Moldau: Wahlkampf mit Kampfbegriff

Die ehemalige Sowjetrepublik Moldau steht vor der »wichtigsten Wahl der Geschichte«

Wahlkampf in Moldau: Der linke Patriotische Block beschwert sich über Einschüchterungsversuche durch die Regierungspartei PAS.
Wahlkampf in Moldau: Der linke Patriotische Block beschwert sich über Einschüchterungsversuche durch die Regierungspartei PAS.

Wenn es um die Parlamentswahl am Wochenende geht, greift Maia Sandu ganz tief in die Phrasenkiste. Das Land stehe vor »der wichtigsten Wahl seiner Geschichte«. Das Ergebnis werde darüber entscheiden, »ob wir uns als stabile Demokratie auf dem Weg zur EU-Mitgliedschaft, als zuverlässiger Nachbar« stabilisieren oder »Russland uns zu einer Bedrohung an der südwestlichen Grenze der Ukraine« mache, so die moldauische Präsidentin Anfang September vor dem Europaparlament in Straßburg. Vor wenigen Tagen legte Sandu noch einmal nach. Moldau werde im Falle des falschen Wahlausgangs zum russischen Aufmarschgebiet, sagte sie in einer Fernsehansprache. Mehr Dunkel gegen Licht, Gut gegen Böse geht in Europa zurzeit nicht.

Dass Russland versucht, Einfluss auf die ehemalige Sowjetrepublik zu nehmen, gilt als ziemlich sicher. Wie umfangreich und vor allem wie erfolgreich diese Einflussnahme ist, steht hingegen auf einem anderen Blatt.

Eine Woche vor der Wahl veröffentlichte die BBC einen Bericht über Moskaus Einmischungsversuche in Moldau. So sollen unter anderem Menschen über Messenger angeworben worden sein, die sich für 150 Euro einen Monat lang bei Facebook und Tiktok regierungskritisch äußern. Bezahlt wird das Ganze von einer russischen Bank, die vom Westen sanktioniert ist. Bloomberg schreibt von jungen Männern, die in Sportvereinen und kriminellen Organisationen rekrutiert werden sollen, um nach der Wahl Aufruhr und, wenn nötig, auch gewaltsame Proteste zu provozieren.

Zuletzt sorgte eine Razzia für Schlagzeilen, bei der gut eine Million Euro in bar sichergestellt wurde, die nach Angaben der moldauischen Ermittler für Desinformation und Stimmenkauf gedacht war. Seitdem veröffentlichen die Strafverfolgungsbehörden beinahe täglich solche Videos. Das sei nur die Spitze des Eisbergs, ist sich der Politikwissenschaftler Witalij Andrijewskij sicher. Moskau gebe »hunderte Millionen« US-Dollar aus, sagte er Deutschlands Staatssender Deutsche Welle. Woher diese Zahlen stammen, verriet er hingegen nicht.

Der regierenden Partidul Acțiune și Solidaritate (Partei der Aktion und Solidarität, PAS) spielt die – reale wie heraufbeschworene – russische Einflussnahme in jedem Fall in die Hände. »Prorussische Kraft« ist für die von Sandu gegründete Partei zum politischen Kampfbegriff geworden, der allen Oppositionellen übergestülpt wird. Das gilt für die Anhänger des mittlerweile in Moskau lebenden Oligarchen Ilan Șor genauso wie für die Sozialisten von Ex-Präsident Igor Dodon. Auch der erst kürzlich entstandene Block Alternative rund um den Bürgermeister der Hauptstadt Chișinău, Ion Ceban, hat das Attribut verpasst bekommen, obwohl er mit dem Europa-Kurs des Landes kein Problem hat.

