Borussia Dortmund: Hans-Joachim Watzke lässt die Geschäfte ruhen

Der im Klub und in Verbänden streitbare Funktionär will nun Vereinspräsident werden

  • Daniel Theweleit, Dortmund
  • Lesedauer: 5 Min.
Machte den BVB vom Pleiteklub zur Weltmarke: Hans-Joachim Watzke
Machte den BVB vom Pleiteklub zur Weltmarke: Hans-Joachim Watzke

Als Träumer ist Hans-Joachim Watzke bisher kaum aufgefallen. Doch als der langjährige Klubchef von Borussia Dortmund in dieser Woche auf seine am Sonntag endende Ära als Geschäftsführer des Bundesligisten zurückblickte, ließ er sich doch zu einer kleinen Phantasterei hinreißen. Wenn all die immer noch aktiven Stars, die während der fast 21 Watzke-Jahre in Dortmund spielten, immer noch da wären, »der Haaland, der Lewandowski und die anderen, leck mich am Arsch«, sinnierte Watzke. Die Traumelf könnten der amtierende Weltfußballer Ousmane Dembélé, İlkay Gündoğan, Jude Bellingham, Manuel Akanji, Achraf Hakimi, Alexander Isak und noch einige andere ergänzen. »Wir waren über die ganzen Jahre immer titelfähig«, sagte er am Mittwoch in einer Art Karrierebilanzgespräch in einer kleinen Presserunde.

Doch der unter Watzkes Ägide vollbrachte Aufschwung vom Pleiteklub zur Weltmarke wird nicht im Zentrum stehen, wenn der 66-Jährige an diesem Sonntag aus der Geschäftsführung der Kommanditgesellschaft auf Aktien abtritt, um sich anschließend zum Präsidenten des Vereins wählen zu lassen. Es handle sich bei diesem Schritt um »einen Lebenstraum«, sagt er.

Viele Kritikpunkte

Wahrscheinlich wird er tatsächlich gewählt, obgleich Recherchen des »Spiegel« und der »Sportschau« Zweifel von Kritikern nähren, die Watzke als ungeeignet für dieses Amt sehen. Weil er sich in Angelegenheiten, die mit Werten und einer Haltung zu tun haben, angreifbar gemacht hat. Er soll mehrere teure Flüge mit dem Privatjet über den Klub abgerechnet haben, obwohl sie nicht ausschließlich mit seinen Aufgaben bei Borussia Dortmund in Zusammenhang standen oder angesichts der kurzen Strecken überflüssig waren. Obgleich im Rahmen eines Compliance-Verfahrens keine Verstöße festgestellt wurden, deuten die Recherchen darauf hin, dass der Textilunternehmer sich ein recht teures Luxusleben vom BVB mitfinanzieren ließ.

Als vor einem Jahr Mitglieder aufbegehrten, weil sie den Sponsoringdeal mit dem Rüstungskonzern Rheinmetall ablehnten, reagierte Watzke eher harsch als verständnisvoll. Und dann ist da noch dieser Missbrauchsskandal beim BVB, von dem Kritiker meinen, Watzke hätte ihn entschlossener aufklären müssen. Bereits 2010 wurde im Klub bekannt, dass ein ehemaliger BVB-Funktionär während der 1990er Jahre seine Macht genutzt haben soll, um Nachwuchsspieler sexuell zu missbrauchen. Watzke leitete den Fall an den damaligen Vereinspräsidenten Reinhard Rauball weiter, geschehen ist wenig. Der beschuldigte Funktionär, der bis heute alles abstreitet, saß weiter in Gremien, wurde Ehrenmitglied, hatte einen Minijob bei der Borussia und konnte weiterhin auf dem Klubgelände verkehren, wo sich Minderjährige aufhalten.

Als der BVB 2023 Hinweise auf weitere Fälle erhielt und die Sache abermals diskutiert wurde, schrieb Watzke in einem Mailverkehr führender Vereinsverantwortlicher: »Macht was Ihr wollt, aber setzt mich bitte nicht mehr ins cc ...« Es sei um eine »strikte Trennung der Verantwortlichkeiten« gegangen, teilte der Klub der »Sportschau« und dem »Spiegel« dazu mit. An der Basis ist zu hören, dass zahlreiche Mitglieder weder die Missbrauchsgeschichte noch die Sache mit den Flügen für abschließend geklärt halten. Es gibt also reichlich Konfliktpotenzial auf der Mitgliederversammlung.

Streitbare Positionen

Watzke ist eben ein streitbarer Mann, ein Macher, wofür er an anderer Stelle selbst von seinen Kritikern geschätzt wird. Bei der Deutschen Fußball-Liga ist er Aufsichtsratschef, beim Deutschen Fußball-Bund (DFB) erster Vizepräsident, bei der Uefa sitzt er im machtvollen Exekutivkomitee. Gerade in den deutschen Verbänden gelten seine Positionen als streitbar, aber er steht zu seinen Überzeugungen und ist bereit, für diese zu kämpfen – beispielsweise für den längst gescheiterten Investorendeal bei der DFL, für die Einführung von Stehplätzen im Europapokal oder den Erhalt der 50-1-Regel. Und im Zweifel auch für politische Reformen, die er als langjähriger Freund von Friedrich Merz begrüßen würde.

Der Sohn eines früheren CDU-Landtagsabgeordneten ist ein Mann, dem nicht nur die Politik von Angela Merkel zu links war, sondern auch verschiedene Aktivitäten des DFB es immer noch sind. Zugleich ist er in der Lage, funktionierende Verbindungen sowohl zu St. Paulis linksaktivistischem Präsidenten Oke Göttlich als auch zum umstrittenen Fifa-Chef Gianni Infantino herzustellen, weil er undogmatisch denken kann.

Ermüdender Druck

Aber passt dieser Mann auch als Präsident zu einem eingetragenen Verein in einer alten SPD-Stadt? Und was will er eigentlich dort? Nach den Eindrücken der vergangenen Monate kann man ihm schon glauben, dass er nicht Präsident wird, um aus dem Hintergrund weiter zu bestimmen, wie es Uli Hoeneß in München tut. »Ich glaube nicht, dass ich von der Seitenlinie oft reingrätsche«, verspricht er. Leute aus dem Inneren des Klubs berichten, Watzke sei tatsächlich ruhiger geworden und lasse seinen Mitarbeitern viele Freiheiten. »Ich möchte diesen Druck nicht mehr«, hat er im September gesagt. »Am Ende des Tages haben ja doch alle auf mich geschaut, wenn es irgendwo eng wurde. Ich bin nach so vielen Jahren müde, pausenlos operative Entscheidungen treffen zu müssen.«

Wie gut er sich allerdings raushalten kann, wenn wegweisende Entscheidungen anstehen, weiß vermutlich nicht einmal Watzke selbst. Es wäre jedoch verwunderlich, wenn er in der nächsten sportlichen Krise dann nicht denkt: Das kann ich aber besser als der derzeitige Sportgeschäftsführer Lars Ricken. Und vielleicht wäre dieser Gedanke nicht einmal falsch.

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