Ruth Weiss: Gegen Unrecht aufstehen

Ruth Weiss ist im Alter von 101 Jahren verstorben

  • Lutz van Dijk
  • Lesedauer: 3 Min.
Ruth Weiss mit dem ersten demokratisch gewählten Präsidenten von Sambia, Kenneth Kaunda (1924 - 2021) im Jahr 2009, beide waren damals 84 Jahre alt.
Ruth Weiss mit dem ersten demokratisch gewählten Präsidenten von Sambia, Kenneth Kaunda (1924 - 2021) im Jahr 2009, beide waren damals 84 Jahre alt.

Bis zuletzt hat Ruth Weiss uns aufgefordert, bei Unrecht und Gewalt nicht zu schweigen und selbst nicht nur zu protestieren: »Erinnern heißt Handeln« – so der Titel ihres letzten, gemeinsam mit Lutz Kliche verfassten, autobiografischen Buches. »Wir müssen aktiv sein, konkret etwas für bedrohte Menschen tun!« – so ihre Überzeugung bis zu ihrem Tod.

Am Freitag, den 5. September, ist die Journalistin und Schriftstellerin Ruth Weiss nun in einem Krankenhaus im dänischen Aalborg verstorben. So wie sie es sich gewünscht hat, wohl wissend, dass unvermeidliche Operationen bevorstanden.

Noch ihren 101. Geburtstag am 26. Juli verbrachte sie daheim bei ihrem Sohn, umgeben von nahen Freund*innen, die aus verschiedenen Teilen der Welt, vor allem aus Deutschland angereist waren. Und sie sprach per Video zu den Gästen einer Ausstellung in Tübingen, die zu ihren Ehren unter anderem von René Böll veranstaltet wurde.

In gewohnter Klarheit sagte sie an dem Tag in einer von mehreren Botschaften: »Und das müssen wir tun … gegen Unrecht aufstehen, gegen Krieg unsere Stimme erheben und uns schützend vor ausgegrenzte Menschen stellen, ohne Rücksicht auf eigene Vor- oder Nachteile.«

Ihr eigenes Leben ist ein beeindruckendes Beispiel dafür: Zuerst 1936 als Kind von 12 Jahren aus Nazi-Deutschland mit ihren deutsch-jüdischen Eltern aus dem bayerischen Fürth nach Südafrika flüchtend, musste sie später als junge Journalistin, damals zusätzlich alleinerziehende Mutter, mehrfach Länder wechseln, nachdem die Apartheid-Regierung in Pretoria sie 1966 ausgebürgert und heimatlos gemacht hatte. Nach Stationen in Sambia und Simbabwe bekam sie endlich auch journalistische Anerkennung aus England und Deutschland und wurde einige Jahre Leiterin der Afrika-Abteilung der Deutschen Welle in Köln. Südafrika durfte sie erst ab 1990 wieder besuchen – nach der Freilassung Nelson Mandelas.

2010 wurde eine Realschule in Aschaffenburg nach Ruth Weiss benannt. In Deutschland erhielt sie 2014 das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse und in Südafrika überreichte ihr der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa persönlich am 27. April 2023, dem nationalen Freedom Day, die höchste Auszeichnung, die an Nicht-Südafrikaner*innen vergeben werden kann. 2024 schließlich wurde sie mit dem Großen Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet.

Ihre öffentliche Kritik an Unrecht, wie und wo immer sie es wahrnahm, blieb eine Konstante. Auch im gegenwärtigen »Gaza-Krieg« bezog sie eindeutig Position für eine Zweistaatenlösung: »Beide Völker, das jüdische wie das arabisch-palästinensische, haben das Recht, in Palästina zu leben! Und so sehr ich den abscheulichen, durch nichts zu rechtfertigenden Terrorüberfall der Hamas am 7. Oktober 2023 verurteile und seine jüdischen Opfer beklage und betrauere, so sehr beklage und betrauere ich auch das Leid und den Tod der vielen unschuldigen zivilen Opfer von Israels Krieg im Gazastreifen, vor allem der vielen Kinder. Der Hass, der durch jedes weitere Todesopfer immer weiter wächst, wird die Tragödie für beide Völker nur noch weiter verlängern.«

So lange sie noch weite Reisen unternehmen konnte, besuchte sie auch mehrfach unser Haus für elternlose Kinder in einem Township südlich von Kapstadt. Noch in ihrem letzten Mail an mich vor zwei Wochen schrieb sie: »Bitte grüße die Kinder und danke ihnen für ihre Wünsche zu meinem Geburtstag.«

In einer persönlichen Mitteilung für die Ruth-Weiss-Gesellschaft schrieb Anni Kropf: »Wir müssen aber nicht ohne Ruth sein, denn sie hat jeder und jedem von uns, ganz persönlich, soviel gegeben und mitgegeben: ihre Aufrichtigkeit, ihren Mut, ihr Sorgen um eine bessere Welt, ihre Weisheit, ihr Lächeln, ihre Liebe und ihre Botschaft in ihren Büchern und Schriften.«

Gemäß ihrem Wunsch wird Ruth Weiss am 15. September auf dem Jüdischen Friedhof in Münster beigesetzt.

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