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Ab aus der Mitte
Teile der Union fühlen sich der extremen Rechten näher als dem Rest des Parlaments. Die AfD steht schon bereit.
Die Meldung, dass der Büroleiter des CDU-Bundestagsabgeordneten und Staatssekretärs Philipp Amthor einer rechtsextremen Burschenschaft angehört, hat mich nicht im Geringsten überrascht. Zwar ist der Büroleiter inzwischen aus der Burschenschaft ausgetreten, sein Amt bei Amthor behält er aber offensichtlich. Der Vorgang fügt sich in ein Bild der CDU, die im Begriff ist, der extremen Rechten Tür und Tor zu öffnen. Weniger offensichtlich, aber im parlamentarischen Betrieb unübersehbar sind die Entwicklungen bei der AfD, die sich ebenfalls auf eine Rechtskoalition vorbereitet.
Wer glaubte, die CDU wäre nach der versenkten Kanzlerwahl von Anfang Mai wenigstens vorübergehend demütig, irrte. Bei der Wahl der Verfassungsrichter*innen zeigte sich erneut, dass man auf das Wort der Union nichts geben kann. Das Chaos um die Wahl, angeheizt durch eine Schmutzkampagne insbesondere gegen Frau Professor Brosius-Gersdorf vonseiten rechter Medien, rechter Unionspolitiker und der AfD, hätte durch besonnene Mehrheitsbeschaffung ausgebremst werden können.
Dass dies nicht erfolgt ist, lässt nur zwei mögliche Schlüsse zu: Entweder rutscht die CDU entgegen dem Willen von Partei- und Fraktionsführung wieder in dieses Chaos. Dies würde bedeuten, dass Jens Spahn und Friedrich Merz nicht in der Lage sind, ihre Fraktion auf ein einheitliches Vorgehen abzustimmen. Oder, wesentlich alarmierender: Die Führung der CDU nimmt mindestens in Kauf, dass sich ein Teil ihrer Funktionäre bereits auf eine schwarz-blaue Kooperation einstellt, sie vielleicht sogar aktiv vorbereitet. Nach allem, was ich in den letzten Wochen im Deutschen Bundestag erlebt habe, gehe ich zunehmend von Letzterem aus. Dazu will ich einige Beobachtungen ins Feld führen.
Die CDU von 2025 unverändert der »Mitte« zuzuschlagen, wie es die Grünen weiterhin tun, ist eine gefährliche Illusion.
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Die Wahl der Bundesverfassungsrichter ist nur der letzte und öffentliche Teil eines Schauspiels, das sich uns Abgeordneten abseits des Rampenlichts im Bundestag, in den Länderparlamenten und auf kommunaler Ebene auf den Fluren, in Hinterzimmern und auf Straßenfesten sehr viel deutlicher darstellt und von dem mir zahlreiche Genoss*innen ebenfalls berichtet haben. Die fortschreitende Annäherung von Konservativen und Rechten ist kaum übersehbar. Sie beginnt bei der Kleidung und im Habitus und gipfelt im gemeinsamen Klatschen bei der Aussetzung des Familiennachzugs für Schutzberechtigte. Es braucht keine gemeinsamen Abstimmungen oder eine formale Zusammenarbeit, um zu sehen, dass ein Teil der Konservativen sich den Blauen näher fühlt als dem Rest des Parlaments.
Eine nicht öffentliche Erfahrung aus dem Haushaltsausschuss des Bundestags fügt sich in dieses Bild: Dort hatte der AfD-Bewerber für den Vorsitz bei der Wahl deutlich mehr Stimmen als die aus seiner eigenen Fraktion. Gut ein Drittel der CDU-Abgeordneten kann sich eher einen Vorsitzenden von rechts außen vorstellen als die Grüne Lisa Paus, die schlussendlich mit nur einer Stimme über den Durst als De-facto-Vorsitzende gewählt wurde.
