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Wenn der Arzt nicht zuhört
Kindergesundheitsbericht: Probleme bei der Versorgung in vielen Bereichen
Ein 14-Jähriger bekommt die Diagnose Morbus Crohn. Das ist eine entzündliche Darmerkrankung, die eigentlich in jedem Alter auftreten kann, am häufigsten aber bei jungen Erwachsenen zwischen 15 und 35 Jahren. Das könnte eine Rolle dabei gespielt haben, welche Probleme es für den jungen Patienten gab, bis er tatsächlich die Diagnose erhielt.
Anlässlich der Vorstellung des Kindergesundheitsberichts am Mittwoch erzählte der Jugendliche, wie es ihm bei diversen Ärzten, in Notaufnahmen und im Krankenhaus ging. »Ich fühlte mich in der Diagnosephase nicht gut informiert. Die Krankheit und ihre Auswirkungen wurden nicht gut erklärt.« Schon in der Notaufnahme »war es nicht gut«. Und immer wieder musste er seine Krankheitsgeschichte erzählen, auch zweimal täglich im Krankenhaus. »Solche Informationen sollten doch besser zugänglich sein«, findet der Junge.
Bundesweit sind 212 Niederlassungen von Kinderärzten nicht besetzt.
Unzufriedenheit und Ratlosigkeit nach Kontakt mit der Medizin sind bei jungen Patienten – und auch bei ihren Eltern – nicht selten. Die Stiftung Kindergesundheit hatte zum Thema (im Zusammenhang mit dem jährlichen Bericht) eine repräsentative Befragung in Auftrag gegeben. Demnach finden 29 Prozent der Kinder, dass ihnen beim Kinderarzt nur teilweise erklärt wird, was untersucht wird und warum sie eine bestimmte Therapie brauchen. Fünf Prozent finden, dass das gar nicht passiert. Je älter die Kinder sind, umso besser läuft offenbar die Kommunikation: Bei den 14- bis 17-Jährigen sagen 70 Prozent, sie verstünden, was der Arzt erklärt. Bei den Acht- bis Zehnjährigen sind es nur 43 Prozent.
Nun wäre es erstaunlich, wenn Kinder ihre Ärzte besser verstehen als Erwachsene, denn auch letztere haben oft Probleme, aus verkürzter Fachsprache Optimismus oder gar Therapietreue zu schöpfen. Hingegen fühlten sich Kinder trotz nicht ausreichender Erklärungen mit großer Mehrheit beim letzten Arztbesuch ernstgenommen (88 Prozent). Teils hatten Kinder aber auch Probleme damit, dass sie nicht oder eher wenig mitentscheiden konnten. Hier gibt es also Verbesserungsbedarf. »Das könnte dann auch das Vertrauen in Behandlungsmaßnahmen und in das Gesundheitswesen insgesamt stärken«, hofft Berthold Koletzko. Der Vorsitzende der Stiftung Kindergesundheit ist an der Ludwig-Maximilians-Universität München als Pädiater mit Schwerpunkt Stoffwechselstörungen tätig.
Laut dem Bericht gab es 2024 in Deutschland rund 17 100 berufstätige Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzte. Dennoch fehlen so qualifizierte Mediziner. Bundesweit sind 212 Niederlassungen von Kinderärzten nicht besetzt. Hinzu kommt das Problem, das auch viele andere medizinische Fächer haben: Nachwuchs fehlt. »Ein Viertel der Kinder- und Jugendärzte ist über 60 Jahre alt«, konstatiert Koletzko.
Mindestens ebenso problematisch ist die stationäre Versorgung inzwischen, mit der alarmierenden Option einer weiteren Verschlechterung im Zuge der Krankenhausreform. Zum einen hat die Pädiatrie mit den Folgen der generalistischen Pflegeausbildung zu kämpfen. Hier sind die Ausbildungszahlen um 90 Prozent eingebrochen. Erst am Ende des Curriculums entscheiden sich die Azubis, ob sie eine Vertiefung in der Kinderkrankenpflege machen wollen. In einigen Bundesländern wird die Alternative, Gesundheits- und Kinderkrankenpflege, gar nicht angeboten. »Es gibt nur wenige Hundert unter den 39 000 Pflege-Azubis, die sich für die Kinderkrankenpflege entscheiden«, sagt Koletzko. Hier fordert der Bericht eine Korrektur und zum Beispiel die finanzielle Förderung einer entsprechenden Berufsentscheidung.
Nächstes Problem: Die Notfallversorgung. »Wir haben hier einen Mangel an qualifiziertem Personal, an betreibbaren Intensivplätzen. Weil die ambulante Notfallversorgung überfordert ist, werden viele Kinder in Zentren für Erwachsene behandelt«, beklagt Koletzko. Sorgen machen zudem immer noch Lieferengpässe bei Arzneimitteln für Kinder oder deren stark verspätete Zulassung im Vergleich mit dem gleichen Wirkstoff für Erwachsene. Fortsetzen ließe sich die Reihe mit dem Verschwinden von speziellen Medizinprodukten und -geräten für Kinder vom Markt durch zu hohe Kosten für die Zulassung in der EU. Auch Impfen bleibt Thema: Hier geht es um Lücken bei dem Polioschutz und der Pockenimpfung.
Derzeit besonders dringlich sind die Folgen der Krankenhausreform, zumindest in der Art wie mit dem jüngsten Anpassungsgesetz absehbar. Zwar gibt es seit 2023 eine Art jährlichen Zuschlag für diesen Bereich insgesamt in Höhe von 288 Millionen Euro. Er basiert allerdings auf früheren Daten und sollte dynamisiert werden, forderte Burkhart Rodeck, Generalsekretär der Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin. Angesichts weiterer Konzentration von Klinikstandorten müsse bedacht werden, dass in den vergangenen Jahren bereits viele Kinderabteilungen geschlossen wurden. Die stationäre Kindermedizin leidet schon länger an Unterfinanzierung. »Die Komplexität der Fälle ist höher als bei den Erwachsenen«, so Rodeck. Entsprechend höher sind die Personalkosten. Ein Teil künftiger Probleme wird sich daraus ergeben, dass die in Zukunft allein abrechenbaren Leistungsgruppen Kinderheilkunde nicht ausreichend spezifisch berücksichtigen. Insbesondere die Versorgung von schwer und chronisch kranken Kindern könnte dabei zu kurz kommen.
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