Bayerns bitterste Lehrstunde

Die deutschen Doublesiegerinnen kassieren gegen den FC Barcelona eine desillusionierende Niederlage

  • Frank Hellmann
  • Lesedauer: 4 Min.
Auch ein Mannschaftskreis nach dem 0:3 nach 27 Minuten konnte den Bayern-Spielerinnen beim FC Barcelona nicht helfen.
Auch ein Mannschaftskreis nach dem 0:3 nach 27 Minuten konnte den Bayern-Spielerinnen beim FC Barcelona nicht helfen.

Christian Wück ist aufmerksamer Beobachter der Frauen-Bundesliga. Mitunter sitzt der Bundestrainer kopfschüttelnd auf der Tribüne, weil es ihm an Intensität und Passqualität mangelt. Überhaupt sieht der 52-Jährige im Alltag viele Defizite, die sich hoch bis zum Nationalteam ziehen. »Wir müssen selbstverständlicher werden im Spiel mit dem Ball«, forderte der Ex-Profi vor einigen Tagen und krönte die Spanierinnen zum leuchtenden Vorbild, die mit ihren technischen Fähigkeiten viel handlungsschneller seien als die Deutschen. Wenn es einen Beleg für Wücks Bestandsaufnahme brauchte, hat ihn der erste Spieltag der Women’s Champions League in aller Deutlichkeit geliefert.

Die 1:7-Klatsche für den FC Bayern am Dienstagabend beim FC Barcelona zeigt, wo der deutsche Fußball der Frauen steht. Noch nie schien der Kader der deutschen Doublesiegerinnen so hochkarätig besetzt – und noch nie waren die Münchnerinnen auf europäischer Ebene gleichzeitig so chancenlos. Die Ansage von Sportdirektorin Bianca Rech, dass Bayerns Frauen international konkurrenzfähig seien, ist nach nur einem Spiel widerlegt.

Bayern und Wolfsburg sind keine Topklubs mehr

Der VfL Wolfsburg, das zweite deutsche Champions-League-Team, kennt das schon: Im Frühjahr holte sich der Vizemeister gegen die kombinationssicheren Katalaninnen im Viertelfinale der Königsklasse mit 1:4 und 1:6 zwei ähnliche Ohrfeigen ab. Wenn Wolfsburg am kommenden Samstag gegen Bayern zum Bundesliga-Gipfeltreffen in der heimischen VW-Arena antritt, verbietet sich eigentlich die Bezeichnung Topspiel. Denn vom internationalen Toplevel sind Deutschlands Aushängeschilder weiter entfernt denn je.

Wer redet nach den Lehrstunden endlich mal Klartext? Verband und Vereine, so das Credo beim Deutschen Fußball-Bund (DFB), kommen nur gemeinsam aus der Krise. Der Status quo reicht nicht für Titel. Weder auf Vereins- noch auf Nationalmannschaftsebene. Für die DFB-Frauen steht zwar Ende Oktober das Nations-League-Halbfinale gegen Frankreich an. Doch der Einzug ins Finale und ein möglicher Sieg gegen Spanien oder Schweden, die im anderen Halbfinale aufeinandertreffen, scheint in der aktuellen Verfassung des deutschen Fußballs schwer vorstellbar. Zumal es gegen beide Gegner schon bei der EM Niederlagen gab. Nur eben nicht mit sechs Toren Differenz.

Münchens neuer Trainer ist schon beschädigt

Wie paralysiert stand gegen Mitternacht der neue Bayern-Trainer José Barcala am Mikrofon beim Streamingdienst Disney+. »Die Spielerinnen sind frustriert«, sagte er und sprach dann über sich: »Ich bin sehr traurig und enttäuscht mit einer Leistung, die nach unseren Standards inakzeptabel war.« Der gebürtige Galizier wirkte schwer getroffen wie ein Boxer, der in der ersten Runde den K.o.-Treffer kassiert. »Gegen den Ball hatten wir nicht das nötige Tempo und Timing.« Man müsse lernen und zusammenbleiben. Der 44-Jährige wird sich fragen, wie es sein kann, dass sein Ensemble um die Europameisterin Georgia Stanway wie Falschgeld herumläuft? Dass Aitana Bonmati, Alexia Putellas oder Patri immer eine freie Mitspielerin finden? Dass Nationalstürmerin Klara Bühl am eigenen Strafraum den Ball zum Gegner spielt?

Das Desaster beschädigt auch den neuen Coach früh in der Saison, weil seine Verpflichtung mit der Hoffnung verbunden war, endlich in der Königsklasse weiter als ins Viertelfinale zu kommen. In dieser Verfassung wird das sehr, sehr schwierig. Trotz verletzungsbedingter Ausfälle spielten die Führungskräfte Giulia Gwinn und Lena Oberdorf nach ihren langen Zwangspausen keine Minute. Gleichwohl bestand die Startelf ausnahmslos aus Nationalspielerinnen aus Deutschland, England, Schweden, Italien, Dänemark und Japan.

Große Kluft zwischen Bundesliga und Champions League

»Wir haben verdient verloren, auch wenn die Niederlage für unsere Ansprüche zu hoch ausgefallen ist«, sagte Bayerns Klara Bühl, der immerhin noch der Ehrentreffer gelang. »Wir haben nie wirklich Zugriff auf sie gehabt«, merkte Stürmerin Pernille Harder an, die über die eingespielten Automatismen beim dreimaligen Champions-League-Gewinner nur staunen konnte: »Wenn sie zu viel Zeit mit dem Ball bekommen, sind sie überall. Wir müssen uns das Spiel anschauen und gucken, was wir besser machen können, wenn wir gegen ein Team wie Barcelona spielen. So weit sind wir noch nicht.« Doch im Ligabetrieb können die Bayern diese Fortschritte kaum erreichen.

Zu selten werden Harder und Ko. wirklich gefordert. In der Bundesliga hat man nach fünf Spieltagen noch kein Gegentor bekommen. Nun hätte es in 90 Minuten auch zweistellig ausgehen können. Nie war die Kluft zwischen nationalem Alltag und internationalem Anspruch größer. Vielleicht wird Christian Wück darüber reden, wenn er seinen Kader für die nächsten Länderspiele vorstellt. Die Spielerinnen vom FC Bayern bilden schließlich sein Gerüst – dort spielen immer noch die besten deutschen Fußballerinnen. Lektion im Estadi Johan Cruyff hin oder her.

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