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Braunes Erbe: Wie der Berliner Fußball den Nazis diente

Längst überfällig: Eine neue Publikation untersucht die Rolle des BFV als Gehilfe der Diktatur. Von der Gleichschaltung bis zum Arbeitersport

  • Helge Meves
  • Lesedauer: 4 Min.
Glühender Nazi: Oskar Glöckler, Fußball-Gauführer Berlin-Brandenburg, mit Spielern der Berliner Auswahl 1935
Glühender Nazi: Oskar Glöckler, Fußball-Gauführer Berlin-Brandenburg, mit Spielern der Berliner Auswahl 1935

Rapid Wien war 1941 deutscher Fußballmeister, 1938 zudem Pokalsieger – nach dem völkerrechtswidrigen Anschluss Österreichs an Hitler-Deutschland und faschistischem Terror auf den Straßen von Wien. So verzeichnen es die Statistiken des Deutschen Fußballbundes (DFB) bis heute ganz offiziell. Auch das Logo des DFB, das 1926 in Anlehnung an germanische Runen neu entwickelt wurde, ist in seiner gezackten Ästhetik bis heute mit leichten Überarbeitungen erhalten geblieben.

Diese symbolischen Kontinuitäten korrespondieren mit den personellen: DFB-Präsident war von 1925 bis 1945 Felix Linnemann, der spätere SS-Obersturmbannführer und verantwortlich für Deportationen von Sinti und Roma in die Vernichtungslager. Er entwarf die Mustersatzung, die Vereinen die »rassenmäßige Überprüfung« und den Ausschluss jüdischer und politisch missliebiger Mitglieder ermöglichte. Linnemann war es auch, der Sepp Herberger 1936 zum Reichstrainer machte – dessen »Sternstunde«, wie er später resümierte. Am 1. Mai 1933 war Herberger in die NSDAP eingetreten, um bald darauf das Team des gleichgeschalteten Deutschland zu trainieren und später die Auswahl der Bundesrepublik zum »Wunder von Bern« (1954) zu führen.

Lücke in der Geschichtsschreibung

Während die Nazi-Verstrickungen an der Spitze des DFB und vieler Vereine inzwischen beleuchtet wurden, klaffte auf der mittleren Ebene – den Landes- und Regionalverbänden – bisher eine Leerstelle. Eine kritische Auseinandersetzung in einem Landesverband gab es schlicht nicht. Mit dem nun vorliegenden Band »Eine Stütze des Systems? Der Berliner Fußball im Nationalsozialismus« ändern Daniel Küchenmeister und Thomas Schneider dies für Berlin.

Es ist ein Meilenstein, dessen sich der Berliner Fußball-Verband (BFV) mit Stolz auf seiner Website rühmt: Als erster DFB-Landesverband überhaupt hat der BFV eine solche wissenschaftliche Aufarbeitung der eigenen Geschichte in Auftrag gegeben. Zum Verbandstag am 22. November 2025 erscheint das Buch, das eine entscheidende Forschungslücke schließt. Denn gerade die Ebene der Gaue war es, die nach der faktischen Selbstauflösung der bürgerlichen Verbände 1933 als »Transmissionsriemen« fungierte, um die politischen Vorgaben der Nazi-Diktatur bis in den kleinsten Verein durchzusetzen.

Vom Schönfärben zur Realität

Das ist verdienstvoll, war aber auch bitter nötig. Die Geschichtsschreibung des Verbandes basierte bis in die späten 1990er Jahre wesentlich auf den Darstellungen des Berliner Funktionärs Carl Koppehel. Dieser nahm unter DFB-Präsident Felix Linnemann eine Schlüsselrolle bei der Gleichschaltung der Vereine ein und veröffentlichte 1957 in der Bundesrepublik eine DFB-Geschichte, die die Rolle der Funktionäre verzerrte und beschönigte.

Das ist verdienstvoll, war aber auch bitter nötig.

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Bernd Schultz, heutiger BFV-Präsident, räumt in seinem Grußwort am Anfang des Buches endlich mit dieser Legende auf: Der Fußball habe eben nicht »nur den Spielbetrieb organisiert«, sondern seit 1933 einen aktiven Beitrag zur Zerstörung der Demokratie und zur Festigung der Diktatur geleistet.

Spannend für eine gesamtdeutsche Leserschaft: Der Sammelband nimmt auch die Nachgeschichte in der DDR in den Blick. Kontinuitäten werden hier in beiden Richtungen deutlich. So wird die Biografie des ehemaligen KZ-Häftlings Helmut Behrendt gewürdigt. Seine Erfahrungen als Spieler beim Arbeitersportverein Fichte Südost Berlin brachte er später als Generalsekretär des Nationalen Olympischen Komitees der DDR (1952–1973) ein. 1978 erhielt er als erster DDR-Bürger den Olympischen Orden des Internationalen Olympischen Komitees.

Widerstand und Anpassung

Die Stärke des Bandes liegt in der Differenzierung. Er zeigt die politischen Spielräume in den Vereinen auf. Herausragend ist die Rekonstruktion der Gleichschaltung von Viktoria 1889. Der Verein, 1908 und 1911 noch Deutscher Meister, wurde von Otto Colosser geführt. Colosser, bis 1932 Reichstagsabgeordneter der liberalen Wirtschaftspartei, galt den Nazis als Gegner. Er positionierte sich 1930 öffentlich gegen den Antisemitismus der NSDAP und lehnte das »Führerprinzip« ab. Die Konsequenz: Im Oktober 1933 wurde sein Ausschluss aus dem DFB verkündet, Linnemann und Koppehel rechneten öffentlich mit ihm ab. Colosser tauchte unter, wurde denunziert und inhaftiert. Sein Schicksal steht exemplarisch für die Wenigen, die sich nicht widerstandslos einfügten.

Das von Küchenmeister und Schneider herausgegebene Buch umfasst acht Einzelbeiträge, unter anderem zum Verbandsstandort Wannsee und dem jüdischen Sportplatz im Grunewald. Es belegt eindrücklich, wie der organisierte Sport zur systemstabilisierenden Kraft wurde. Ein wichtiges Buch, das hoffentlich auch in den anderen DFB-Landesverbänden Nachahmer findet.

Eine Stütze des Systems? Der Berliner Fußball im Nationalsozialismus. Hrsg. von Daniel Küchenmeister und Thomas Schneider. Arete Verlag, Hildesheim 2025, 320 S., geb., 28 €. Gefördert durch die Kulturstiftung des DFB und das Zentrum für Antisemitismusforschung an der TU Berlin.

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