»Dann kann die Polizei kippen«

Was passiert, wenn rechtsextreme Tendenzen auf ein AfD-geführtes Innenministerium treffen? Der Forscher Tobias Singelnstein im Interview

Ein geschlossen rechtsextremes Weltbild habe bislang nur eine kleine Minderheit der Beamten, meint Polizeiforscher Tobias Singelnstein. Aber die AfD-Erfolge spiegelten sich natürlich in den Reihen der Polizei.
Ein geschlossen rechtsextremes Weltbild habe bislang nur eine kleine Minderheit der Beamten, meint Polizeiforscher Tobias Singelnstein. Aber die AfD-Erfolge spiegelten sich natürlich in den Reihen der Polizei.

Wie rechts ist die Polizei aus Ihrer Sicht derzeit?

Wenn wir in die Einstellungsforschung aus den vergangenen Jahren gucken, dann zeigen die Befunde, dass es nur eine relativ kleine Gruppe von Beamt*innen mit einem geschlossen rechtsextremen Weltbild gibt oder bei denen viele menschenfeindliche und demokratieskeptische Einstellungen zusammenkommen. Und auf der anderen Seite agiert die Polizei natürlich nicht im luftleeren Raum, sondern entwickelt sich in einem reziproken Verhältnis zur Gesellschaft.

In einem im September erschienen Artikel haben Sie geschrieben, in der Institution sei etwas ins Rutschen geraten.

In Bundesländern wie Sachsen-Anhalt, Thüringen oder Sachsen, wo die AfD politische Mehrheiten erringen kann, muss man davon ausgehen, dass es diese Mehrheiten auch in der Polizei gibt. Und das bringt die Organisation Polizei noch stärker als bisher in einen inhaltlichen Widerspruch, weil die Polizei ja eigentlich die Verfassung schützen soll. Das ist ihr ihr Auftrag.

Was droht denn, wenn rechte Einstellungen von unten nach einer Landtagswahl auf eine rechtsextreme Innenministerin von oben treffen?

Dann – und das ist kein unrealistisches Szenario – kann es dazu kommen, dass die Polizei kippt. Dann erleben wir vermutlich in einzelnen Bundesländern eine Organisation, die eine ganz andere Polizeiarbeit macht, als wir sie heute kennen, die andere inhaltliche Schwerpunkte setzt, gegen andere Gruppen und Personen vorgeht.

Wie würde so eine Machtübernahme von rechts ablaufen? Können Sie ein Szenario skizzieren?

Ich glaube, der Begriff »Machtübernahme« suggeriert, dass es dann eine Situation oder einen Augenblick gibt. Wenn wir sehen, dass sich in den Einstellungen bei den Beamt*innen Dinge verändern, wenn wir sehen, dass politische Vorgaben sich ändern – so wird es sich Schritt für Schritt entwickeln. Wir werden also nicht schlagartig eine andere Polizei haben, sondern das ist eine schleichende Entwicklung, die aber, mit einer Perspektive von vielleicht ein oder zwei Legislaturperioden, dazu führen kann, dass wir doch eine ganz andere Polizei haben als heute.

Interview

Tobias Singelnstein ist Rechts­wissen­schaftler und Kriminologe, Professor für Strafrecht, Strafprozessrecht und Krimi­no­logie an der Goethe-Uni­ver­si­tät Frankfurt. Er ist Experte für Polizei­forschung und Polizei­gewalt. Singelnstein leitete das Forschungsprojekt »Körper­verletzung im Amt durch Polizei­beamt*innen«, in dem von 2018 bis 2023 polizeiliche Gewalt­anwen­dungen und ihre straf­recht­liche Auf­arbeitung in Deutsch­land untersucht wurde.

Im Text ziehen Sie Parallelen zur NSDAP der 1930er Jahre. Was meinen Sie damit?

Die Nationalsozialisten haben ja nicht durch einen Putsch die Macht übernommen, sondern auf legalem Wege, und dann staatliche Organisationen wie die Polizei für sich eingenommen und genutzt. Das war ein Prozess, der schon in der Weimarer Republik begann und sich nach der Machtübergabe mit Maßnahmen wie dem Austausch von Spitzenpersonal fortsetzte, um die eigene Position in der Organisation zu festigen.