Die PAS nutzt das Label »prorussische Kraft« nicht ausschließlich zur Diffamierung. Sie will die Menschen in Moldau damit überzeugen, für die Regierungspartei zu stimmen, nach dem Motto: Wenn ihr uns nicht wählt, kommt euch der Russe holen. Bei einer Wahlveranstaltung behauptete Doina Gherman, immerhin auf Platz drei der PAS-Liste, dass noch am selben Tag ein Flugzeug mit russischen Soldaten in Chişinău landen würde und moldauische Kinder zu »Kanonenfutter« werden würden, sollte die PAS die parlamentarische Mehrheit verlieren. Das sei Realität und kein »Wahlkampf-Schreckgespenst«, betonte Gherman auf Nachfrage von Journalisten.

Präsidentin Sandu braucht die EU als Thema dringend, denn innenpolitisch hat die Regierung kaum Erfolge vorzuweisen.

Die PAS versucht, sich den Menschen in Moldau als einzige legitime proeuropäische Kraft im Land zu verkaufen. Sandus Partei erklärt alle Erfolge in Sachen EU-Integration zu ihrem Werk und verknüpft das Schicksal der Präsidentin mit der EU. Oder wie Sandu es ausdrückt: Angriffe auf sie seien Angriffe auf die Europäische Union.

Als Dank dafür kamen am 27. August, dem Unabhängigkeitstag, Friedrich Merz, Emmanuel Macron und Donald Tusk nach Chișinău, um Sandu den Rücken zu stärken. Und nur wenige Tage vor der Wahl meldete EU-Erweiterungskommissarin Marta Kos einen weiteren Erfolg auf dem Weg zum EU-Beitritt. Würde Russland sich so verhalten, würde man von Wahlbeeinflussung sprechen.

Sandu braucht die EU als Thema dringend, denn innenpolitisch hat die Regierung kaum Erfolge vorzuweisen. Im Land wächst die Ungleichheit. Im vergangenen Jahr legte das Bruttoinlandsprodukt lediglich um 0,1 Prozent zu. Preise für Wohnraum und die Zahl neuer Luxusautos erreichen hingegen Rekorde, merkte der Politikwissenschaftler Balázs Jarábik an. Vor allem im ländlichen Raum ist die soziale Spannung spürbar. Dort fragen sich die Menschen, wie sie die anstehende Heizsaison überstehen sollen. Und sehen Russland nicht so sehr als Feind, wie es die PAS tut. Selbst in Chişinău kann sich die Regierungspartei nicht zurücklehnen.

Für die PAS wird es auch auf die weiter wachsende Diaspora ankommen. Diese hatte schon im vergangenen Jahr Sandu überhaupt noch im Amt gehalten. Am vorigen Wochenende kratzte Moldaus Botschafter in Rumänien, Victor Chirilă, noch einmal gehörig an diesem wunden Punkt, als er die Diaspora den »am meisten gebildeten Teil unserer Gesellschaft« bezeichnete. Dafür löste er daheim einen Shitstorm aus.

Wer am Sonntag die Wahl für sich entscheidet, steht noch nicht fest. Die meisten Experten wollten sich vorab nicht festlegen. Moldauische Fachleute verweisen darauf, dass klassische Umfragen viele Faktoren wie die Diaspora und die große Masse der Unentschlossenen außer Acht lassen. Das hatte sich zuletzt im vergangenen Jahr gezeigt, als beinahe alle Vorhersagen zur Präsidentschaftswahl falsch lagen.

Nachdem wochenlang ein Sieg »prorussischer Kräfte« vorausgesagt worden ist, deuten jüngste Umfragen auf einen Erfolg der Regierung hin. Auch Balázs Jarábik glaubt, dass sich die PAS durchsetzen wird. Das verdankt sie weniger ihrem Profil als den ungeheuren Finanzmitteln, die aus der EU fließen. Sowohl die PAS als auch ihr wohlgesonnene »europafreundliche« Organisationen bekommen Geld aus Brüssel. Da kann die Opposition nicht mithalten, selbst mit Millionen aus Moskau.

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