Kölner Polizeikessel: »Zeitenwende und schlichte Rache«

Neue Details zum brutalen Polizeieinsatz gegen Anti-Kriegs-Demo in Köln: Es gab keine »Gasflaschen«

Die Kölner Polizei griff am Polizeikessel auch Beobachter*innen und Helfende in Warnwesten an.
Die Kölner Polizei griff am Polizeikessel auch Beobachter*innen und Helfende in Warnwesten an.

Die vermeintlichen »Gasflaschen«, die als Begründung für den stundenlangen brutalen Polizeieinsatz bei der Anti-Kriegs-Demonstration am Samstag in Köln dienten, waren offenbar Helium-Ballongasbehälter. Das bestätigt die Bundestagsabgeordnete Lizzy Schubert (Die Linke), die als parlamentarische Beobachterin vor Ort war, auf Anfrage von »nd«. Sie habe auf dem angegriffenen Lautsprecherwagen des revolutionären Blocks mit eigenen Augen eine entsprechende Verpackung gesehen. Schubert selbst wurde trotz ihrer Kennzeichnung von Polizeikräften geschlagen, gewürgt und weggeschubst, auch ihre Tasche wurde zerrissen.

Die Parade zum Abschluss des Camps von »Rheinmetall entwaffnen« endete am Samstag gegen 18 Uhr mit einem Großeinsatz der Polizei, bei dem hunderte Demonstrant*innen über elf Stunden eingekesselt und ihre Personalien festgestellt wurden. Zusätzlich sprach ihnen die Polizei Platzverweise für die Stadt Köln aus. Die letzten Eingekesselten kamen erst am Sonntagmorgen um 5:20 Uhr wieder frei. Auch ein Pressevertreter wurde zeitweise festgenommen, die Anwältin eines der Anmelder von der Polizei körperlich angegangen.

Reiner Schmidt, Versammlungsleiter eines der beiden Stränge der Parade, äußerte sich am Montag ebenfalls zu den Ereignissen. Er habe Schubert gebeten, sich an die »prügelnden Polizeibeamten« zu wenden, da diese nicht mehr mit ihm geredet hätten. »Wir gingen beide davon aus, dass sie durch ihre gelbe Weste ausreichend geschützt war«, erklärte Schmidt. Im Gespräch mit »nd« betonte die Abgeordnete, dass die Polizeigewalt gegen sie aber nicht im Fokus der Berichterstattung stehen solle: »Die massive Repression hat viele andere getroffen.«

Auch Schmidt wirft der Polizei Unverhältnismäßigkeit vor. Zuerst sei der Aufzug wegen angeblicher Vermummung gestoppt worden, dabei hätten sich lediglich »30 von 3000« maskiert. Von der Polizei gesehene »Eisenstangen« in einem der Blöcke hätten sich als metallisch glänzende PVC-Stangen für Plakate entpuppt. Weitere Stopps seien wegen über Kopf gehaltener Transparente erfolgt. Als schließlich drei Rauchtöpfe gezündet wurden, habe die Polizei zurückgeschlagen – während am selben Abend von der Stadt bei den »Kölner Lichtern« 4,7 Tonnen Pyrotechnik abgefeuert wurden.

Schmidt kritisiert, dass die Polizei die Versammlung ohne Rücksprache aufgelöst habe. Er vermutet als Grund für das harte Vorgehen sowohl die von der Bundesregierung ausgerufene militärische »Zeitenwende« als auch »schlichte Rache« der Polizei, da das Oberverwaltungsgericht Münster ihre Verbotspläne für die Demonstration gekippt hatte.

Trotz mehrfacher »nd«-Anfragen äußerte sich die Polizei nicht zu dem Vorwurf der Falschinformation. Auch wollte die Behörde keine genaueren Angaben zu 13 angeblich verletzten Beamt*innen vom Samstag machen. Da die Demonstration komplett friedlich verlief, können diese sich die Verletzungen allenfalls bei ihrer Attacke auf den revolutionären Block zugezogen haben.

Die zur Unterstützung von »Rheinmetall entwaffnen« angereisten Demosanis Südwest zählten am Samstag hingegen 147 Behandlungen bei Angegriffenen, davon 64 infolge von Pfeffersprayeinsatz. Über 100 weitere Personen wurden während oder nach der Parade in einer Sanitätsstation im Camp versorgt.

Scharfe Kritik an der Polizeirepression kam am Montag auch von der Linkspartei in Köln. »Wir stehen solidarisch an der Seite der Friedensbewegung und allen, die sich Militarisierung, Wehrpflicht und Aufrüstung entgegenstellen«, sagte ihr Sprecher Jan Schiffer und forderte eine lückenlose Aufklärung der Polizeigewalt und die Einstellung aller Verfahren gegen die Demonstrierenden.

»Wer für Frieden und Abrüstung eintritt, verteidigt unsere Grundrechte – und sollte nicht dafür niedergeknüppelt werden«, erklärt die Bundestagsabgeordnete Lea Reisner, die ihren Wahlkreis in Köln hat. Sie hatte mit Schubert für neun Stunden die Versammlung als parlamentarische Beobachterin begleitet. Der Mitteilung der Linken zufolge liegen noch Aktivist*innen im Krankenhaus.

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