In Ihrem Text schreiben Sie, dass politische Beamt*innen von der AfD ausgetauscht werden können, Karrieren anders gesteuert, unliebsame Personen im Polizeiapparat ausgegrenzt werden könnten. Ist das nicht längst Praxis?

Die Polizei ist eine stark hierarchische Organisation. Es gibt viele Möglichkeiten, sie entsprechend zu steuern – über Personalentscheidungen oder inhaltliche Vorgaben, etwa zu Schwerpunktsetzungen oder Zielvorgaben. Und das kann natürlich auch durch die Politik erfolgen, weil die Polizei den Innenverwaltungen unterstellt ist. Wenn die entsprechende Vorgaben machen, sei es inhaltlicher Art oder beim Personal, dann muss die Polizei das auch umsetzen. Das war nie anders in der Polizei. Aber diese Instrumente können aus meiner Sicht künftig anders und intensiver genutzt werden – etwa, indem man andere Personen in Führungspositionen befördert oder andere inhaltliche Schwerpunkte setzt.

Die Polizei verfügt ja auch über weitreichende Überwachungswerkzeuge. Diese könnten bei einer AfD-geführten Innenverwaltung auch gegen politische Gegner*innen gerichtet werden.

Ja, auf jeden Fall. Das beginnt auf einer abstrakten Ebene, zum Beispiel bei der Frage der Schwerpunktsetzung: Worum kümmert sich die Polizei in einem bestimmten Bundesland in den kommenden Wochen oder Monaten besonders intensiv? Das kann rechtsextreme Gewaltdelinquenz sein, aber auch politischer Aktivismus von links, Wirtschaftskriminalität oder Migration. Und auf einer konkreteren Ebene eröffnen die Rechtsgrundlagen ebenfalls Entscheidungsspielräume. Rechtlich sind Beamt*innen zwar verpflichtet, beim Verdacht einer Straftat tätig zu werden, aber ob sie das in der Praxis tun, ist letztlich eine Entscheidung in der Situation.

Zur AfD und ihrem Verhältnis zur Polizei: Sie sprechen von einer Doppelstrategie – einerseits Freund und Förderer, andererseits Delegitimierung. Wie passt das zusammen?

Das geht inhaltlich gar nicht so gut zusammen, trotzdem verfolgt die AfD beide Strategien. Einerseits geht sie davon aus, dass es in der Polizei eine besondere Ansprechbarkeit für ihre Positionen gibt. Sie braucht die Polizei auch, um ihre Politik umzusetzen und durchzusetzen, will sie in ihrem Sinne prägen und gewissermaßen übernehmen. Dafür ist sie auf die Unterstützung des Apparats angewiesen, versucht also, dort so etwas wie eine kulturelle Hegemonie zu erringen. Andererseits wird die Polizei auch als Teil des gegenwärtigen als links-grün dämonisierten politischen Establishments dargestellt, als Institution, die angeblich politisiert agiert. So wie der Staat insgesamt, also Parteien, politisches System, Demokratie und Rechtsstaat versucht werden zu delegitimieren, gilt das auch für die Polizei – zum Beispiel mit den Erzählungen vom angeblichen Kontrollverlust, von angeblich ausufernder Kriminalität. Im Grundsatzprogramm der AfD steht ausdrücklich, dass sie den Sicherheitsapparat grundlegend verändern will.

Die Gewerkschaft der Polizei hat einen Unvereinbarkeitsbeschluss zur AfD. Reicht das aus?

Die GdP hat sich mit diesem Unvereinbarkeitsbeschluss schon vor einigen Jahren klar positioniert, und das war ein starkes Signal in die Organisation hinein. Aber woran es fehlt, ist die politische Auseinandersetzung intern. Es müsste über diese Fragen gestritten werden, verfassungsfeindliche Positionen müssten ausgegrenzt und klare rote Linien gezogen werden.

Sehen Sie Unterschiede zwischen GdP, der Konkurrenzgewerkschaft DPolG und dem Bund deutscher Kriminalbeamter im Verhältnis zur AfD oder zu rechten Positionen?

Nach meiner Wahrnehmung grenzen sich GdP und BDK relativ klar ab. Für die DPolG kann man das so nicht sagen – insbesondere unter Rainer Wendt und bei jemandem wie Manuel Ostermann, der mit einem Sprech auftritt, der durchaus AfD-Sound hat, und rechtsoffene Positionen vertritt.

