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Vuelta: Torstein Træen überrascht mit großer Gelassenheit
Die Karriere des Norwegers startete erst nach schwerer Krankheit richtig
Die Vuelta a España ist immer wieder gut für Überraschungen. 2019 war die Spanien-Rundfahrt eine Art Kreißsaal für die Geburt des dominierenden Radprofis der Gegenwart: Tadej Pogačar wurde auf Anhieb Dritter und siegte danach viermal bei der Tour de France und einmal beim Giro d’Italia. Im vergangenen Jahr wurde der Australier Ben O’Connor durch eine Ausreißergruppe an die Spitze des Klassements gespült – und blieb dort, bis ihn drei Tage vor dem Ende doch noch der Favorit Primož Roglič abfing. In diesem Jahr übernimmt die Rolle des Überraschungsmannes Torstein Træen. Auf der Etappe übernahm der Norweger dank einer mehr als 100 Kilometer langen Flucht das Rote Trikot.
Langes Leiden
Bislang verteidigte Træen die Führung an Spaniens steilen Rampen bravourös. Nur beim Anstieg zur Skistation von Valdezcaray verlor er am Sonntag mehr als anderthalb Minuten auf den Etappensieger und großen Favoriten Jonas Vingegaard. »Es war sehr hart. Jonas ist superschnell gefahren und ich habe lange gelitten«, meinte der 30-Jährige danach und konnte über die Beschleunigung des Dänen nur staunen: »Es war schon ziemlich schnell. Dann habe ich gesehen, wie sie aus der Kurve lossprinteten, und war überrascht, wie viel schneller sie noch mal fahren.«
Zufrieden konnte er aber letztlich bilanzieren: »Ich hatte Glück, dass ich in der zweiten Gruppe war und sie mir das Trikot gelassen haben. Ich glaube aber auch, dass sie bei Visma froh sind, dass Jonas nicht die Arbeit machen muss, die mit dem Leadertrikot verbunden ist.«
So konnte Træen mit dem Roten Trikot in den Ruhetag gehen – und gleich eine Party ankündigen. Das passt zu ihm. Denn er hat gelernt, jeden Tag so zu nehmen, als wäre es der letzte. Im Mai 2022 wurde bei ihm Hodenkrebs diagnostiziert. Damals war er beim unterklassigen Team Uno X unter Vertrag und trainierte in der spanischen Sierra Nevada. »Wir machten beim Frühstück noch Witze, dass etwas Schlimmes passieren würde – schließlich war es Freitag, der 13.«, erinnerte er sich. Stunden nach dem Training erhielt er einen Anruf seines Teamarztes. Der teilte ihm ein positives Ergebnis einer Dopingkontrolle mit. Das Hormon HCG war in einer hohen Konzentration bei ihm gemessen worden. HCG, humanes Choriongonadotropin, tritt vor allem bei Frauen während der Schwangerschaft auf. Bei Træen ergaben die folgenden Untersuchungen, dass er an Hodenkrebs erkrankt war und die ungewöhnlichen Blutwerte darauf zurückzuführen sind.
Gute Dopingkontrolle
Die Dopingkontrolle hat also möglicherweise sein Leben gerettet. »Auf alle Fälle hat sie mich vor einer Chemotherapie bewahrt«, sagte Træen später. Ihm wurde operativ der linke, mit Krebszellen befallene Hoden entfernt. Zwei Monate danach bestritt er wieder Rennen. Auf den ersten Sieg musste er dann weitere zwei Jahre warten. Bei der Tour de Suisse 2024 krönte er sich am Gotthard-Pass als Ausreißer zum Tagessieger. Das war der Durchbruch. Und auch die Bestätigung, dass es sich gelohnt hatte, weiter zu trainieren.
Verändert hat ihn die Erfahrung mit der schweren Krankheit samt Operation aber auch. »Wenn ich jetzt einen schlechten Tag habe, wird mir im Vergleich mit damals klar: So schlecht ist der Tag dann doch nicht. Ich bin jetzt dankbar dafür, dass ich das machen kann, was ich liebe. Und ich habe auch gemerkt, dass der Radsport, ja das ganze Leben, dir ganz schnell weggenommen werden können.« Mit der Gelassenheit eines Mannes, der dem Tod von der Schippe gesprungen ist, geht der seit 2024 für Bahrain Victorious fahrende Norweger die nächsten schweren Tage der Vuelta an.
Team Israel Premier Tech gestoppt
Weniger Gelassenheit herrscht derweil beim Rennstall Israel Premier Tech. Sportlich darf man sich zwar über die tollen Auftritte von Sprinter Ethan Vernon freuen, der zweimal Tageszweiter sowie einmal Vierter wurde und in der Punktwertung auf Platz zwei liegt. Politisch schlägt dem Team in Spanien aber heftiger Wind entgegen. Die Partei Izquierda Unida (Vereinigte Linke) sprach sich aufgrund des Krieges in Gaza gegen eine Teilnahme des sich als Botschafter Israels verstehenden Rennstalls aus. Beim Teamzeitfahren in der vergangenen Woche stoppten Demonstranten die Fahrer sogar. Die weltpolitische Lage kommt jetzt auch im Radsport an.
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