Gewalt und Honig in »Amrum«

Auf der Suche nach einem Honigbrot am Ende des Zweiten Weltkriegs: »Amrum« ist ein »Hark-Bohm-Film von Fatih Akin«

  • Morten Glück
  • Lesedauer: 6 Min.
Tausche Robben gegen Schollen gegen Butter: Jasper Billerbeck als Nanning
Tausche Robben gegen Schollen gegen Butter: Jasper Billerbeck als Nanning

Waren Sie schon einmal auf Amrum? Die kleinere, etwas stillere Insel neben Sylt und der noch bescheideneren Insel Föhr in der Nordsee. Dort hat der Schauspieler und Autorenfilmer Hark Bohm seine Kindheit am Ende des Zweiten Weltkriegs verbracht. Darüber hat er in der Pandemie einen Roman geschrieben und dann auch ein Drehbuch, das sein Freund Fatih Akin nun verfilmt hat, weil sich Bohm dafür schon zu alt fühlte – er ist 86 Jahre alt, Akin erst 52. Deshalb heißt es zu Beginn von »Amrum«: »Ein Hark-Bohm-Film von Fatih Akin«.

Mit »Soulkitchen, »Tschick« oder »Rheingold« steht Aktin für ein anspruchsvolles Erfolgskino, während Bohm in den 70er Jahren mit poetisch erzählten, sogenannten Problemfilmen über rebellische Jugendliche wie »Nordseee ist Mordsee« und »Moritz lieber Moritz« bekannt wurde. In der letzten Einstellung von »Amrum«, als die Geschichte schon erzählt ist, sieht man ihn am Strand von Amrum in die Ferne blicken. Ursprünglich hatte er diesen Film als seinen letzten geplant.

Im Frühjahr 1945 wird Amrum bevölkert von alteingesessenen Insulanern und Flüchtlingen, die ausgebombt wurden oder vor der vorrückenden Roten Armee geflohen sind. Protagonist ist ein Junge namens Nanning (Jasper Billerbeck), der aus Hamburg auf die Insel seiner Familie mütterlichrseits gezogen ist, und wohl Bohm selbst verkörpern soll. Während die Tante (Lisa Hagmeister) ein Hitlerportrait verbrennt und die Hakenkreuzflagge abhängt, macht sich Hannings schwangere Mutter (Laura Tonke) große Sorgen, denn sie glaubt noch immer an den »Führer« und seine Partei. Der Ehemann und Vater ist ein führender Nazi, der sich schon längst in Kriegsgefangenschaft befindet.

Am Tag, an dem im Radio Hitlers Tod verkündet wird, gebärt sie eine Tochter und verfällt anschließend in eine Depression. Sie lässt ihr Baby schreien, weil das »ihre Lungen kräftigt«, verkriecht sich im Bett und will nichts mehr essen – höchstens ein Weißbrot mit Butter und Honig, verrät sie Nanning. Ein letzter Traum von Luxus, sehr schwer zu erfüllen, denn dafür muss man das Brot erst backen und braucht dazu wie im Kinderlied Zucker, Eier, Milch und Mehl. Ganz zu schweigen von Butter und Honig. Nanning versucht sich auf der kleinen Insel am Besorgen aller Zutaten für diese spezielle Kur. Das ist die kinderfilmartige Handlung von »Amrum«.

Das Honigbrot ist ein MacGuffin wie aus einem Hitchcockfilm. Es führt Nanning zu symbolischen Figuren mit den verschiedensten Ansichten. Für etwas Zucker läuft er auf lebensgefährliche Weise durch das Watt auf die Nachbarinsel Föhr zu seinem Onkel, einem glühenden Nazi und Möchtegern-Hitler, den Nanning vorsichtshalber im HJ-Dress besucht. Oder er hilft einem alten Seebär mit fast republikanischen Ansichten (Detlev Buck) bei der Robbenjagd, bekommt dafür geräucherte Schollen, um sie bei einer politisch renitenten Bäuerin (Diane Kruger) gegen Butter einzutauschen.

Zu Beginn des Films spricht sie davon, dass der Krieg verloren ist, wird aber aus Versehen von Nanning verraten und bekommt von den Nazis wegen »verbaler Wehrkraftzersetzung« das Standgericht angedroht, zu dem es dann aber doch nicht kommt. Dafür zeigt ihm der freundliche Opa seines einzigen Freundes Hermann (Kian Köppke) sein verstecktes Radio, mit dem er »Feindsender« hört, um sich besser zu informieren, was Nanning dann aber gut für sich behalten kann.