Es gibt für Polizist*innen die Möglichkeit der Remonstration, also des Widerspruchs gegen fragwürdige Anweisungen. Wird das in der Praxis genutzt? Was sagen Statistiken?

Ich weiß gar nicht, ob es dazu Statistiken gibt; Untersuchungen sind mir jedenfalls nicht bekannt. Mein Eindruck ist, dass die Praxis faktisch nicht existiert.

Was müsste geschehen, um die Polizei gegen die AfD zu härten, also eine Kultur des Widerspruchs zu fördern – oder ist es dafür zu spät?

Ich glaube, es ist schon ziemlich spät. Die Entwicklung ist weiter fortgeschritten, als man derzeit sieht, weil viel unter der Oberfläche stattfindet. Aber es gibt eine Mehrheit in der Polizei gegen die AfD – so wie in der Gesellschaft insgesamt. Diese Mehrheit tut sich aber schwer mit einer klaren Abgrenzung gegen rechtsextreme und verfassungsfeindliche Positionen.

Welche Unterschiede zu den 1930ern gibt es heute – was kann uns davor bewahren, dass sich der schleichende Prozess wiederholt?

Der wichtigste Unterschied ist, dass wir heute ein historisches Bewusstsein haben und wissen, wohin so eine Entwicklung führen kann. Außerdem haben wir im Rechtsstaat andere Instrumente, etwa das Parteiverbotsverfahren.

Beobachten wir nicht auch in der Justiz einen Rechtsruck – etwa in der Debatte um die Nachwahl für Verfassungsrichter*innen, bei Staatsanwält*innen oder Richter*innen?

Bei der Debatte um die Wahl von Frauke Brosius-Gersdorf würde ich sagen, gab es eher einen sehr starken Rückhalt in Rechtswissenschaft und Justiz. Aber klar, die Entwicklungen, über die wir bei der Polizei gesprochen haben, können sich auch in der Justiz zeigen. Es gibt einzelne Fälle – Richter*innen und Staatsanwält*innen mit rechtsextremen Positionen, entsprechende Entscheidungen. Insgesamt ist das aber schwer zu beurteilen, weil es zur Justiz noch weniger Forschung gibt als zur Polizei. Ich habe die Hoffnung, dass es dort langsamer geht, weil es eine andere Ausbildung, weniger Hierarchisierung und ein stärkeres rechtsstaatliches Selbstverständnis gibt.

Welche Verantwortung tragen Führungskräfte in der Polizei? Was erwarten Sie von Polizeipräsident*innen?

Gerade bei ihnen kommt es darauf an, dass sie sich klar positionieren – auf allen Ebenen, auch schon bei Dienstgruppenleiter*innen. Sie müssen sich für die Verfassung positionieren und deutlich machen, dass bestimmte Positionen mit ihr unvereinbar sind.

Sollte man angesichts der Gefahr einer AfD in der Regierung derzeit keine Gesetze mehr beschließen, die die Macht der Polizei stärken?

Der Gesetzgeber muss sich klarmachen, dass jede rechtliche Entgrenzung – also mehr Befugnisse, weniger Beschränkungen – künftig auch von einer AfD-geführten Regierung genutzt werden kann. Etwa, um gegen politische Gegner*innen vorzugehen. Das lässt sich gut am Beispiel Trump in den USA beobachten: Dort werden staatliche Instrumente genutzt, um gegen demokratische Institutionen und politische Gegner*innen vorzugehen. Im Rechtsstaat setzen wir der Polizei durch das Recht Grenzen, und in einer solchen Situation würden diese Grenzen noch viel wichtiger.

Was wäre, wenn auch der Verfassungsschutz irgendwann als gesichert rechtsextrem gilt?

Polizei, Justiz, Verfassungsschutz – all diese staatlichen Organisationen haben eine machtvolle Position. Wenn die extreme Rechte dort Einfluss gewinnt und deren Agieren bestimmt, muss man sich darauf einstellen, dass diese Institutionen gegen politische Gegner*innen, bis hin zu demokratischen Parteien wie der SPD, eingesetzt werden könnten.

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