Bitte kein Heroismus

Léon Landini war ein alter französischer Widerstands­kämpfer

  • Elfriede Müller
  • Lesedauer: 6 Min.
»Was haben diese Faschos denn hier verloren?« Léon Landmini (mit rotem Schal) bei der Über­führung von Missak Manouchian und seiner Frau Mélinée ins Pantheon im Februar 2024
»Was haben diese Faschos denn hier verloren?« Léon Landmini (mit rotem Schal) bei der Über­führung von Missak Manouchian und seiner Frau Mélinée ins Pantheon im Februar 2024

Ende September starb der Résistance-Kämpfer Léon Landini im Alter von 99 Jahren. Er war das letzte noch lebende Mitglied der FTP-MOI, einer linken Unterabteilung der französischen Widerstandsbewegung, gebildet aus Exilanten und Immigranten. Die Abkürzung stand für Francs-tireurs et partisans – Main-d’oeuvre immigrée et partisans. Sie wurde 1942 gegründet und ging aus der MOI hervor, die seit 1920 kommunistische Migranten organisierte. Italiener, Spanier, Polen und Armenier, darunter viele Juden, kämpften gemeinsam gegen die Faschisten.

Der bekannteste unter ihnen war Missak Manouchian (1906–1944), berühmt geworden durch das berüchtigte »Affiche rouge«, das rote Plakat, das die Nazis in ganz Frankreich zur Abschreckung plakatiert hatten. Damit meldeten sie 1944 Vollzug: Die Verhaftung und Hinrichtung von Résistance-Kämpfern als »Kriminelle«, die mit ihrem Konterfei abgebildet wurden. Für einen Résistance-Kämpfer im Raum Lyon unter der Herrschaft von Gestapo-Chef Klaus Barbie war die Überlebenszeit drei Monate.

Obwohl von Barbie gefoltert, überlebte Landini. Er verbat sich später jede Art von Heroismus und wehrte sich gegen die Bezeichnung »ehemaliger Widerstandskämpfer«. Stattdessen verlangte er, »alter Widerstandskämpfer« genannt zu werden.

Seine Eltern waren in den 20er Jahren als Antifaschisten auf der Flucht vor Mussolini nach Frankreich ins Departement Var gekommen, wo er 1926 in der kleinen Hafenstadt Saint-Raphaël geboren wurde. Von klein auf mit Rassismus konfrontiert und als »dreckiger Makkaroni« bezeichnet, begann er sich früh zu wehren. Während des Spanienkrieges kamen Internationale Brigadisten vorbei, denen sich sein älterer Bruder Roger anschloss.

Nach der Retirada, dem Rückzug und der Flucht der Republikaner nach ihrer Niederlage 1938 gegen Franco, wurde ein Lager für spanische Republikaner in der Nähe seines Wohnortes eröffnet, für 800 Personen hinter Stacheldraht. So gut wie ohne Versorgung litten sie unter dem nasskalten Winter und unter der sengenden Hitze mit vielen Stechmücken im Sommer. Landinis Familie sammelte im Dorf für sie: Die Armen versorgten die noch Ärmeren mit Kleidern, Milch und anderem. Als die Polizei die Verteilung verhindern will, stürmt die Bevölkerung das Lager und sammelt danach 4500 Unterschriften. Dafür muss der Bruder 48 Tage ins Gefängnis.

Nach der französischen Kapitulation vor der Wehrmacht 1940 begann Léon Landini mit einem Freund Sticker gegen das Vichy-Regime und für mehr Brot zu kleben. Er beteiligte sich an Sabotageaktionen und am Verteilen illegaler Flugblätter und trat der Kommunistischen Partei bei. Nun war er bei vielen gewagten Aktionen der FTP-MOI dabei, zum Beispiel bei der Sprengung der Bauxitmine in Brignoles, die nur an die deutsche Armee lieferte.

Im Mai 1943 werden sein Bruder Roger und sein Vater Aristide von der italienischen Geheimpolizei verhaftet und gefoltert. Auch Léon wird abgeholt, aber aufgrund seines jungen Alters wieder freigelassen. Die Familie zieht nun zu einem Onkel ins Département Creuse. Dort schließt er sich dem Maquis, den Partisanen der Résistance, an. Der Rest seiner Familie wird von den Deutschen deportiert, doch sie schaffen es mit der Hilfe von Eisenbahnern bei Dijon zu fliehen.

