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Was man kann und will

Der Schriftsteller Peter Wawerzinek erinnert sich an seine Jugend mit Joachim Streich, Fußballlegende aus dem Osten

  • André Dahlmeyer
  • Lesedauer: 5 Min.
Ein Held des DDR-Fußballs – und später auch im vereinten Deutschland: Joachim Streich
Ein Held des DDR-Fußballs – und später auch im vereinten Deutschland: Joachim Streich

Er war einer der wichtigsten Helden des DDR-Fußballs: Joachim Streich (1951–2022). Sein größter internationaler Erfolg war die Bronze-Medaille bei den Olympischen Spielen 1972. Im Spiel um Platz 3 hatte die Auswahl von Georg Buschner vor 80 000 Zuschauern in München im Schlussspurt noch einen 0:2-Rückstand gegen die Sowjetunion Oleg Blochins wettgemacht. Das Match endete Remis, die Sborjana und die DDR-Kicker mussten sich das Edelmetall teilen. Im entscheidenden Gruppenspiel der Zwischenrunde hatte die DDR zwei Tage zuvor Gastgeber BRD mit einem 3:2 hochkantig aus dem Turnier geworfen, wobei Streich der zweite Treffer gegen den Klassenfeind gelang. Streich kickte damals für Hansa Rostock, anschließend für den 1. FC Magdeburg. Im DDR-Fußball brach er alle Rekorde, brachte es auf 102 Länderspiele mit 55 Toren.

Joachim Streich wurde 1951 in Wismar geboren, Sie wissen schon, »Nosferatu–Eine Symphonie des Grauens« (1921), und viel früher Klaus Störtebeker. Dann kam auch schon Streich. Mit 17 debütierte er in der Oberligamannschaft von Hansa Rostock. Der Schriftsteller Peter Wawerzinek wurde 1954 in Rostock geboren. Sechs Wochen darauf gründete sich der SC Empor Rostock, aus dem Ende 1965 der FC Hansa hervorging. Wawerzinek lebt seit einigen Jahren in Magdeburg. Ja, so hängt das alles zusammen.

Deshalb erscheint nun in der von dem umtriebigen Frank Willmann betreuten Reihe »Ikonen« beim Verlag Voland & Quist der schmale Band »Streich, der Achim«. Keine Angst, es sind keine Fussballbücher von Fans für Fans, auch schreibt Wawerzinek hier keine Biografie und schmeißt mit Statistiken um sich. Das Spiel des Lebens ist nie ein Fußballspiel, es ist das Leben selbst. Peter Wawerzinek gibt wieder mal Auskunft zu seiner Kindheit und Jugend in und bei den norddeutschen Heimen. Er beschreibt die alltäglichen Wettkämpfe, Mutproben et cetera unter den Kindern, überrascht uns damit, dass er sogar mal kurz Boxtraining gemacht habe, um dem Kinderheim zu entfleuchen. Statt Runkel (sein eigentlicher Familienname) wird er Furunkel geschimpft. Im Schulzeitkinderheim wird er zum Fußballspielen genötigt. »Die Trillerpfeife schrillte ununterbrochen.« Schließlich klappt dann doch noch die Adoption durch ein Lehrerehepaar. Er heißt nun Wawerzinek. Die Nachbarskinder bewerfen ihn »mit Namen für Hundefutter, rufen mich Frolic, Pal, zuallerletzt Chappi.«

Alle wollen etwas von ihm, dem Einzelgänger aus Überzeugung, dem es nach eigener Aussage »am nötigen Ehrgeiz« mangele. »Ich bin faul (…) Bin einer von der Sorte Joachim Streich, der weiss, was er kann und es auch zeigen will.« Ich dachte immer, der Streich sei als Spieler ein Streber und als Trainer ein Schleifer gewesen. Nun, viele Fußballer galten als »faul«, beispielsweise Günter Netzer oder Mario Basler. Ihrer Genialität auf dem Platz tat das bekanntlich keinen Abbruch.

Wawerzineks Zieh-Großmutter kann dem Sport allgemein nichts abgewinnen. »Fechter übten, sich gegenseitig zu erstechen, sagt sie.« Da war sie ihrer Zeit ein bisschen voraus: Bei der Fecht-WM 1982 in Rom durchbohrte am 19. Juli das Florett des Tauberbischofsheimers Mattthias Behr die Schutzmaske seines ukrainischen Gegners, die Klinge brach und verletzte den damals erfolgreichsten Fechter und amtierenden Weltmeister Wladimir Smirnow am Kopf – Tage später starb er.

Wawerzinek schwadroniert über alle nur erdenkbaren Sportarten, tatsächliche oder versponnene, über Fußball wird schon genug verbrochen. Und schließlich war er Segler, »Pinne, Pütt und Weste unterm Arm«. Und dann rennt er doch noch, eher aus Versehen, bei Traktor Rerik (heute SV Steilküste Rerik) dem Ball hinterher, allerdings vermisste er dort die »fröhlichen Shantys«. An seinem 18. Geburtstag geschieht das Malheur: Er versaut seinem Team den Pokalgewinn, weil er »die Lederpille aus zweieinhalb Metern Entfernung fünf Meter über den Kasten« wuchtet. Eigentlich nichts Ehrenrühriges. Paul Breitner hat es als Spieler von Eintracht Braunschweig gegen den HSV getan. Als Augenzeuge war ich eher gerührt. Streich vergab zwei Jahre nach »Schappi« in seinem letzten Spiel für Hansa (Saison 1974/75) einen Elfer, Hansa stieg ab. 1984 zog Lothar Matthäus nach. In seinem letzten Spiel für Mönchengladbach vor seinem Wechsel zu den Bayern verschoss er im DFB-Pokal-Endspiel seinen Elfmeter – gegen seinen neuen Arbeitgeber. Bayern gewann.

Etwa in der Hälfte des Büchleins taucht erstmals der Titelheld auf. Rüdiger, den Wawerzinek lieber Jost nennen will, wird in der EOS Bad Doberan sein Banknachbar. Er weiß alles über Joachim Streich, ist ein wandelndes Lexikon. Er wird zu Wawerzineks neuer Oma, verleitet ihn zu Wortspielen. Beide heben ab in ihrem Kosmos. Der eine ist Einzelgänger, der lieber »brütende Schwäne« beobachtet, der andere Außenseiter und Nerd, ein Mensch ohne andere Interessen. Anfangs kommt er noch als »loco lindo« rüber, als sympathischer Spinner, dann wird das ambivalent, es nervensägt: »Morgens, mittags, abends, bis in den Schlaf hinein spielt er mit sich Ball. (…) Die Welt heisst Hansa und ist ein blauer, schöner, grosser, runder Fussball im grossen weiten Kosmos.« Ja, das ist auch Mecklenburg. Dutzende Aufkleber wachsen an jeder Laterne jedes Kuhkaffs in den Himmel, alle Stromkästen des Bundeslandes in den Hansa-Farben, nur auf die Gipfel der Windparks haben sich die Fanatiker noch nicht getraut.

Im Abspann des Buches besucht der Autor seinen Ex-Kumpel nach Dekaden. Der macht nun auf Selbstversorger. Auch sein Garten ist eine »Enzyklopädie«, ein »durchkomponiertes Meisterwerk«. Perfektion im Nutzgarten geht gar nicht. »Achim« Jost hat sich nicht verändert, gefangen in seinem eigenen Ich.

Peter Wawerzinek: Streich, der Achim. Voland & Quist, 88 S., br., 12 €.

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