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Vonovia: Gerichtsverfahren als Selbstzweck
Berliner Gericht kritisiert Anwaltskaskaden bei Mieterhöhungsverfahren und verhängt ein Bußgeld
In der Sache hat Lars Hagemann vor Gericht gewonnen. Seinen echten Namen will er nicht in der Zeitung lesen. Hagemanns Vermieter, die Deutsche Wohnen, wollte die Miete erhöhen. »Das war das dritte oder vierte Mal in den letzten Jahren«, sagt er im Gespräch mit »nd«. Die Deutsche Wohnen habe aber seiner Wohnung Merkmale zugesprochen, die nicht der Realität entsprächen, so Hagemann weiter. Deswegen hatte er der Erhöhung nicht zugestimmt. Die Deutsche Wohnen hat dann gegen ihn geklagt. Aber das Amtsgericht Neukölln hat ihm recht gegeben. Mehr Miete zahlen muss er vorerst nicht.
Zusätzlich zu dieser Entscheidung hat das Amtsgericht allerdings ein Ordnungsgeld verhängt. Der Geschäftsführer der GEHAG erste Beteiligungs GmbH, einer Untergesellschaft der vom Immobilienriesen Vonovia gekauften Deutsche Wohnen, muss 1000 Euro zahlen. Denn trotz ordnungsgemäßer Ladung war er nicht zu einem Gerichtstermin gekommen. Die Pressestelle von Vonovia teilt mit, dass das Bußgeld mittlerweile vom Landgericht aufgehoben worden sei.
Wie das Berliner Bündnis gegen Vonovia & Co mitteilt, ist das bereits das zweite Ordnungsgeld in vergleichbaren Verfahren. Vonovia teilt mit, Gerichte würden oftmals das persönliche Erscheinen von Geschäftsführern anordnen. »Dies lehnt unser Rechtsbeistand standardmäßig ab, weil eine Sachverhaltsaufklärung nicht immer das persönliche Erscheinen einer Geschäftsführung erfordert.«
»Es scheint darum zu gehen, gerichtliche Verfahren in die Länge zu ziehen, um die Mietparteien zum Aufgeben zu bewegen.«
Berliner Bündnis gegen Vonovia & Co
Sprecherin Jasmina Rühl berichtet im Gespräch mit »nd«, dass es in den gerügten Verfahren um die umstrittene Praxis von Vonovia gehe, Mieterhöhungen nach Mietspiegel mit nicht im Mietspiegel gelisteten wohnwertsteigernden Merkmalen zu begründen. Vonovia begründet Mieterhöhungen teilweise damit, dass Wohnungen eine »gute ÖPNV-Anbindung« und »gute Nahversorgung« hätten, was allerdings immer wieder von Gerichten als unzulässig bewertet wird. »Wir erleben gerade, dass wir alle Verfahren in dieser Sache gewinnen«, berichtet Jasmin Rühl. Vonovia hingegen sieht sein Vorgehen im Umgang mit dem Berliner Mietspiegel bestätigt. »Die Urteile besitzen nur Aussagekraft für die konkreten Fälle. Sie haben keine allgemeingültige Bedeutung«, so die Pressestelle des Unternehmens. Die Frage, ob es schon ein Gerichtsurteil zugunsten von Vonovia gab, beantwortete das Unternehmen nicht. »Die Verfahren sind aus unserer Sicht nicht abgeschlossen.«
Auch wenn das Ordnungsgeld kassiert wurde, gibt der Beschluss zum Ordnungsgeld, der »nd« vorliegt, Einblicke in das Agieren von Deutsche Wohnen vor Gericht. Das Amtsgericht rügt das Unternehmen scharf. Die Deutsche Wohnen lasse sich sich seit Längerem von einer Essener Anwaltskanzlei vertreten. »Diese erscheint niemals zu einer mündlichen Verhandlung, sondern beauftragt zunächst als Unterbevollmächtigte eine Berliner Anwaltskanzlei. Diese erscheint auch niemals zur mündlichen Verhandlung, sondern beauftragt ihrerseits eine weitere Rechtsanwaltskanzlei.« Die Vertreter in den Verfahren seien regelmäßig weder zum Vergleichsabschluss bevollmächtigt noch zur weiteren Sachaufklärung in der Lage, so das Gericht.
Weiter heißt es: Das sei zwar formal zulässig, führe aber dazu, dass die mündlichen Verhandlungen zur bloßen Formalie degradiert werden. »Eine Verhandlung über die Sache ist regelmäßig nicht möglich und jegliche Vergleichsbemühungen sind von vornherein zum Scheitern verurteilt.« Dabei hat eine vernünftige Einigung gerade im Mietrecht oft Vorrang.
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Das Berliner Bündnis gegen Vonovia & Co sieht in dem Vorgehen eine Strategie: Es scheine darum zu gehen, gerichtliche Verfahren in die Länge zu ziehen, um die Mietparteien zum Aufgeben zu bewegen, schreibt das Bündnis in einer Pressemitteilung. »Die Gerichte in Berlin werden mit solchen Verfahren überzogen«, sagt Bündnis-Sprecherin Jasmina Rühl. Zwar gebe es Mieter*innen, die sich wehren würden, aber in der Breite würden sie eingeschüchtert.
Mieter Lars Hagemann, der von sich selbst sagt, er sei relativ gut informiert und vernetzt, kann das bestätigen. »Ich bin etwas abgeklärt und auch in einer Mietergruppe – das hilft.« Aber so ein Verfahren sei eine Belastung, die man nicht brauche, gerade wenn es um existenzielle Fragen wie das Wohnen gehe. »Bei mir im Haus wohnen Leute, die, wenn sie so eine Klage angedroht bekommen, damit nicht umgehen können. Und die zahlen dann einfach.«
Der Berliner Mieterverein schlägt auf Social Media in eine ähnliche Kerbe. »Solche Taktiken dienen der Maximierung von Renditen, indem langjährige Mieter mit günstigen Verträgen verdrängt werden, oft ohne dass der Konzern am Ende rechtlich siegt – der Prozess selbst ist das Mittel zum Zweck«, heißt es in einem Beitrag auf Instagram. Vonovia und Deutsche Wohnen seien unbelehrbar. »Enteignung und Vergesellschaftung sind der einzige Weg, um bezahlbares Wohnen zu ermöglichen und die Berliner Stadtgesellschaft zu retten.«
Die Frage, ob man mit dem Vorgehen Mieter*innen unter Druck setzen oder einschüchtern wolle, beantwortet Vonovia nicht.
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