Palästinensische Anti-Öffentlichkeit

Wie reagiert die Hamas auf Trumps 20-Punkte-Plan für ein Ende des Gaza-Krieges? Eine Annäherung

  • Oliver Eberhardt
  • Lesedauer: 4 Min.
Warum hat die Hamas am 7. Oktober 2023 die Tür für den Krieg geöffnet? Im Sinne der palästinensischen Öffentlichkeit war das nicht.
Warum hat die Hamas am 7. Oktober 2023 die Tür für den Krieg geöffnet? Im Sinne der palästinensischen Öffentlichkeit war das nicht.

Gerade einmal vier Jahre ist es her, dass in einer Muckibude in einer schmucklosen Seitenstraße von Gaza-Stadt reger Betrieb herrschte. »Wenn Du verstehen willst, warum die Hamas so ist, wie sie ist, dann musst Du Dich an solchen Orten umschauen«, hatte Mohammad gesagt, ein sogenannter »Fixer«: Das sind Einheimische, die ausländischen Journalisten Gesprächspartner vermitteln, für sie übersetzen, Türen öffnen. Und wenn man mehr über die Hamas erfahren will, dann geht es nicht ohne: Die Organisation ist extrem verschlossen, hat viele Funktionäre und noch mehr, die sich für wichtig halten.

Warum, das wurde an diesem Tag vor vier Jahren zwischen den Hanteln, dem Schweiß deutlich: Recht freimütig erzählten die jungen Männer, dass sie darauf hofften, in die Essedin-al-Kassam-Brigaden aufgenommen zu werden, dafür müsse man eben richtig fit sein. In der Perspektivlosigkeit, der Armut, die den Gazastreifen seit vielen Jahren prägten, boten die Hamas und ihr militärischer Flügel Selbstbewusstsein, Stolz, aber vor allem eine klare Daseinsberechtigung: den Kampf gegen die Blockade durch Israel und Ägypten, die viele der über zwei Millionen Menschen in dem dicht besiedelten Landstrich für das eigene Elend verantwortlich machten.

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Heute liegt der Gazastreifen in Trümmern; Zehntausende sind ums Leben gekommen. Der Rest kämpft ums Überleben. Soweit sich das überblicken lässt, hat die Hamas bei den Menschen im Gazastreifen ihre Aura verloren: Immer wieder gibt es gegen sie Demonstrationen, während die stark dezimierten Kassam-Brigaden brutal gegen Kritiker vorgehen: Ende September wurden drei Palästinenser auf offener Straße erschossen; sie hätten mit Israel kollaboriert, hieß es danach.

Die Hamas-Führung diskutiert nun darüber, wie sie auf den Friedensplan reagieren soll, den US-Präsident Donald Trump Anfang der Woche vorgestellt hat. Seit Politbürochef Yahya Sinwar Mitte Oktober 2024 getötet wurde, wird die Organisation von einem fünfköpfigen Komitee geführt, dessen Mitglieder sich in Katar und der Türkei aufhalten. Das Politbüro selbst hat 15 Funktionäre. Daneben gibt es noch die Führung der Kassam-Brigaden, deren Wort innerhalb der Hamas ein enormes Gewicht hat.

Eine Besonderheit dabei ist die starke Dissonanz zwischen den Erwartungen und Bedürfnissen der palästinensischen Öffentlichkeit und den Entscheidungen der Hamas-Führung. Warum hat man mit dem Massaker im Süden Israels am 7. Oktober 2023 die Tür für den Krieg geöffnet? Warum hat man nicht nach Auswegen gesucht, als das Ausmaß der extremen Zerstörung immer sichtbarer wurde? Denn tatsächlich tat man das Gegenteil, lenkte in den seit damals andauernden Verhandlungsbemühungen durch die Regierungen Katars und Ägyptens so selten wie möglich ein – ein Vorgehen, das auch nach dem letzten großen Krieg im Sommer 2014 zu beobachten war: Unmittelbar nach dem Waffenstillstand begann die Hamas damit aufzurüsten, trotz der Blockade, die das eigentlich hatte verhindern sollen.

Einen Einblick liefern Diplomaten aus Ägypten, Israel und der palästinensischen Autonomiebehörde, die die Hamas-Führung persönlich kennengelernt haben: Das Konzept eines Palästinas vom Fluss bis ans Meer stecke tief in den Funktionären drin, sind sich alle einig, und auch darin, dass die Hamas-Spitze gezielt handele. »Mein Eindruck ist, dass man den Krieg trotz des Ausmaßes der Zerstörung als Erfolg betrachtet«, sagt ein Mitarbeiter des ägyptischen Außenministeriums. Denn all dies habe auch zu einer internationalen Isolation Israels geführt und die Strukturen der Hamas im Westjordanland gestärkt. In Ramallah berichten Mitarbeiter der Autonomiebehörde davon, dass die örtlichen Hamas-Funktionäre sich die wachsende Zahl an Staaten auf die Fahnen schreiben, die Palästina als Staat anerkennen.

Viele arabische Staaten haben sich offiziell hinter Trumps Plan gestellt. An einen Erfolg scheint dennoch kaum jemand zu glauben: Zwar ist die Hamas im Gazastreifen geschwächt. Doch von ihrem Anspruch, die wahre Vertretung des palästinensischen Volkes zu sein, hat sie sich nicht gelöst.

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