- Berlin
- Straßenumbenennung
Hunderte feiern die Anton-Wilhelm-Amo-Straße in Berlin
Nach jahrelangem Kampf und kurzfristigen Verhinderungsversuchen gibt es die Mohrenstraße in Mitte nicht mehr
»Heute schreiben wir Geschichte!«, rief die Rednerin auf dem Hausvogteiplatz im Berliner Ortsteil Mitte und die Menge jubelte. Nach jahrelangem juristischen Tauziehen wurde am Samstagnachmittag die Mohrenstraße aufgrund der rassistischen Dimension des Namens in Anton-Wilhelm-Amo-Straße umbenannt. Hunderte Menschen waren gekommen, um den Schritt zu feiern. »Jetzt hat das Warten ein Ende«, sagte die britisch-deutsche Schriftstellerin Sharon Dodua Otoo. Der 23. August als Internationaler Tag zur Erinnerung an den Sklavenhandel und dessen Abschaffung sei »der perfekte Tag für diese Umbenennung«.
Anton Wilhelm Amo gilt als erster Philosoph afrikanischer Herkunft in Deutschland, seine Biografie ist jedoch lückenhaft. Geboren wurde er um 1700 oder 1703 bei Axim im heutigen Ghana. Als Kind wurde Amo nach Holland verschleppt und soll 1707 von der Holländisch-Westindischen Gesellschaft dem Herzog Anton Ulrich von Braunschweig-Wolfenbüttel »geschenkt« worden sein, wie das Institut für Europäische Ethnologie (IfEE) der Humboldt-Universität auf seiner Website schreibt. Demnach diente Amo zunächst als Lakai, bis er, ermöglicht durch eine finanzielle Förderung der Herzöge, ab 1727 an der Universität Halle Philosophie studierte. Später promovierte er und lehrte an den Universitäten Wittenberg, Halle und Jena. Anfang 1747 kehrte er nach Ghana zurück, wo er schließlich starb.
Um die Umbenennung der Straße hatte es einen jahrelangen Rechtsstreit gegeben. Noch zwei Tage zuvor war es der Bürgerinitiative »Pro Mohrenstraße« gelungen, die geplante Umbenennung mit einem Eilantrag beim Berliner Verwaltungsgericht erneut zu verzögern. Das Bezirksamt Mitte legte jedoch Beschwerde beim Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg ein. Dieses lehnte tatsächlich noch am Freitagabend die Eilanträge ab und gab dem Bezirksamt recht.
Ein Erfolg auch für Bezirksbürgermeisterin Stefanie Remlinger (Grüne): »Wir haben gewonnen«, rief sie auf dem Festakt, zu dem neben zahlreichen Aktivist*innen auch einige Politiker*innen der Grünen und der Linken gekommen waren. »Wir blicken nicht mehr mit Angst auf diesen rassistischen Namen, sondern mit Stolz und Würde«, sagte ein Redner.
Laut dem Duden ist die Bezeichnung Mohr für Schwarze Menschen veraltet und diskriminierend. Zahlreiche Initiativen sehen das ähnlich. Das IfEE führt mehrere Beispiele für die abwertende und diskriminierende Verwendung des M-Wortes an. Bereits seit den 1990er Jahren fordern Aktivist*innen daher die Umbenennung der Straße und der gleichnamigen U-Bahn-Station. Immer wieder wurden die als rassistisch wahrgenommenen Straßenschilder in »Möhrenstraße« umbenannt.
»Die Umbenennung ist ein Symbol dafür, dass eine rassistische Fremdbezeichnung für Schwarze Menschen, Menschen afrikanischer Herkunft, aus dem öffentlichen Raum verbannt wurde.«
Tahir Della Decolonize Berlin
Eine Petition des Bündnisses Decolonize Berlin im Sommer 2020 zur Umbenennung erhielt fast 15 000 Unterstützer*innen. »Wenn wir Rassismus verstehen und bekämpfen wollen, müssen wir uns nicht nur kritisch mit Deutschlands Kolonialgeschichte auseinandersetzen, sondern auch die Geschichte von Menschen afrikanischer Herkunft in Deutschland sichtbar machen«, so die Initiative. Daraufhin unterstützten mehrere in der Straße ansässige Institutionen wie das IfEE die Umbenennung, auch die BVG sprach sich für eine Umbenennung der U-Bahn-Station aus. Im August 2020 beschloss die Bezirksverordnetenversammlung Mitte, die Straße in Anton-Wilhelm-Amo-Straße umzubenennen, im April 2021 verfügte das Bezirksamt Mitte die Umbenennung.
Doch bereits einen Monat später rief der Historiker Götz Aly in der »Berliner Zeitung« dazu auf, die Mohrenstraße zu »retten«. Für ihn gehört der Name zur Stadtgeschichte, eine Umbenennung bezeichnete er als »Geschichtsfrevel« und rief dazu auf, per Brief an das Bezirksamt Widerspruch gegen die beschlossene Umbenennung einzulegen. Über tausend Bürger*innen kamen dem Aufruf nach, davon waren allerdings nur 32 Anwohnende der Mohrenstraße. So konnte die beschlossene Umbenennung um Jahre verzögert werden. Sieben Klagen wies das Verwaltungsgericht Berlin am 6. Juli 2023 ab, das Urteil ist seit dem 8. Juli 2025 rechtskräftig.
Die Beschwerdeführer sind jetzt noch die Bürgerinitiative »Pro Mohrenstraße« um deren Vorsitzenden, den 83-jährigen Rechtsanwalt Bodo Berwald, sowie den 78-jährigen Götz Aly. Damit begab er sich in die Gesellschaft von Männern, von denen einer vor Gericht sogar die »Freiheit des deutschen Volkes« verteidigen wollte. »Ich bedaure ausdrücklich, dass der Konflikt so sehr über die Gerichte ausgetragen wird«, sagte Bezirksbürgermeisterin Remlinger am Samstag an die Beschwerdeführer gerichtet. »Ich hätte lieber diskutiert und biete allen, die gegen diese Umbenennung sind, nach wie vor auch das Gespräch an.« Sie wolle verstehen, wo dieses »Maß an verbittertem Kampf gegen so eine gute Sache eigentlich herkommt«.
Aber zunächst wurde am Samstag gefeiert. »Große Freude« empfand Tahir Della, Vorstandsmitglied von Decolonize Berlin und der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland. Die Umbenennung sei ein großer Erfolg für die Zivilgesellschaft, aber erst der Anfang des Prozesses. »Alle gesellschaftlichen Bereiche müssen in den Blick genommen werden und auf die kolonialen Kontinuitäten und Spuren untersucht werden«, sagte Della zu »nd«. »Die Umbenennung ist ein Symbol dafür, dass eine rassistische Fremdbezeichnung für Schwarze Menschen, Menschen afrikanischer Herkunft, aus dem öffentlichen Raum verbannt wurde und dass eine zentrale Persönlichkeit aus der Schwarzen Community, Anton Wilhelm Amo, ab sofort mit der Straße geehrt wird«, so Della. Die Umbenennung sei ein »starkes Signal für Vielfalt und Weltoffenheit«, schrieb auch das in der Straße ansässige Hotel Hilton.
Am Samstagnachmittag um kurz vor vier war es schließlich so weit: »Anton-Wilhelm-Amo-Straße« riefen die Anwesenden enthusiastisch, als das weinrote Tuch feierlich entfernt und der Blick auf den neuen Straßennamen freigegeben wurde.
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