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80-Cent-Jobs für Geflüchtete in Peine

Beschluss des Kreistags sorgt bundesweit für Kritik

  • Yaro Allisat
  • Lesedauer: 3 Min.
Geflüchtete in Niedersachsen. In Peine sind derzeit rund 850 von ihnen untergebracht – dort sollen sie nun zur Arbeit rekrutiert werden.
Geflüchtete in Niedersachsen. In Peine sind derzeit rund 850 von ihnen untergebracht – dort sollen sie nun zur Arbeit rekrutiert werden.

Der Kreistag Peine in Niedersachsen hatte am 1. Oktober mit den Stimmen von CDU, FDP und AfD die Zwangsarbeit für Geflüchtete eingeführt: 80 Cent sollen Personen im Asylverfahren für Arbeiten beispielsweise in den Wäschereien oder Küchen von Gemeinschaftsunterkünften bekommen. Selbst die Kreisverwaltung hatte sich dagegen ausgesprochen. Jetzt macht die Entscheidung bundesweit Furore.

»Hier wird das Narrativ bedient, Menschen würden hierherkommen, um von den Sozialleistungen zu profitieren«, so Muzaffer Öztürkyilmaz vom Flüchtlingsrat Niedersachsen am Montag zu »nd«. »Menschen werden als Belastung und dann im zweiten Schritt als billige Arbeitskräfte angesehen.« Öztürkyilmaz plädiert stattdessen dafür, dass Asylantragsteller*innen selbständig entscheiden dürfen, wann sie arbeiten wollen, und fordert besseren Zugang zu Ausbildungs- und Integrationsmaßnahmen. Bereits bei Ein-Euro-Jobs habe man gesehen, dass die Zwangsarbeit nicht dazu führte, dass Menschen dauerhaft in Arbeit kommen.

Auch der Grünen-Kreisverband kritisiert die Entscheidung, da auf den Landkreis zusätzliche Kosten von 250 000 Euro zukommen werden. Außerdem reiße die CDU damit die Brandmauer zur AfD ein, so Weigand. In immer mehr Kommunalparlamenten verlässt sich die CDU – trotz Unvereinbarkeitsbeschluss – auf die Stimmen der AfD.

Vergangene Woche bezeichnete auch die Linke-Bundestagsabgeordnete Heidi Reichinnek die Entscheidung in einer Mitteilung des Peiner Kreisverbands als »Skandal«. »Eine Arbeitspflicht für Geflüchtete einzuführen, bedeutet nichts anderes als Ausgrenzung und Entrechtung. Arbeitszwang ist mit einer menschenwürdigen Asylpolitik unvereinbar.« Anstatt über Zwangsarbeit solle über ein Recht auf Arbeit als tatsächlich sinnvolle Integrationsmaßnahme gesprochen werden.

Begründet hatten CDU und FDP ihren Antrag damit, die Arbeitsverpflichtung diene dem Wohle der Allgemeinheit und gebe erste Einblicke in den Arbeitsmarkt für die Asylantragsteller*innen. Von den derzeit rund 850 Betroffenen in Peine können viele aber gar nicht rekrutiert werden. Zu dieser Gruppe gehören Minderjährige, Schwangere, Alleinerziehende und Personen, die sich in Maßnahmen anderer Behörden befinden.

Die Rechtsgrundlage für die Arbeitsgelegenheit ist im Asylbewerberleistungsgesetz festgeschrieben; über die verpflichtende Umsetzung entscheiden die Kommunen. Bei Nichtwahrnehmung der Arbeit drohen Kürzungen der Asylbewerberleistungen. Obwohl das Bundesverfassungsgericht Kürzungen bei den Asylbewerberleistungen – und damit das Gesetz an sich – für verfassungswidrig erklärte, da das »Absenken des Leistungsstandards unter das physische und soziokulturelle Existenzminimum« nicht zu rechtfertigen sei, gehören Leistungskürzungen weiterhin zum Standardrepertoire von Ausländer- und Sozialämtern deutschlandweit.

Zwar kann man sich aufgrund von Krankheit von der Arbeit freistellen lassen, aufgrund der niedrigen Gesundheitsleistungen im Asylbewerberleistungsgesetz können Geflüchtete jedoch insbesondere bei psychischen Erkrankungen oft gar keine Arzttermine wahrnehmen, um entsprechend diagnostiziert zu werden. Hinzu kommt, dass Asylantragsteller*innen und Geduldeten die Arbeitserlaubnis verweigert wird, beispielsweise weil sie aus sogenannten sicheren Herkunftsstaaten kommen. Auch diese Menschen sollen nun in Peine 80-Cent-Zwangsarbeit verrichten.

Auch in Bayern sowie in Thüringen wird die Arbeitspflicht bereits seit vergangenem Jahr in einigen Kommunen umgesetzt. Flüchtlingsräte kritisieren die niedrige »Aufwandsentschädigung«, die die Geflüchteten für die »Teilnahme« erhalten. Zudem gibt es Berichte, dass Geflüchteten der Integrationskurs gestrichen wurde, damit sie die Arbeitsverpflichtung wahrnehmen konnten.

Unter ihnen sind auch hoch ausgebildete Fachkräfte – auch sie müssen oft für weniger als einen Euro in der Stunde Arbeiten erledigen. Einige Organisationen für die Rechte von Geflüchteten betrachten die Arbeitspflicht für Asylbewerber*innen zudem als Blaupause für Arbeitspflichten für Bürgergeldempfänger*innen. Öztürkyilmaz vom Flüchtlingsrat sieht außerdem die Gefahr, dass Geflüchtete auch als billige Arbeitskräfte beispielsweise in die private Landwirtschaft gezwungen werden könnten.

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