Anfang 1944 wird sein Bruder Roger gefragt, ob er bereit sei, nach Lyon zu gehen. Obwohl er gerade der Hölle entkommen ist, geht er. Léon folgt ihm und beteiligt sich an vielen Aktionen, aber nicht an Attentaten – hauptsächlich geht es um Zugentgleisungen und Schmierestehen. Am 25. Juli 1944 gerät er in eine Falle, wird verhaftet und zur Gestapo gebracht. Dort schlägt man ihn zusammen und tritt ihm die Schädeldecke ein. Doch er wird kein Verräter und überlebt. Man bringt ihn ins Gefängnis nach Montluc, wo 950 Personen in winzigen Zellen untergebracht sind. Seine Genossen halten ihn für tot.

Als die Deutschen ihre Niederlage erahnen, begehen sie wie in Panik Massaker an der Bevölkerung: In Bron bringen sie 109 Menschen um, 120 in Saint-Genis-Laval. In Villeurbanne wagt FTP-MOI den Aufstand, während die Alliierten an der Rhone vordringen, und zwingen die Deutschen zur Flucht. Ein mitgefangener Russe in Landinis Zelle warnt, dass die Nazis das Gefängnis vermint hätten. Das stimmt auch, aber die Nazis haben keine Zeit mehr, die Minen scharf zu stellen. So können sie die Zellentür aufbrechen und fliehen.

Bei der Befreiung von Lyon kommt es zu Differenzen zwischen den bürgerlichen Gaullisten und den linken FTP-MOI. Beispielsweise wurden ihre Kämpfer in einer Schule untergebracht, während die Gaullisten die Präfektur und andere Orte der symbolischen Macht besetzten. Um die FTP-MOI loszuwerden, sollten sie auf Geheiß der Gaullisten mit dem Fallschirm hinter den deutschen Linien abgesetzt werden. Norbert Kugler, Kommandant der Zone Süd der FTP, lehnt sich auf: Wenn diese jungen Männer, die noch nie in einem Flugzeug saßen, zwischen zwei deutschen Linien abgesetzt werden, bedeutet das ihren sicheren Tod. Das war wohl laut Landini auch die Absicht. Die FTP-MOI erhielt auch keine Waffen von den Gaullisten. Sie musste sie immer von den Deutschen erbeuten.

Sie waren keine Antifaschisten, um später Medaillen zu erhalten oder um in der Zeitung zu stehen. Landini hatte vor dem Augenblick am meisten Angst, wenn er einem Deutschen gegenüberstehen würde, den er dann töten müsste.

Nach dem Krieg verstummten viele, weil sie glaubten, der Faschismus sei nun besiegt. Landini sah das anders, er wehrte sich im Kalten Krieg gegen die Hufeisentheorie der Extreme, die Klaus Barbie mit dem Kommunismus gleichsetzte. Der antifaschistische Kampf dürfe sich nicht auf die Abwehr der Rechtsradikalen beschränken, er müsse offensiv geführt werden, meinte er, es sollten gesellschaftliche Alternativen vorgeschlagen werden.

In den 90er Jahren wurde Landini einer der Kritiker in der KPF an der gemäßigten Führung von Robert Hue und 2004 einer der Mitgründer der marxistisch-leninistischen Kleinpartei PRCF (Pôle de renaissance communiste en France – Sammlung der kommunistischen Erneuerung Frankreichs), der er auch vorstand.

Als der Sarg von Missak Manouchiane 2024 ins Pariser Pantheon, der französischen Grab- und Gedenkstätte, überführt wurde, lud Präsident Emmanuel Macron selbstverständlich auch die noch lebenden Mitglieder der FTP-MOI ein. Erstaunt musste Landini dabei feststellen, dass auch Vertreter des Rassemblement National, der neofaschistischen Partei, geladen waren. So fragte er den Präsidenten: »Was haben diese Faschos denn hier verloren? Genau gegen solche Leute haben wir gekämpft!« In seinem letzten Jahr erzählte er in einem Interview mit »L’Humanité«, dass er häufig davon träume, wieder in der Résistance zu sein, denn die aktuelle Zeit erinnere ihn an die Vorkriegsjahre.

Léon Landini starb am 21. September in Versailles.

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