Rechte der Afrokolumbianer: Das angestrebte angenehme Leben

Francia Márquez, Vizepräsidentin Kolumbiens, ist das passende Pendant zu Gustavo Petro. Die bestehenden Differenzen erschweren ihre politische Arbeit

  • Andreas Hetzer
  • Lesedauer: 4 Min.
Das Ministerium für Gleichheit und Gerechtigkeit macht kaum Fortschritte.
Das Ministerium für Gleichheit und Gerechtigkeit macht kaum Fortschritte.

Francia Elena Márquez Mina, die kleingewachsene Afrokolumbianerin vom Land, ist der weißen Elite des Landes ein Dorn im Auge. Seit ihrem Amtsantritt als Vizepräsidentin 2022 vergeht kaum ein Tag, an dem die Medien ihre Schmutzkampagne aus Verleumdungen und Vorwürfen gegen Francia nicht befeuern. In der Sendung »Informantes« des TV-Senders Caracol antwortete sie kürzlich ihren Kritiker*innen: »Jetzt sagen sie, dass ich bürgerlich geworden bin, weil ich mit einem Hubschrauber fliege. Es gab sogar ein Lied dazu. Ich habe dazu getanzt. Meine Neffen lieben das Lied.« Allerdings muss sie zugeben, dass die permanenten Attacken nicht nur sie betreffen: »Meinen Kindern tut das weh, sie sind darüber nicht sehr glücklich.« Unter Tränen gibt sie ihre Mutter wieder, die der Auffassung sei, dass »Francias Leben zur Hölle geworden ist«, seitdem sie in der Regierung ist.

Es gibt aber auch eine andere Facette. Das Bad in der Menge und Treffen mit alten Weggefährt*innen gibt ihr Kraft, um die Entbehrungen im Zentrum der Macht mit ihren institutionellen Hürden zu kompensieren und sich treu zu bleiben. Zuletzt jubelten ihr im August tausende Anhänger auf dem Pazifikmusikfestival Petronio Álvarez in Cali zu. Eine Vizepräsidentin, die wie alle anderen zu den Afro-Rhythmen tanzt, das schafft Identifikation bei ihren Anhänger*innen. Und doch ist sie schon lange nicht mehr wie alle anderen. Mordanschläge paramilitärischer Gruppen hatten sie schon als Umweltaktivistin dazu gezwungen, rund um die Uhr auf Leibwächter und kugelsichere Fahrzeuge zurückzugreifen. Und jetzt erst recht.

»Man hat uns gern auf den Fotos, aber nicht gern beim Treffen von Entscheidungen.«

Francia Márquez Vizepräsidentin Kolumbiens

Francia ist eigentlich das perfekte Pendant zum rhetorisch gewandten und intellektuellen Gustavo Petro. Sie ist authentisch, emotional und kämpferisch in ihren Worten, die auch bei den »Nadies«, den »Nichtsen«, den Ausgegrenzten und Diskriminierten ankommt. In ihrer Ansprache zum Wahlsieg hatte sie verlautbart: »Nach 214 Jahren Unabhängigkeit haben wir erreicht, dass es eine basisnahe Regierung gibt, eine Regierung der Leute mit von harter Arbeit schwieligen Händen, der einfachen Leute.« Genau jene waren es, die einen entscheidenden Beitrag zum Wahlsieg leisteten. Insbesondere in Departments mit einem hohen Anteil schwarzer, indigener und kleinbäuerlicher Bevölkerung konnte Francia punkten.

Nach drei Jahren Regierung sind viele von ihr enttäuscht. Das von ihr lancierte Ministerium für Gleichheit und Gerechtigkeit kommt nicht wie gewünscht voran. Es hat zu wenig in den ärmsten, vom Konflikt und staatlicher Vernachlässigung gebeutelten Regionen des Pazifiks bewirkt. Die hohen Erwartungen an das von Francia ausgegebene »vivir sabroso« (in etwa: »geschmackvoll leben«) ist kaum spürbar.

»Eine Regierung der einfache Leute mit von harter Arbeit schwieligen Händen.«
»Eine Regierung der einfache Leute mit von harter Arbeit schwieligen Händen.«

»Ich spüre die Frustration«, gibt sie unumwunden zu. Die institutionelle Bürokratie und Mitglieder des Kabinetts seien Hindernisse, die sie zu überwinden versuche. »Ich habe das Gefühl, dass man mich blockiert.« Aufgrund der Zweifel des Finanzministeriums an der steuerlichen Tragbarkeit des Ministeriums, liegt der Fall nun vor dem Verfassungsgericht. Eine ihrer Herzensangelegenheiten steht damit auf dem Spiel.

Ihre Beziehung zu Petro führte immer wieder zu Differenzen über seine Regierungsweise. Dies wurde von der Opposition gekonnt ausgeschlachtet. Zum Gau kam es im Treffen des Ministerrats am 15. Juli 2025, das live im Fernsehen übertragen wurde. »Niemand, der schwarz ist, sagt mir, dass man einen Pornodarsteller ausschließen muss«, so Präsident Petro nach seiner Berufung der Schauspielerin Amaranta Hank. Er wandte sich an Carlos Rosero, den neuen Gleichstellungsminister mit jahrzehntelanger Erfahrung im PCN (Prozess schwarzer Gemeinschaften). Intellektuelle und Afro-Organisationen gingen auf die Barrikaden und warfen dem Präsidenten Rassismus vor. Francia drohte laut Petro gar mit Rücktritt. Dieses Mal schwieg sie, was ihr heftige Kritik bescherte.

Ende Juli meldete sie sich zu Wort. Als Afro-Bewegung »sind wir nützlich, um Wahlen zu gewinnen, aber nicht um zu regieren«. »Man hat uns gern auf den Fotos, aber nicht gern beim Treffen von Entscheidungen«, fügte sie hinzu. Und zum Abschluss zitierte sie Angela Davis, die auf dem Frauen-Kongress in Cali zugegen war: »Wir haben die Pflicht, nicht nur nicht rassistisch zu sein, sondern auch antirassistisch zu sein.« Der Adressat der Rede war offensichtlich.

Die Querelen vernebeln das Erreichte. In den vergangenen zwei Jahren hat Kolumbien im Rahmen seiner Afrikastrategie wichtige Schritte unternommen, um seine diplomatische Präsenz auf dem Kontinent zu verstärken. Francia reiste wiederholt nach Afrika und vertiefte die Kooperation des Globales Südens. Zudem hat sie die symbolische Wiedergutmachung und internationale Reparationszahlungen europäischer Kolonialländer auf die internationale Agenda gesetzt.

Unterdessen hat sie eine neue Partei gegründet, Soy Porque Somos, inspiriert von der afrikanischen Philosophie Ubuntu. Ich »bin weil, wir sind«, so der kollektivistische Ansatz. Francia weiß, dass sie ohne die Unterstützung ihrer Mitstreiter*innen nicht politisch überleben kann. Eine zweite Amtszeit hat sie ausgeschlossen.

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