Palästina ist ein Flickenteppich aus Enklaven

Kim Aimée Armann über die Anerkennung Palästinas durch mehrere Industrienationen

  • Kim Aimée Armann
  • Lesedauer: 3 Min.
Staatliche Anerkennung – Palästina ist ein Flickenteppich aus Enklaven

Großbritannien, Kanada, Frankreich, Portugal, Monaco, Belgien, Luxemburg, Malta und Australien haben am Rande der 80. UN-Vollversammlung Palästina als Staat anerkannt – ein Schritt, der wie ein diplomatisches Beben wirkt. Doch die entscheidende Frage bleibt: Ist ein Palästinenserstaat überhaupt noch möglich? Auf dem Papier lautet die Antwort klar: ja. Völkerrechtlich beziehen sich Anerkennung und Zweistaatenlösung auf das Westjordanland, Gaza und Ost-Jerusalem. Aber die Realität hat diese Vision längst überholt. Siedlungen durchziehen die Westbank wie ein Netz, Ost-Jerusalem ist annektiert, Gaza abgeriegelt. Was früher als »zusammenhängender Staat« gedacht war, ist heute ein Flickenteppich aus Enklaven.

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Die Anerkennung verschiebt Diskurse, aber nicht die Realität. Checkpoints verschwinden nicht, die Blockade wird nicht gelockert, die Besatzung bleibt. Israel verfolgt seit Jahren eine Politik, die eine Rückkehr zu den Grenzen von 1967 faktisch ausschließt. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu hat es klar gesagt: Ein palästinensischer Staat westlich des Jordans werde niemals akzeptiert. Und doch ist die Anerkennung mehr als reine Symbolpolitik. Sie markiert eine wachsende Ungeduld, gerade in westlichen Staaten, die lange gezögert haben. Regierungen signalisieren: Der Status quo kann nicht länger hingenommen werden. Für Palästina bedeutet das mehr Gewicht in internationalen Foren, für Israel eine zunehmende diplomatische Isolation. Aber ohne Veränderungen vor Ort bleibt es weniger als eine Lösung – ein Signal, das politisch nachhallt, im Alltag der Menschen jedoch nichts verändert.

Kim Aimée Armann

Kim Aimée Armann arbeitet seit 15 Jahren als Journalistin, unter anderem zuletzt als Chefin vom Dienst bei ZDFinfo digital. Derzeit ist sie als freie Autorin und Filmemacherin tätig.

Wie aber könnte man Israel überhaupt dazu bringen, die Grenzen von 1967 einzuhalten? Die Antwort liegt weniger in Resolutionen, sondern in realem Druck. Handelsabkommen wie das EU-Israel-Assoziierungsabkommen, das Israel weitreichende Handels- und Forschungsprivilegien sichert, wären ein Hebel. Auch weitere Sanktionen könnten ein Signal senden. Politischer Wille existiert bereits – doch die entscheidenden Schwergewichte blockieren: Die USA verhindern auf internationaler Ebene jeden Kurswechsel, während Deutschland innerhalb Europas bremst. Solange beide nicht umdenken, bleiben EU und Weltgemeinschaft handlungsunfähig.

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Damit stellt sich die Frage: Halten wir wirklich weiter an einer Zweistaatenlösung fest, die längst zur rhetorischen Formel geworden ist? Oder müssen wir beginnen, über gleiche Rechte in einem gemeinsamen Staat nachzudenken – auch wenn das bislang als politisch undenkbar gilt? Denn es ist nicht die Forderung nach Gleichheit, die radikal wäre, sondern die permanente Ungleichheit, die längst zur Normalität geworden ist. Millionen Palästinenser*innen leben bis heute unter israelischer Kontrolle ohne politische Mitsprache, ohne Bewegungsfreiheit, ohne Sicherheit. Gleiche Rechte wären in dieser Realität kein Tabubruch, sondern das Fundament jeder Demokratie. Alles andere bedeutet, die Illusion von zwei Staaten zu verwalten – während ein System der Ungleichheit weiter zementiert wird.

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