen dies in Genf anders. Daher wäre es jetzt weit besser, den Eklat als Chance für einen echten Reset zu nutzen. So war es übrigens 2009 nach dem Klimagipfel in Kopenhagen, der im Streit endete und in einen Neuanfang mündete, der letztlich den Weg zum Pariser Vertrag ebnete. Die Chancen sind auch jetzt gut: In Sachen Plastik drängt die große Mehrzahl der Staaten auf einen ambitionierten Vertrag. Wenn sie und die UN-Verhandlungsleitung sich nun von der »Tyrannei des Konsenses« lösen, wie es etwa die Umweltgruppe Center for International Environmental Law fordert, wäre viel gewonnen. Mit Mehrheitsbeschlüssen ließe sich ein ambitioniertes Abkommen zeitnah realisieren. Und wenn nicht alle mitmachen, ist das alles andere als ein Beinbruch. Die USA unter Donald Trump halten sich als wichtiger Player ohnehin bei internationalen Verhandlungen raus.
Wichtig wäre es, die Hauptblockierer Saudi-Arabien, Russland, Iran und andere Ölländer ins Abseits zu stellen. Hier wäre einerseits die auch in dieser Frage gespaltene Brics-Schwellenländergruppe gefragt, unter Beweis zu stellen, ob sie mehr als ein zahnloser Tiger ist. Und das könnte auch den zuletzt stockenden Klimaverhandlungen, die in wenigen Monaten unter Leitung Brasiliens weitergehen, den dringend erforderlichen Push geben.
Andererseits müssten die EU-Staaten und andere Industrieländer, die ein starkes Abkommen anstreben, in Sachen Plastikregulierung vorangehen. Dabei dürften sie nicht ihrer Chemieindustrie nachgeben, die das Ganze auf einen Abfallmanagementplan reduzieren will, sondern müssten kritische Wissenschaftler und Umweltverbände endlich gleichberechtigt in die Verhandlungen aufnehmen. Einfach auf die Blockierer zu zeigen, ist zu billig.
Der Multilateralismus des kleinsten gemeinsamen Nenners führt beim Plastikthema ganz offenkundig ins Nichts. Statt Katzenjammer anzustimmen und auf ein Weiter-so zu setzen, bietet sich jetzt die Chance, den Eklat in Genf in einen neuen Kopenhagen-Moment umzumünzen.
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