• Kultur
  • »Kein Geld, kein Glück, kein Sprit«

Heinz Strunk: Das grandiose Eintopfleben

Es lebe die Kaputtheit der Gegenwart! Neue Erzählungen von Heinz Strunk

  • Thomas Blum
  • Lesedauer: 3 Min.
Caroline Wahl sieht anders aus (und schreibt auch anders): Heinz Strunk
Caroline Wahl sieht anders aus (und schreibt auch anders): Heinz Strunk

Lebensmüdigkeit, Altern, Tod: Das sind die drei bestimmenden Themen im neuen, mittlerweile dritten Erzählungsband des Hamburger Schriftstellers Heinz Strunk. Und auch sein freudloses Personal kennt man schon: die Lebensüberdrüssigen, die vom Leben Benachteiligten, die vom Leben Vergessenen und Übergangenen, die »Einsamen, Hoffnungslosen und Durchschnittlichen« (Deutschlandfunk). Jene, die – »das Gesicht grau wie gestorbene Baumrinde« – aufgegeben haben, sich an der Selbstoptimierungsgesellschaft zu beteiligen. Jene, die den Plan, ihre unförmigen oder verfallenden Körper wieder in eine Form zu bringen, ad acta gelegt haben. Oder jene Spießbürger, die »in ihrem schlachtschiffgrauen Eintopfleben nicht gestört werden wollen«.

Selbst wenn sie nicht gerade in unguter Verfassung sind oder altern oder sterben, gibt es meist nicht viel, was Strunks Figuren am Leben hält. Sie sind desillusioniert. Sie dämmern dahin. Und selbst die Räume, in denen sie sich aufhalten, sind instabil oder vom Verfall bedroht: »Im Zimmer ist es jetzt tropenschwül statt eiskalt, es riecht verdorben und süßlich, als wäre der ganze Raum in einem Prozess langsamer Gärung begriffen. Das Hotel verfault von unten genauso schnell, wie es von oben zusammenfällt.«

Zugegeben, das ist alles ist keine erbauliche Lektüre, wie der Durchschnittsleser von heute sie sich wünscht. Strunk schreibt keine aufmunternde Motivationsprosa, sondern Skizzen aus dem beschädigten Leben. Und genau das ist auch sein großes Verdienst im gegenwärtigen deutschen Literaturbetrieb, der im Wesentlichen von Biedersinn und Langeweile zusammengehalten wird und dessen Geschäftsmodell vor allem darin besteht, das unbedarfte Publikum mit den Biedermeier-Groschenromanen von Caroline Wahl & Co. zu bedienen und gleichzeitig jenen, die sich für gebildet halten, den neuen Handke anzudrehen.

nd.DieWoche – unser wöchentlicher Newsletter

Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.

Strunk ist eine Ausnahme: Er ist einer, der schreiben kann, der keine Scheu hat, die Deformationen und die Kaputtheit unserer Gegenwart zum Thema zu machen, und dessen Bücher sich trotzdem verkaufen. Man weiß nicht, wie er das macht, aber alle paar Monate erscheint ein neues Buch von ihm, in dem Traurigkeit, Melancholie, Horror und Komik eine Art Einheit bilden und in dem die Desillusionierung, die hier Methode ist, immer auch den nächsten Witz vorbereitet. »Selbst die tiefste Trostlosigkeit verströmt, allein durch die Drastik und Genauigkeit, zuweilen grimmige Komik« (»FAZ«).

Strunk bedient sich, was Ideen und Stil angeht, dabei gelegentlich auch aus einer literarischen Tradition des 19. und 20. Jahrhunderts, in der eine Atmosphäre des Unheimlichen und Albtraumhaften und die Verwendung von Elementen aus dem Horror-Genre konstitutiv sind: der »Weird Fiction«, in der sich seltsame und sonderbare Dinge ereignen, die aber nicht zwingend übersinnlicher Natur sind, und in der das Unangenehme, das Abstoßende und das Bedrohliche explizit nicht ausgespart werden.

»Im Flur schlägt mir eisige Kälte entgegen, grässlicher Moder- und Verwesungsgeruch, Dämpfe von alter Kotze, ranzigem Fett und Fäkalien.« Und schon hat der Leser geruchsmäßig die Fährte aufgenommen, ist sozusagen mittendrin im Geschehen. Und er weiß sicher, dass es kein Roman von Caroline Wahl ist. »Auf dem Esstisch ein Kanten glasig harter Käse, Fleisch, das mit grünlich phosphoreszierendem Flaum bedeckt ist. Kaffeetassen mit Schimmelklümpchen.« Hier haust nicht nur Herr Brüning, der an seiner Hand eine Wunde hat, aus der »gelbe Flüssigkeit suppt, die aussieht wie aufgeschlagenes Eigelb«, sondern auch dessen Ehefrau, die er, wie sich nach kurzer Zeit herausstellt, schon seit längerer Zeit in einer Art Käfig hält. Niemand behaupte, Heinz Strunk schreibe unrealistische Geschichten. Das tut er nämlich nicht. »Wer einen Sinn für Strunks Pessimismus, für sein Leiden an der Welt hat, wird seine Bücher zu den Erleichterungen, letztlich Tröstungen rechnen, die Literatur bereitzuhalten vermag«, meint die »FAZ«.

Heinz Strunk: Kein Geld, kein Glück, kein Sprit. Rowohlt, 192 S., geb., 23 €.

Wir stehen zum Verkauf. Aber nur an unsere Leser*innen.

Die »nd.Genossenschaft« gehört denen, die sie lesen und schreiben. Sie sichern mit ihrem Beitrag, dass unser Journalismus für alle zugänglich bleibt – ganz ohne Medienkonzern, Milliardär oder Paywall.

Dank Ihrer Unterstützung können wir:

→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen in den Fokus rücken
→ marginalisierten Stimmen eine Plattform geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten anstoßen und weiterentwickeln

Mit »Freiwillig zahlen« oder einem Genossenschaftsanteil machen Sie den Unterschied. Sie helfen, diese Zeitung am Leben zu halten. Damit nd.bleibt.