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Andrij Parubij: Die Spur führt nicht nach Russland
Verdächtiger will aus Rache für den Tod seines Sohnes gehandelt haben
Der Mord am ehemaligen Sprecher des ukrainischen Parlaments Andrij Parubij am 30. August beschäftigt die Ukraine noch immer. Nachdem der rechte Politiker in der westukrainischen Großstadt Lwiw erschossen worden war, witterten die ukrainische Regierung und der Geheimdienst SBU lautstark eine russische Spur hinter der Tat. Deutsche Medien und auch die Nachrichtenagentur dpa übernahmen dieses Narrativ, ohne es kritisch zu hinterfragen. Passt es doch zu gut ins Bild: Moskau lässt ukrainischen Politiker ermorden.
Sicher wäre es möglich, dass der Mordauftrag an Parubij aus Moskau kam. Schließlich spielte er beim Euromaidan eine wichtige Rolle und holte anschließend Rechtsradikale aus dem Rechten Sektor in die wiedereingeführte Nationalgarde. Doch bereits kurz nach der Tat äußerten ukrainische Medien Zweifel, fragten, warum ausgerechnet jetzt. Und sie brachten andere Versionen in Umlauf, eine innenpolitische Auseinandersetzung etwa oder einen Streit ums Business. Davon erfuhren Leser in Deutschland nichts.
Mord aus Rache an den ukrainischen Behörden
Als der Tatverdächtige gefasst wurde, ergab sich plötzlich ein anderes Bild, eines das von der Rhetorik in Kiew abweicht. Während Parubij unter Anteilnahme rechtsextremer Nationalisten und des Ex-Präsidenten Petro Poroschenko, für den er zuletzt politisch aktiv gewesen war, in Lwiw beigesetzt wurde, erläuterte der 52-jährige Tatverdächtige im Gerichtssaal sein Motiv.
Vor Journalisten sagte er: »Ja, ich gebe zu, ihn getötet zu haben.« Er wolle nun lediglich, dass »möglichst schnell ein Urteil gefällt wird«. Als Motiv nannte er »persönliche Rache« an den ukrainischen Behörden für den Tod seines Sohnes an der Front. Er werde fordern, als Teil eines Kriegsgefangenenaustauschs nach Russland reisen zu können, um dann dort den Leichnam seines Sohnes zu suchen.
Parubij anscheinend eher zufällig ausgewählt
Dass es Parubij getroffen hat, sei mehr oder weniger Zufall gewesen. Er habe gewusst, wo Parubij wohne, sagte der Verdächtige und fügte hinzu, es hätte auch den Ex-Präsidenten Poroschenko treffen können, würde dieser in einer anderen Gegend der Ukraine leben. Von Russland sei er dazu nicht gedrängt worden.
Angesichts jüngster Erkenntnisse scheint die Geschichte des 52-Jährigen immer plausibler. Der Tod des Sohnes mit dem Kampfnamen Lemberg im Mai 2023 wurde inzwischen bestätigt, die Mutter schrieb anschließend sogar ein Buch mit dem Titel »Lemberg. Mama, weine nicht«. Am Dienstag berichtete der Abgeordnete Mykola Knjaschyzkyj zudem, dass Parubij und der Sohn des Verdächtigen 2022 zusammen in einer Einheit gedient hätten.
Auch Ermittler sehen keine russische Spur
Für die Ermittler in Lwiw steht fest, dass sie einen Mord- und keinen Spionagefall untersuchen. »Ich weiß überhaupt nicht, woher diese Information über [russische] Erpressung stammt. Er hat uns keine solchen Informationen gegeben. Er hat uns, genau wie Ihnen, gesagt, dass es keine Erpressung gegeben hat«, sagte der Leiter der Lwiwer Staatsanwaltschaft Mykola Meret.
In Kiew stellen sich die Verantwortlichen hingegen stur, Regierung und Geheimdienst halten eisern an ihrer Behauptung der russischen Spur fest. In einem absurden Theater hat sich die Rada an das EU-Parlament und die Parlamente der EU-Mitgliedsländer gewandt, um die Ermordung Parubijs als »Akt des politischen Terrors durch Russland« zu verurteilen. Kritiker sprechen von einer Show der Kiewer Politik.
Und diese Show könnte durchaus nach hinten losgehen, glauben ukrainische Medien. Denn die Aussagen des Verdächtigen rütteln am Feindbild der Regierung in Kiew, das die Verantwortung für den Tod des eigenen Kindes bei Russland sieht und nicht bei den Entscheidungsträgern in der Ukraine. Steckt Moskau aber nicht hinter dem Mord, bedeutet das einen gewaltigen Legitimationsverlust für Wolodymyr Selenskyj und seine Regierung.
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