- Kultur
- Comic und Philosophie
Wie sich Gilles Deleuze mit Sigmund Freud versöhnte
Auf die Pilze kommt es an! Ein Spezialcomic für Gilles Deleuze zum 100.
Was man gar nicht so mitbekommt: wir befinden uns nicht nur in einem Thomas-Mann-Jahr, sondern auch in einem Gilles-Deleuze-Jahr (100. Geburtstag war am 18. Januar, 30. Todestag ist am 4. November). Es geht eben um »Differenz und Wiederholung«, wie er 1968 seine Habilitationsschrift nannte. Um diese Praxis zu verdeutlichen, veröffentlichten der Hamburger Comiczeichner Martin tom Dieck und der Berliner Musikjournalist Jens Balzer 2000 den Comic »Salut, Deleuze!«: Darin setzt der 1995 verstorbene französische Poststrukturalist auf einem Boot ins Totenreich hinüber, wo ihn schon seine etwas früher verschiedenen Freunde Michel Foucault, Jacques Lacan und Roland Barthes erwarten. Diese Fahrt kann man bekanntlich nur einmal machen – doch Deleuze unternimmt sie fünfmal, stets mit kleinen Variationen.
2001 erschien davon eine Erweiterung: als Fortsetzungscomic auf den »Berliner Seiten« der »FAZ«, in dem an der berühmten »Wunschmaschine« gewerkelt wird. Ein Ausdruck, den Deleuze mit Felix Guattari 1972 für ihr Kultbuch »Anti-Ödipus« als Gegenbegriff zu Freunds »Unbewusstem« erfanden, das ihnen zu autoritär formuliert war. Sie waren gegen das Starre und für das Fließende, das sich mit allem verband, statt sich davon abzusetzen. Idealbild war das »rhiziomatische Denken«, das Deleuze und Guattari propagierten: ein nicht-linerares, nicht-hierarchisiertes Denken, das sie sich wie ein Wurzelgeflecht vorstellten. Das konnte sehr kreativ und produktiv sein.
Und nun ist zum 100. Geburtstag von Deleuze eine weitere Comic-Fortsetzung von Dieck und Balzer erschienen: »Holy Deleuze!«, die mit den beiden Vorgängern von Reprodukt im Sammelband herausgebracht wird. Im dritten Teil treten zwei neue Gaststars auf: René Magritte und Sigmund Freud. Mit letzterem gehen Foucault, Lacan und Barthes Pilze suchen, die sie als Kerzen für den Geburtstagskuchen verwenden, den sie Deleuze mit einem berühmten Spruch von Lacan überreichen: »Zu lieben ist, zu geben, was du nicht hast, an jemandem, der es nicht will«.
Deleuze wundert sich hauptsächlich darüber, dass Freud mitgekommen ist, doch dann stellt sich heraus, dass der in der »Traumdeutung« auch eine Pilztheorie angedeutet hat und nun in der Unterwelt ebenfalls Pilzgeflechte züchtet. Das freut Deleuze sehr. Zum Schluss haben die vier Sozialphilosophen etwas entdeckt: »Freundschaft, das ist das Schwierigste und auch das Schönste.« nd
Jens Balzer / Martin tom Dieck: Salut Deleuze! Reprodukt, 176 S., br., 29€.
Wir sind käuflich. Aber nur für unsere Leser*innen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser:innen und Autor:innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen aufgreifen
→ marginalisierten Stimmen Raum geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten voranbringen
Mit »Freiwillig zahlen« machen Sie mit. Sie tragen dazu bei, dass diese Zeitung eine Zukunft hat. Damit nd.bleibt.