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»Gerecht ist keine Kategorie« sagt der Literaturagent
Kommt man ohne Lesen in den Himmel? Teil 1: Der Literaturagent. Ein Gespräch mit Michael Gaeb
Sind Sie ein Leseultra? »
Klar. In der Agentur lesen wir, bis uns schwarz vor Augen wird. Sonst kann man den Job nicht machen.
Wollten Sie schon mit zwölf Literaturagent werden, oder wie kam das Ei zum Hahn?
Wie alles Wichtige im Leben war’s Zufall. Aber ja, ich wusste ziemlich früh, dass es was mit Büchern wird.
Wie sieht ein typischer Arbeitstag im Leben eines Agenten aus?
Lesen, telefonieren, lesen, telefonieren …
Was empfehlen Sie dem Schriftsteller, der über Nacht zum Bestsellerautor wurde?
Wer nicht liest, der hat schon? Haben Bücher eine Zukunft? Kann man ohne Lesen in den Himmel kommen? Eine neue Serie im nd-Feuilleton zum Stand der Buchkultur, einmal im Monat.
Call your Agent.
Ist der Buchmarkt gerecht?
Das ist keine Kategorie für Bücher.
Roberto Bolaño oder Boris Becker?
Das ist hart. Ich habe gelitten, als Bobele gegen Edberg in Wimbledon verloren hat. Und Bolaño hat mit »Die wilden Detektive« auf jeden Fall den zweitbesten Mexiko-Roman aller Zeiten geschrieben, der mein persönliches Nationalepos geworden ist. Puh …, wohl eher Bolaño.
Wer war Ihr erster Autor/Ihre erste Autorin, und wie ist die Sache zwischen Ihnen ausgegangen?
Titus Müller. Gerade ist sein neuer Roman »Die Dolmetscherin« erschienen – ich glaube, das ist unser 27. Buch.
Wie trösten Sie Ihre Autorinnen und Autoren im Misserfolgsfall?
Mit einem neuen Vertrag.
Michael Gaeb gründete 2003 in Berlin seine Literarische Agentur Gaeb & Eggers. Sie ist heute eine der wichtigsten der Branche. In Gaebs Gemischtwarenladen bekommt jeder Verlag ein Stück Kuchen serviert. Von Hochliteratur bis zum Unterhaltungsroman, vom populären bis zum anspruchsvollen Sachbuch.
Welches Buch hat Ihr Leben verändert?
Dantes »Divina Comedia«.
Gibt es die ideale Autorin? Wie sollte ein junger Schreibender heute aufgestellt sein?
Ideale Autoren gibt es nicht. Ideale Agenten wohl auch nicht. Das Einzige, was man jungen Autoren von Herzen raten kann, ist, viel zu lesen.
2022 haben 25,8 Millionen Menschen in Deutschland mindestens ein Buch gekauft, das sind rund 11 Millionen weniger als vor zehn Jahren. Ist das Buch überhaupt noch relevant und kann sich in der schwierigen Gesamtwirtschaftslage behaupten?
Die allgemeinen Statistiken sind zu ungenau, um aussagekräftig zu sein. Entscheidend für den Markt waren und sind die, die viel lesen – nicht die, die ein Buch im Monat lesen. Und diese Zahl ist nicht gesunken. Fakt ist, der Umsatz der Buchbranche, der höher ist als bei Film- und Musikbranche zusammen, steigt seit 15 Jahren. Allein seit 2020 um knapp 500 Millionen Euro. Die Buchbranche ist die einzige Unterhaltungsbranche, die ein Bezahlmodell für ihre digitalen Inhalte weltweit etabliert hat, das E-Book.
Warum ist bei Mädchen das Lesen von Büchern beliebter als bei Jungen?
Frauen sind halt klüger als Männer. Kann man nix machen.
Wer kauft 2025 Bücher?
In Deutschland vor allem junge Menschen zwischen 18 und 25.
Tatort Buchmesse: Frankfurt oder Leipzig?
Frankfurt ist und bleibt die schönste Messe des Universums.
Wo liegen die Märkte der Zukunft?
In den Gehirnen der Menschen.
Wie kommt ein halbwegs erfolgreicher Schreibender an seine Brötchen?
Durch Schreiben.
Was verbirgt sich hinter dem Erfolgskonzept New Adult Romance?
Gefühle und Community. Das war übrigens auch früher schon so. Man denke an das Aufkommen des Briefromans mit Samuel Richardson Mitte des 18. Jahrhunderts. Der hat eine Welle von Fanfiction nach sich gezogen, die es mit heutigen Zahlen locker aufnehmen kann.
Welche Rolle spielen Booktoker und Bookfluencer – und was kann man von ihnen lernen?
Für bestimmte Community-driven Genres eine sehr große. Und von ihnen lernen? Enthusiasmus für Geschichten. Absolute Hingabe an Bücher.
Was bringt der Bachmann-Wettbewerb, wem nützen Stipendien?
Bachmann: Aufmerksamkeit und soziales Kapital. Stipendien sind für viele Autoren eine gute Sache, um mal in Ruhe schreiben zu können.
Ersetzt die Künstliche Intelligenz bald den störrischen, neurosengetriebenen Autor?
Natürlich nicht. KI kann ja auch keine Neurosen kriegen.
Brauchen wir mehr Buchhandlungen oder mehr E-Reader?
Beides.
Kann man, ohne Bücher zu lesen, in den Himmel kommen?
Sagen wir mal so: Ohne Bücher kann man sicher in den Himmel kommen, aber mit Büchern ziemlich wahrscheinlich in die Hölle. Die ja, das wissen wir seit Mark Twain, auf jeden Fall der interessantere Ort ist.
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