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Ruth Weiss: Gegen Unrecht aufstehen
Ruth Weiss ist im Alter von 101 Jahren verstorben
Bis zuletzt hat Ruth Weiss uns aufgefordert, bei Unrecht und Gewalt nicht zu schweigen und selbst nicht nur zu protestieren: »Erinnern heißt Handeln« – so der Titel ihres letzten, gemeinsam mit Lutz Kliche verfassten, autobiografischen Buches. »Wir müssen aktiv sein, konkret etwas für bedrohte Menschen tun!« – so ihre Überzeugung bis zu ihrem Tod.
Am Freitag, den 5. September, ist Ruth Weiss nun in einem Krankenhaus im dänischen Aalborg verstorben. So wie sie es sich gewünscht hat, wohl wissend, dass unvermeidliche Operationen bevorstanden.
Noch ihren 101. Geburtstag am 26. Juli verbrachte sie daheim bei ihrem Sohn, umgeben von nahen Freund*innen, die aus verschiedenen Teilen der Welt, vor allem aus Deutschland angereist waren. Und sie sprach per Video zu den Gästen einer Ausstellung in Tübingen, die zu ihren Ehren unter anderem von René Böll veranstaltet wird.
In gewohnter Klarheit sagte sie an dem Tag in einer von mehreren Botschaften: »Und das müssen wir tun … gegen Unrecht aufstehen, gegen Krieg unsere Stimme erheben und uns schützend vor ausgegrenzte Menschen stellen, ohne Rücksicht auf eigene Vor- oder Nachteile.«
Ihr eigenes Leben ist ein beeindruckendes Beispiel dafür: Zuerst 1936 als Kind von 12 Jahren aus Nazi-Deutschland mit ihren Eltern aus dem bayerischen Fürth nach Südafrika flüchtend, musste sie später als junge Journalistin, damals zusätzlich alleinerziehende Mutter, mehrfach Länder wechseln, nachdem die Apartheid-Regierung in Pretoria sie 1966 ausgebürgert und heimatlos gemacht hatte. Nach Stationen in Sambia und Simbabwe bekam sie endlich auch journalistische Anerkennung aus England und Deutschland und wurde einige Jahre Leiterin der Afrika-Abteilung der Deutschen Welle in Köln. Südafrika durfte sie erst ab 1990 wieder besuchen – nach der Freilassung Nelson Mandelas.
2010 wurde eine Realschule in Aschaffenburg nach Ruth Weiss benannt. In Deutschland erhielt sie 2014 das Bundesverdienstkreuz 1. Klasse und in Südafrika überreichte ihr der südafrikanische Präsident Cyril Ramaphosa persönlich am 27. April 2023, dem nationalen Freedom Day, die höchste Auszeichnung, die an Nicht-Südafrikaner*innen vergeben werden kann. 2024 schließlich wurde sie mit dem Großen Verdienstkreuz der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Ihre öffentliche Kritik an Unrecht, wie und wo immer sie es wahrnahm, blieb eine Konstante. Auch im gegenwärtigen »Gaza-Krieg« bezog sie eindeutig Position für eine Zweistaatenlösung: »Beide Völker, das jüdische wie das arabisch-palästinensische, haben das Recht, in Palästina zu leben!«
Gemäß ihrem Wunsch wird Ruth Weiss am 15. September auf dem Jüdischen Friedhof in Münster beigesetzt.
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