Im Ausschuss ist die AfD den Konservativen gegenüber auffällig handzahm. Jens Spahn gegenüber ist sie, was die Maskenaffäre angeht, sogar fast schon unterwürfig. So großmäulig, wie die AfD sich im Plenum darstellt – im Haushaltsausschuss zumindest stört sie sich mehr an den Schuldenplänen von Finanzminister Lars Klangbeil (SPD) als an möglicher Vetternwirtschaft oder der Begünstigung von Unternehmen gegenüber den Menschen im Land. In diesem mächtigen Ausschuss ist die AfD eine zahme Opposition. Ihr Drang nach Anerkennung durch die anderen Parlamentarier ist dort größer als ihr Werben um Anerkennung bei der Bevölkerung. Hinter geschlossenen Türen zeigen die AfD-Abgeordneten ihr wahres Gesicht: Sie sehen sich längst als Teil eines neuen, rechten Establishments.
Wie aus einer »Politico«-Recherche zu erfahren ist, machen sich die Blauen strategisch zum Regieren bereit. Zumindest wird das aus einem geleakten Strategiepapier aus ihrer Fraktionsklausur ersichtlich. Sie wollen sich selbst im Parlament einen Verhaltenskodex geben (davon war in den vergangenen Wochen noch nicht viel zu spüren), seriöser auftreten und die CDU dazu bringen, die Brandmauer einzureißen.
Klar ist: Die AfD steht in vielen ostdeutschen Bundesländern und auch im Bund an der Schwelle zur stärksten Kraft und ist willens, allein oder mit einem Partner zu regieren. Die Regierungsfrage drängt sich also von allein auf. Ob die AfD-Wähler ihnen diesen strategischen Schwenk danken, bleibt offen – immerhin speist sich ein Großteil des Potenzials der AfD aus dem Frust über die »Altparteien«. Was, wenn deutlich wird, dass die AfD selber diese Grenzlinie nicht mehr so eindeutig zieht?
Auf diese Form der »Entzauberung« können wir uns jedoch nicht verlassen. Selbst wenn sie eintreten sollte: In nur fünf Jahren würde eine AfD-geführte Regierung einen gigantischen Schaden an Grundrechten und im Sozialstaat anrichten, mit unabsehbaren Langzeitfolgen. Die linke Gegenstrategie ist, der AfD den Boden zu entziehen – aber grundlegend anders, als das in konservativen Kreisen diskutiert wird. Statt inhaltlich nach rechts zu rücken, werben wir für eine antifaschistische Wirtschaftspolitik, die die breite Mehrheit der Bevölkerung adressiert und durch konkrete Verbesserungen wirkt.
Aus dem geleakten AfD-Strategiepapier wird klar, dass die AfD – um sich der CDU anzunähern – auf einen polarisierten Kulturkampf mit der Linken setzt. Diesen Gefallen werden wir ihr nicht tun. Wer in der Sache standhaft bleibt, aber nicht auf jede Provokation der Rechten eingeht, macht ihnen einen Strich durch die Rechnung. Als Linke tun wir gut daran, nicht über jedes kulturkämpferische Stöckchen zu springen und uns weiter an den Alltagsinteressen der Menschen zu orientieren.
Der verzweifelte Ruf nach der politischen Mitte wird uns hingegen nicht retten. Die CDU von 2025 unverändert dieser »Mitte« zuzuschlagen, wie es die Grünen weiterhin tun, ist eine gefährliche Illusion. Wir selbst werden uns einer sinnvollen Zusammenarbeit nicht prinzipiell verweigern und unserer demokratischen Verantwortung gerecht werden. Aber in einem Moment, in dem die CDU sich sichtbar auf eine Zusammenarbeit mit dem rechten Rand einstellt, an eine politische Mitte zu appellieren, ist sinnlos. Der demokratische Block selbst wird zur Schimäre, wenn sich die CDU verhält, wie sie sich verhält, und die SPD bei allem willenlos bereit ist mitzugehen.
Ines Schwerdtner ist Ko-Vorsitzende der Linkspartei und Mitglied des Bundestags für den Wahlkreis Berlin-Lichtenberg.
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