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  • Noosha Aubel und Severin Fischer

»Meine Partei heißt Potsdam«

Noosha Aubel will Oberbürgermeisterin der Landeshauptstadt werden. Grüne, BSW, Volt und eine Wählergruppe unterstützen das

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 6 Min.
Noosha Aubel (parteilos, rechts im Bild) liegt vor der Oberbürgermeister-Stichwahl in Potsdam am Sonntag mit 34 zu 16,9 Prozent vor Severin Fischer (SPD, links hinter Aubel).
Noosha Aubel (parteilos, rechts im Bild) liegt vor der Oberbürgermeister-Stichwahl in Potsdam am Sonntag mit 34 zu 16,9 Prozent vor Severin Fischer (SPD, links hinter Aubel).

Vor dem Potsdamer Rathaus sind Erdhaufen aufgeschüttet und Bauzäune aufgestellt. Ein Transparent informiert über die laufende Sanierung des Gebäudes und verrät, wo die Bürger derweil ihren Reisepass beantragen und andere Behördengänge erledigen können. Dazu ist ein Bauarbeiter mit Helm und Bohrmaschine abgebildet, vielleicht soll es auch ein Akkuschrauber sein. Jedenfalls verspricht das Transparent: »Aus Alt wird Neu.«

Wer der neue Oberbürgermeister von Potsdam wird und dann irgendwann von hier aus die Geschicke der fast 190 000 Einwohner zählenden Kommune lenkt, entscheidet sich in wenigen Tagen. Es könnte auch eine Oberbürgermeisterin werden. Denn Noosha Aubel (parteilos) liegt vor der Stichwahl am 12. Oktober deutlich vor ihrem Konkurrenten Severin Fischer (SPD). 34 Prozent hatte Aubel bei der ersten Runde der Oberbürgermeisterwahl am 21. September erhalten – Fischer lediglich 16,9 Prozent.

Doch der Sozialdemokrat, der als Wirtschaftsstaatssekretär in der Berliner Senatsverwaltung tätig ist, glaubt daran, seinen großen Rückstand noch aufholen zu können. 66 Prozent der Wähler haben Noosha Aubel am 21. September nicht angekreuzt und sie hält Severin Fischer für grundsätzlich »ansprechbar«. Tatsächlich haben diese Leute sehr unterschiedliche Kandidaten gewählt, die nun ausgeschieden sind: 16,5 Prozent wählten Clemens Viehrig (CDU), 16 Prozent den Linke-Kandidaten Dirk Harder, 13 Prozent Chaled-Uwe Said (AfD), 2,8 Prozent Michael Reichert (Freie Wähler) und 0,8 Prozent Alexander Wietschel von der Spaßpartei »Die Partei«.

Der frühere Oberbürgermeister Mike Schubert (SPD) verlor seinen Posten im Mai durch einen Bürgerentscheid. Angekreidet wurde ihm eine selbstherrliche Amtsführung, die dazu geführt habe, dass Führungskräfte das Rathaus verließen und sich anderswo einen Job suchten. Aubel selbst gilt als eine davon. Sie war in Potsdam Kulturbeigeordnete, ist dann nach Flensburg abgewandert und würde jetzt zurückkehren, um Oberbürgermeisterin zu werden.

Mehr oder weniger im linksalternativen und linksliberalen Spektrum zu verorten und doch sehr verschieden sind die Parteien und Gruppen, auf die sich Aubel bisher stützen konnte: Die Grünen und die Wählergruppe »Die Andere« vor allem, aber in zweiter Linie auch das Bündnis Sahra Wagenknecht und Volt. Auf einigen von Aubels Wahlplakaten steht: »Meine Partei heißt Potsdam.«

»Mich unterstützen unterschiedliche Akteure, weil sie an einen Politikwechsel glauben.«

Noosha Aubel OB-Kandidatin

»Mich unterstützen unterschiedliche Akteure, weil sie an einen Politikwechsel glauben«, erklärt Aubel am Montagabend bei einem Stammtisch des RBB-Radiosenders Antenne Brandenburg, der live aus dem Kulturhaus Babelsberg übertragen wird. Die Kandidatin weist bei diesem Termin darauf hin, dass eine Fraktion der Stadtverordnung sie unterstütze, obgleich diese Fraktion Vorbehalte gegen die Pläne für den Brauhausberg habe. Der Softwaremilliardär Hasso Plattner will der Universität Potsdam dort einen neuen Campus bauen, damit sein Hasso-Plattner-Institut sich am Griebnitzsee auf das Gelände ausdehnen kann, das gegenwärtig noch von der Universität in Beschlag genommen ist. Noosha Aubel hält dieses Projekt für eine große Chance. Aber trotz dieser Unstimmigkeit halte die Fraktion »Die Andere« an ihr fest.

Posten versprochen hat sie nach eigener Darstellung keinem ihrer Unterstützer. Das sei ihr Prinzip: Schluss mit der Politik in Hinterzimmern. Stattdessen will Aubel ihre Ideen mit wechselnden Mehrheiten in der Stadtverordnetenversammlung verwirklichen.

