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Kein Polizeigesetz mit links in Sachsen
Innenminister setzt auf KI und Taser. Koalition muss sich neue Mehrheitsbeschaffer suchen
Die Zeit läuft: Exakt 266 Tage bleiben der sächsischen Koalition aus CDU und SPD, um ein Polizeigesetz für den Freistaat zu verabschieden, das mit der Verfassung in Einklang steht. Das war beim Vorgänger von 2019 teilweise nicht der Fall, wie der Verfassungsgerichtshof vor mittlerweile 20 Monaten entschied. Er setzte eine Frist für Korrekturen bis zum 30. Juni 2026. Doch eine Landtagswahl, eine zähe Regierungsbildung und schwierige Haushaltsgespräche sorgten dafür, dass erst jetzt der Entwurf für eine Gesetzesnovelle auf dem Tisch liegt. Vergangene Woche wurde er in einer Sondersitzung vom Kabinett beschlossen, nun folgen Anhörungen und die Befassung im Landtag.
Für Sachsens erste Minderheitsregierung, der im Landtag zehn Stimmen zur Mehrheit fehlen, ist es das dritte politische Großvorhaben nach der Wahl von Ministerpräsident Michael Kretschmer im Dezember 2024 und dem Beschluss des Etats für 2025 im Juni dieses Jahres. Absehbar ist, dass sich CDU und SPD beim Polizeigesetz auf wichtige bisherige Mehrheitsbeschaffer nicht verlassen können. Dem Haushalt hatten Linke und Grüne zur Mehrheit verholfen. Bei der Wahl Kretschmers hatten sich die Grünen enthalten; seine Mehrheit verdankte der Regierungschef mutmaßlich Abgeordneten von Linken und BSW. Dem Entwurf des Polizeigesetzes indes erteilten Linke und Grüne eine Abfuhr.
Abgeordnete dieser beiden Fraktionen hatten einst die Klage beim Verfassungsgericht eingereicht. Die von dessen Richtern geforderten Änderungen seien aber in der Vorlage von Innenminister Armin Schuster (CDU) gar nicht enthalten, merkte Rico Gebhardt, Innenexperte der Linken, an. Er zeigte sich darüber »irritiert« und forderte, das Gerichtsurteil müsse »im Zentrum der Novellierung« stehen. Valentin Lippmann, sein Fachkollege von den Grünen, warf Schuster vor, den Auftrag des Verfassungsgerichtshofes »kolossal missverstanden« zu haben. Er habe verfassungswidrige Grundrechtseingriffe beseitigen »und nicht dutzende neue schaffen« sollen.
Schuster will im Freistaat künftig beispielsweise eine von Künstlicher Intelligenz (KI) gesteuerte Datenanalyse ermöglichen. Bilder sollen mit öffentlich zugänglichen Quellen im Internet abgeglichen und eine umfassende biometrische Videoüberwachung eingeführt werden. Lippmann sprach vom »Gift der Überwachung« und ätzte, der Minister sei »näher an der Praxis in China als auf dem Boden unserer Verfassung unterwegs«.
Der vom Kabinett beschlossene Entwurf schafft auch die Grundlage für eine Überwachung verschlüsselter Kommunikation, die sogenannte »Quellen-TKÜ«, sowie die verdeckte und automatisierte Kennzeichenerkennung. Bodycams sollen Beamte künftig auch in Wohnräumen tragen dürfen. Außerdem sollen »Distanz-Elektroimpulsgeräte«, besser bekannt als »Taser«, nicht mehr nur den Spezialkräften der sächsischen Polizei, sondern allen Einheiten zur Verfügung stehen. Das Ministerium spricht von einem »Deeskalationsmittel«, Gebhardt warnt vor der Gefahr schwerer Verletzungen. Positiv äußerte sich der Linksabgeordnete lediglich zum Vorschlag Schusters, polizeiliche Handlungsmöglichkeiten bei häuslicher Gewalt zu stärken.
Generell aber lehnen die Genossen den Entwurf Schusters ab: »Mit der Linken wird all das nicht laufen«, betonte Gebhardt. Auch die Grünen erklärten, sie würden »für einen solch freiheitsfeindlichen Entwurf nicht zur Verfügung stehen«. Die 15-köpfige BSW-Fraktion hält sich alle Optionen offen. Ihr Innenexperte Bernd Rudolph erklärte, man stehe »für ein modernes Polizeivollzugsdienstgesetz mit dem Stand der Technik entsprechenden Befugnissen«, wolle aber gleichzeitig »eine Balance von Freiheit und Sicherheit« und werde den Entwurf deshalb »gründlich prüfen«. Er warnte allerdings auch, die besten Möglichkeiten nützten der Polizei nichts, wenn es an Personal und Ausrüstung fehle. Auch Gebhardt warf die Frage auf, ob Sachsens Polizei die geplante Quellen-TKÜ technisch überhaupt leisten könne.
Die Abstimmungen im Landtag dürften sich angesichts solcher Kritik nicht einfach gestalten. Auf die AfD, die als stärkste Oppositionsfraktion im Parlament sitzt, will sich das Regierungsbündnis bei der Verabschiedung von Gesetzen nicht verlassen, wie im Koalitionsvertrag ausdrücklich festgehalten wurde. Gebhard warnt sie dennoch bereits davor, »schmutzige Mehrheiten mit irgendwelchen Populisten« zu suchen.
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