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- Christen und Donald Trump
Die USA werden zum Gottesstaat
Aufgrund der Macht der Christen in den USA zweifelt Christoph Ruf an der Aufklärung
Der Beginn der Aufklärung wird gemeinhin auf die Jahre zwischen 1650 und 1700 datiert. Ohne sie, davon bin ich überzeugt, würden in Europa noch heute Hexen verbrannt und Religionskriege geführt.
Das Ende der Aufklärung erleben wir derzeit live. Eine ziemlich holzschnittartige Gut-böse-Lesart des Christentums ist in Afrika und Europa auf dem Vormarsch. Und die vermeintlich »älteste Demokratie der Welt« marschiert schnurstracks in Richtung eines Gottesstaates, in dem ein Glaube den Verstand ersetzt.
Dass das unter der Ägide eines Präsidenten geschieht, der als notorischer Lügner nicht eben für christliche Werte steht, ist lustig. Dass Donald Trumps IQ ganz entschieden gegen die These spricht, Gott habe den Menschen als Krone der Schöpfung vorgesehen, ebenfalls. Trumps Aufmerksamkeitsspanne beträgt vier Minuten und damit, vermute ich, weniger als bei einem Karpfen. Doch Machtinstinkt hat wenig mit Intelligenz zu tun; und Trump hat früh verstanden, dass die Evangelikalen seine Macht zementieren. Zudem scheint er tatsächlich zu glauben, die Tatsache, dass er ein Attentat überlebt hat, beweise, dass er von Gott ausgewählt sei.
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Natürlich sind nicht alle Trump-Partisanen in den Tausenden bestens besuchten Steinzeit-Christen-Gotteshäusern gewalttätig. Und leider ist politische Gewalt auch kein Alleinstellungsmerkmal der politischen Rechten. Aber wer – wie auch einige von Trumps Kabinettsmitgliedern – glaubt, im Auftrag einer höheren Macht unterwegs zu sein, findet für sich schnell Gründe, warum die Gewalt, die er ausübt, legitim ist. Wer politische Konflikte als Kampf zwischen Gut und Böse interpretiert, darf in der Wahl seiner Mittel nicht zimperlich sein. Denn was gäbe es Böseres als das Böse?
Christoph Ruf ist freier Autor und beobachtet in seiner wöchentlichen nd-Kolumne »Platzverhältnisse« politische und sportliche Begebenheiten.
Dass es in den USA Millionen evangelikaler Christen gibt, die offen homophob (und zumindest in Teilen rassistisch) sind, muss einem Angst machen. Zumal in einer solch gewalttätigen politischen Kultur wie der in den USA, in der bereits im 20. Jahrhundert Hunderte Politiker oder Gewerkschaftsfunktionäre schlicht umgebracht wurden, wenn sie im Wege standen.
Wer weiß, dass jeder dritte US-Bürger allen Ernstes findet, dass staatliche Gesetze auf Grundlage der Bibel erlassen werden sollten, bekommt Gänsehaut. Wer weiß, dass es unter den evangelikalen Christen 65 Prozent sind, erst recht. Zumal, da es mindestens 25 Millionen von ihnen gibt – allein im Erwachsenenalter. Zu ihnen zählen Leute wie Verteidigungsminister Pete Hegseth oder die Trump-Beraterin Paula White.
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Alles zynische Heuchler, die, wie der Bärtige einst sagte, Opium unters Volk streuen, also naive, aber unschuldige Menschen instrumentalisieren, um ihre eigenen Machtansprüche abzusichern? Ich fürchte, die Wahrheit ist noch deprimierender: Sie glauben wirklich daran.
Das ist das eigentlich Gefährliche, hat der verstorbene ebenfalls bärtige Philosoph und Motörhead-Sänger Lemmy Kilmister mal treffend auf den Punkt gebracht: »Diese Leute behaupten tatsächlich, dass all’ diese sagenhaften Märchen aus der Bibel stimmen! Sie schwören auf die Bibel. Das ist, als ob du mit einem Piloten fliegst, der Gespenster sieht.«
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