Regisseur Fatih Akin schafft es, eine über allem schwebende, atmosphärisch beklemmende Schwere herzustellen, die wenig dazu einlädt, das beschauliche Nordsee-Panorama zu genießen. Vorangetragen duch die überragende schauspielerische Leistung von Jasper Billerbeck, der einen Nanning spielt, der viel Gewalt erfährt und nie so richtig weiß, wo er eigentlich hingehört. Ist er Hamburger, Amrumer oder ständig fehl am Platz? In der Schule wird er herumgeschubst, von den Flüchtlingskindern wie von den Amrumern. Nicht nur in seiner gefühlskalten Nazifamilie bekommt er ständig zu hören: »Sei gefälligst ein Mann!«

Und auch die kleine Inselgesellschaft ist sich unsicher, wie es nun weitergehen soll. Hitler ist tot. Aber der Faschismus auch? Amrum als Ort für eine politische Stichprobe im Jahr 1945 ist gut gewählt, waren die Wahlergebnisse der NSDAP doch in Nordfriesland besonders hoch (1933 waren es 73 Prozent). Spätestens als Nanning einen toten britischen Piloten am Strand entdeckt, ist klar: Man kann dem Krieg nicht entkommen.

Seinem Freund Hermann leiht er aus der elterlichen Bibliothek ein Exemplar von »Moby Dick« von Herman Melville aus, das er aus einer Reihe mit »Rassenkunde«-Büchern, die sein Vater verfasst hat, hervorzieht. Die Jungen überlegen: Wenn Hitler Kapitän Ahab ist, wie manche sagen, wer ist dann Moby Dick? Nach der Kapitulation freuen sich die Gegner der Nazis, die das jetzt auch zeigen können, und die Nazis tun so, als wären sie nie welche gewesen. Nur Nannings Möchtegern-Hitler-Onkel erschießt sich wie sein Vorbild.

Ein besonderes Merkmal des Films ist die friesische Sprache, die über weite Teile des Films gesprochen wird. Die eigene Inselsprache unterscheidet sich sogar von den Dialekten auf den Nachbarinseln Föhr und Sylt und erst recht vom Festland-Friesisch. Sie wird heutzutage noch von etwa 500 Menschen gesprochen und dürfte hier ihre Spielfilmpremiere haben.

Die Werbung für den Film »Amrum« hat auch etwas von einer Werbung für Touristen. Wer Amrum nicht kennt, dem sei versichert, ein Urlaub auf dieser Insel ist nicht gemütlich. Es ist immer kalt, windig und regnerisch und die meisten Insulaner reagieren auf Urlauber mit wortkarger Distanz. Dazu auf der einen Inselseite ein Meer, das sich alle paar Stunden zurückzieht und auf der anderen Seite ein Strand, bei dem man zur Wanderung an die Wasserkante Proviant einstecken sollte, so weit ist die entfent.

Doch der Kontrast zwischen »Schietwetter« und heißem Friesentee, zwischen Ebbe und Flut, von Dünen und Ackerland ist es, was die Insel besonders macht. Auch als Gegenentwurf zum benachbarten Sylt, der Insel der Reichen und derer, die sich dafür halten, wirkt Amrum geradezu geerdet.

Im Film sind nicht zuletzt die Inselkirche im beschaulichen Friesendörfchen Nebel, die beeindruckende Dünenlandschaft und das Heimatmuseum, ein ehemaliges Kapitänshaus mit riesigen Walzähnen als Portal, als Kulisse zu erkennen. Auch der auf der Insel omnipräsente Familienname Quedens wird im Film aufgenommen.

Um ehrlich zu sein, hätte der Film »Föhr«, »Helgoland« oder »Hiddensee« geheißen, hätte das vermutlich die Qualität dieser schwermütigen Coming-of-Age-Geschichte nicht gemindert. »Alle echten Amrumer gehen irgendwann weg«, heißt es im Film. So auch Hark Bohm, der seine Jugend in einem Hamburger Internat verbrachte, aber der Insel immer noch verbunden ist. Zum Glück gibt es heute dort weniger Nazis als früher.

»Amrum«: Deutschland 2025. Regie: Fatih Akin. Buch: Fatih Akin/Hark Bohm. Mit Jasper Billerbeck, Kian Köppke, Laura Tonke, Diane Kruger, Detlev Buck, Matthias Schweighöfer. 100 Min, Kinostart: 9. Oktober

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