Friedensgebot und Gewaltverbot

»Kriegstüchtig. Nein danke«: ein Plädoyer von Jürgen Arnold und Peter-Michael Diestel

  • Barbara Bernd
  • Lesedauer: 4 Min.
Wohin geht’s zum Frieden?
Wohin geht’s zum Frieden?

Das nennt man Punktlandung. An jenem Tag Ende August, als das Bundeskabinett die Einrichtung eines Nationalen Sicherheitsrates beschloss und die Weichen für einen »neuen Wehrdienst« stellte, kam auch schon der Kommentar in den Buchhandel. Zwei Juristen polemisieren in einem Essay gegen das gegenwärtige Kriegsgeschrei, gegen die Militarisierung der Sprache und des Denkens. Ihrer Profession gemäß plädieren sie für Frieden und Völkerrecht. Der eine arbeitete als Wissenschaftler bis zu seiner Berentung am Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Strafrecht in Freiburg i. Br., wo er auch lebt. Der andere Autor war zeitlebens – von einem Ausflug in die Politik abgesehen – Anwalt und wirkt als solcher unverändert in Zislow/Mecklenburg. Sein Name ist bekannt. Die einen lieben ihn, die anderen fürchten und hassen ihn, weil er kein Blatt vor seinen ostdeutschen Mund nimmt. Erst jüngst las er dem Bundespräsidenten in einem Brief die Leviten, weil die Ostdeutschen auch 35 Jahre nach Herstellung der staatlichen Einheit diskriminiert werden. Mit einem »verlogenen Geschichtsbild« würde die fortgesetzte Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes begründet. Natürlich ist hier von Robin Hood alias Peter-Michael Diestel die Rede. 

Arnold und Diestel, der eine im Westen und der andere im Osten, haben sich zusammengetan und die Elle des Rechts an die gegenwärtige Politik gelegt. Die Schlüsselworte in ihrem Buch lauten Friedensgebot und Gewaltverbot. Als Juristen monieren sie sachlich die Verstöße gegen geltendes nationales und Völkerrecht und die vorsätzliche Unterlassung beziehungsweise dessen konsequente Anwendung. So habe das Bundesverfassungsgericht beispielsweise am 15. Juli 2025 klar das Friedensgebot des Grundgesetzes unterlaufen, als es sich in Sachen Ramstein einen schlanken Fuß machte. »Obwohl unbestritten ist, dass die US-Luftwaffenbasis Ramstein eine zentrale Rolle bei der Steuerung« von Drohneneinsätzen im Ausland spiele, »sah das Gericht keine rechtliche Verpflichtung Deutschlands, gegen die Nutzung des Stützpunkts für Drohnenangriffe durch die USA vorzugehen«. Das Gericht habe es versäumt, »ein starkes Zeichen zu setzen«, urteilte nicht nur das European Center for Constitutional and Human Rights Berlin (ECCHR). Nicht widersprechen aber heißt zustimmen.

Oder: Das Völkerrecht werde zunehmend durch eine »regelbasierte Ordnung« ersetzt, also durch »rechtlich nicht bindende Normen, Standards, Verhaltens- und Moralregeln«. Deren Formulierung und einseitige Anwendung verschaffe der Politik »ein Höchstmaß an Flexibilität«, um sich nicht mehr an Verträge und die Verbindlichkeit des Völkerrechts gebunden zu fühlen. Die Autoren verweisen im Kontext des Friedensgebots auf den 2+4-Vertrag vom September 1990. »Artikel 2 enthielt das strikte Gebot, dass von deutschem Boden nur Frieden ausgehen wird. Die Regierungen der BRD und der DDR erklärten, dass das vereinte Deutschland keine seiner Waffen jemals einsetzen werde – es sei denn in Übereinstimmung mit seiner Verfassung und der UN-Charta.« Diestel gehörte bekanntlich damals der Regierung des Signatarstaates DDR an, er war deren Vizepremier und ist darum heute mehr als jeder andere berufen, auf eben jenes Dokument zu verweisen und auf dessen Einhaltung zu dringen. »Deutschland verfolgt eine Aufrüstung und eine Militarisierung, die konträr zum 2+4-Vertrag stehen«, heißt es in seinem gemeinsam mit Arnold verfassten Buch.

Weiter liest man: Waffen für Israel, die im Krieg im Nahen Osten zum Einsatz kommen, »sind als Unterstützung und Beihilfe in einem Vernichtungskrieg zu werten«. Gemessen am Gewaltverbot und dem Friedensgebot wäre Deutschland verpflichtet, diese »Unterstützung und Beihilfe unverzüglich einzustellen. Soweit sich die Bundesregierung zur Rechtfertigung ihres Handelns auf die deutsche Staatsräson beruft, gilt, dass diese nicht das Völkerrecht brechen darf.«

So arbeiten sich die beiden an den aktuellen Brennpunkten ab, holen diese aus der Sphäre der Politik in den Bereich der Justiz. Das ist nicht unwichtig, wenngleich keine leichte Kost für den normalen Leser. Das ist auch dem Schriftsteller Eugen Ruge bewusst, der in seinem Vorwort um Verständnis für den Text der beiden wirbt. Arnold und Diestel zeigten »in sachkundiger Weise die Verwahrlosung im Rechtsverständnis der Mächtigen«. Und knüpft daran die Erwartung, »dass die Worte der beiden Juristen den Regierenden in den Ohren klingen oder, da diese Hoffnung vielleicht allzu gewagt ist, zum nutzbringenden Beitrag einer kommenden Friedensbewegung werden«. Die Tatsache, dass im Bundestag überdurchschnittlich viele Juristen sitzen, könnte in diesem Falle durchaus nützlich sein.

Jürgen Arnold/Peter-Michael Diestel: Kriegstüchtig. Nein danke. Plädoyer für Frieden und Völkerrecht. Mit einem Prolog von Eugen Ruge. Das Neue Berlin, 112 S., br., 12 €.

- Anzeige -

Wir sind käuflich. Aber nur für unsere Leser*innen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen aufgreifen
→ marginalisierten Stimmen Raum geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten voranbringen

Mit »Freiwillig zahlen« machen Sie mit. Sie tragen dazu bei, dass diese Zeitung eine Zukunft hat. Damit nd.bleibt.