Diesen von Aubel anvisierten Politikstil bezeichnet Severin Fischer als »experimentell«. Er meint: »Das ist das Gegenteil von Verlässlichkeit.« Sie könne doch, wenn sie mit Hasso Plattner über den Brauhausberg laufe, diesem überhaupt nichts zusichern, hält Fischer seiner Konkurrentin vor. Denn sie würde ja nie genau wissen, ob sie im Stadtparlament die Mehrheit für notwendige Beschlüsse zusammenbekommen würde.

»Verlässlichkeit statt grüne Experimente«, verspricht der SPD-Politiker auf einem Wahlplakat. Er tut so, als stünden hinter Aubel im Wesentlichen nur die Grünen und deren Ideologie. Wer beispielsweise gegen eine drohende Verfünffachung der Gebühren für Anwohnerparkausweise sei, der hätte in Severin Fischer jemanden, dem dies zu viel wäre – obwohl die geplante Gebührenerhöhung bislang von seiner eigenen Partei mitgetragen wurde. Allerdings wünscht sich Fischer genauso wie Aubel eine autoarme Innenstadt. Für ihn bedeutet das, es müsste der eine oder andere Parkplatz noch weggenommen werden, um Platz zum Flanieren zu schaffen. Bisher gibt es in Potsdam mit der Brandenburgischen Straße nur eine Fußgängerzone. Das ist wenig für eine Stadt dieser Größe.

Eine Streichliste, um den kommunalen Haushalt zu sanieren, will Fischer nicht präsentieren. Aubel möchte mit den Stadtverordneten beraten, wo Prioritäten gesetzt werden. Fakt ist: Potsdam plant gegenwärtig mit einem Minus von 30 Millionen Euro. Aber das ist nicht alles. Wie Götz Friedrich vom Wirtschaftsrat der Stadt erläutert, sei ein Schuldenberg von mehreren hundert Millionen Euro angehäuft worden und jedes Jahr kämen weitere 30 Millionen Euro dazu. »Potsdam ist pleite«, sagt Friedrich.

CDU, Linke und AfD, deren ausgeschiedene Kandidaten erkleckliche Stimmenanteile verbuchen konnten, sprechen vor der Stichwahl keine ausdrückliche Empfehlung für Fischer oder Aubel aus. Die Linke erklärte nach Treffen mit beiden Kandidaten: »Das Gespräch mit Noosha Aubel hat gezeigt, dass sie keinen Willen zu linker Programmatik hat. Wir interpretieren das Gespräch so, dass sie keine Wahlempfehlung von links möchte. Konkrete Bekenntnisse etwa zur Ausweitung sozialer Ausgaben konnte sie nicht machen, aber ausgerechnet bei der für uns so zentralen Errungenschaft des Preisdeckels für Schulessen gibt es von Noosha Aubel eine Absage.«

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Dass Aubel keine direkte Wahlempfehlung der Linken haben wollte, dürfte eine zutreffende Beschreibung sein. Taktisch wäre es für die Kandidatin günstig gewesen, wenn sich die Sozialisten nebulös für einen Wechsel aussprechen würden. Das wäre ein Wink mit dem Zaunpfahl an die eigenen Anhänger gewesen. Es hätte dann aber zugleich nicht CDU-Wähler verschreckt, die sich nach 35 Jahren, in denen die SPD den Oberbürgermeister von Potsdam stellte, mal was anderes wünschen.

Der Linken wäre es auf eine Beendigung des Mietenwahnsinns angekommen. In Potsdam herrscht Wohnungsnot. Wer nicht 2000 Euro oder mehr im Monat hinblättern kann, hat es sehr schwer, eine Bleibe zu finden. Diese Misere ist auch beim Stammtisch von Antenne Brandenburg Thema. Mietervereinschef Holger Catenhusen schildert dort, wie bei Wohnungsbesichtigungen Interessenten im Minutentakt eingelassen werden oder wie sich Dutzende in einer Wohnung drängeln und die Hoffnung der meisten dann wieder einmal enttäuscht wird. »Das ist schon sehr deprimierend«, sagt Catenhusen.

Was Aubel und Fischer zur Problemlösung anzubieten haben, unterscheidet sich kaum. Nachverdichtung und Ausbau von Dachgeschossen sind Stichworte, die sie nennen, Neubau in serieller Bauweise – durch die kommunale Wohnungsgesellschaft und durch die Wohnungsgenossenschaften, aber gerne auch durch private Investoren, mit denen Vereinbarungen getroffen werden sollen.

Aubel wünscht sich zudem eine Wohnraumagentur, die den Tausch großer Wohnungen gegen kleine vermittelt. Fischer pocht darauf, dass ältere Leute, deren Kinder ausgezogen sind, ihre Drei-Raum-Wohnung freiwillig an junge Familien abgeben müssten. Es solle kein Druck auf sie ausgeübt werden. Sonst wäre es angebracht, mal an die Besitzer riesiger Villen am Griebnitzsee zu denken, von denen niemand redet. Aubel beteuert, selbstverständlich solle alles auf freiwilliger Basis geschehen. Manche wollten ja gern eine kleinere, dafür altersgerechte Wohnung. Weil sie jedoch beim Umzug mehr bezahlen müssten als für das größere alte Quartier, nehmen sie davon Abstand. Da könnte die Stadt vielleicht helfen, indem sie geeignete Wohnungen anbietet und den Umzug bezahlt.

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