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Manon Aubry: »Einen Verrückten an der Staatsspitze«
Die Europaabgeordnete Manon Aubry (La France insoumise) zur Regierungskrise in Frankreich
Frau Aubry, was erwartet La France Insoumise (LFI) vom Präsidenten Emmanuel Macron in dieser Situation?
Dass er geht, dass er sich zurückzieht, und dass wir Schluss machen mit Macrons Politik der Steuergeschenke an die Reichen, der sozialen Armut, der Kapitulation in Sachen Klimapolitik und der Kriegsrhetorik. Das ist die Bilanz von Emmanuel Macron. Acht Jahre waren schon zu lang. Wir können nicht noch zwei Jahre länger aushalten. Zusätzlich zu seiner katastrophalen Politik stürzt er das Land in ein institutionelles und politisches Chaos, indem er sich darauf versteift, seine Politik gegen das Parlament durchzusetzen, wo es keine Mehrheit mehr gibt. Es gibt keinen anderen Ausweg, er muss gehen. Es muss neue Präsidentschaftswahlen und dann neue Parlamentswahlen geben.
Macron müsste doch verstehen, dass die Linke die Wahlen gewonnen hat, rechte Politiker eigentlich keine Chance auf eine Regierungsmehrheit haben. Warum hält er trotzdem daran fest, Konservativen eine weitere Chance zu geben? Ist das politische Dummheit?
Weil er stur an seiner Politik festhält, egal, was passiert, und egal, was es kostet, und weil er seine Niederlage niemals akzeptieren wird. Es ist kaum zu fassen, dass ein Präsident an der Spitze eines so mächtigen Landes wie Frankreich, der siebtgrößten Wirtschaftsmacht der Welt ... Entschuldigung, aber ich muss es so sagen: Wir haben einen verrückten Menschen an der Spitze des Staates. Einen Verrückten, der an seiner Politik gegen die Nationalversammlung, gegen die Gewerkschaften, gegen das französische Volk festhält und der offensichtlich nicht bereit ist, die Macht aufzugeben, obwohl er die Wahlen, die er selbst einberufen hat, verloren hat.
Aber er weiß bereits, dass die Sozialisten und die Republikaner nicht in die Regierung eintreten wollen. Also gibt es keine Mehrheit.
Er beharrt stur darauf, die Verantwortung auf die Sozialisten und Republikaner abzuwälzen, die, muss man sagen, durch ihr Zögern und ihre Unsicherheit zu diesem politischen Chaos beigetragen haben, das wir heute in Frankreich haben.
Wie wird es Ihrer Meinung nach weitergehen?
Ich habe keine Zweifel, dass die Regierung Lecornu 2 nicht viel länger halten wird als die erste Regierung Lecornu, dass die Regierung fallen wird und am Ende Emmanuel Macron keine andere Wahl haben wird, als neue Wahlen einzuberufen. Und angesichts der institutionellen Machtverteilung in Frankreich wäre es das Beste, eine neue Präsidentschaftswahl abzuhalten, sonst werden wir wieder das gleiche Problem haben, nämlich dass sich Emmanuel Macron das Ergebnis seiner eigenen Wahlen nicht klarmacht.
Bergen Neuwahlen nicht das Risiko, dass Marine Le Pen vom rechtsextremen Rassemblement National gewinnen und Präsidentin von Frankreich werden könnte?
Es gibt immer ein Risiko, aber wissen Sie, wir gewinnen nur die Kämpfe, die wir führen. Und diesen Kampf werden wir führen. Man hatte uns vergangenes Jahr bereits gesagt, dass bei den Parlamentswahlen der Rassemblement National gewinnen würde. Sie lagen übrigens in allen Umfragen zwischen den beiden Wahlgängen an der Spitze: 27 von 27 Umfragen haben den Rassemblement National als Sieger vorausgesagt. Gewonnen hat aber die Linke, und wenn sich die Linke mobilisiert, wenn sie nicht vergisst, woher sie kommt, wenn sie die Jugend mobilisiert, wenn sie die Arbeiterklasse mobilisiert, wenn sie diejenigen mobilisiert, für die sie kämpft, dann kann die Linke gewinnen. Ich habe dieses Ziel nicht aufgegeben. Ich mache Politik, damit die Linke gewinnt.
Wie sind Ihre Beziehungen zu den Sozialisten?
Distanziert, und das bedauere ich, weil ich feststellen muss, dass sie durch ihr Zögern die Neue Volksfront gefährdet haben, die eigentlich ein Werkzeug für die Volksvereinigung gegen die extreme Rechte ist und deren Hauptziel sehr klar war: der Bruch mit dem Macronismus. Man muss feststellen, dass die Sozialistische Partei, nachdem sie gezögert und sich sechs Mal geweigert hatte, der vorigen Regierung von François Bayrou das Misstrauen auszusprechen, zu ihrem alten Verhalten zurückkehrte, den Macronismus zu legitimieren und zu begleiten. Ich hoffe, dass sie aus ihren Fehlern gelernt haben und dass sie diese Woche der Regierung Lecornu das Misstrauen aussprechen, damit wir, egal wie, eine möglichst vereinte Linke auf klaren politischen Grundlagen haben, nämlich dem Programm der Neuen Volksfront.
Wenn am morgigen Donnerstag der Misstrauensantrag von La France insoumise angenomen wird, fällt die Regierung erneut. Erwarten Sie, dass Emmanuel Macron wieder jemanden aus der Rechten mit der Regierungsbildung beauftragt?
Alles ist möglich, so isoliert er heute in seinem goldenen Palast ist und taub für den Zorn des französischen Volkes. Alles ist möglich. Aber was uns betrifft, wir werden weiterhin seinen Rücktritt fordern und wir werden weiterhin das Programm verteidigen, für das wir gewählt wurden. Und auf uns kann man nicht zählen, um das Überleben des Macronismus zu sichern.
Würden Sie sagen, dass die Linke in Frankreich in einem gesunden Zustand ist, weil sie gemeinsam eine Mehrheit bilden kann, wie man bei den Parlamentswahlen gesehen hat? Im Kontrast zu anderen Ländern wie Deutschland und Italien.
Auf jeden Fall überlebt sie, und wir haben gezeigt, dass es nur mit einem Programm des Bruchs möglich ist, der Linken einen klaren Kurs zu geben.
Welche politische Bedeutung haben die Massendemonstrationen für Palästina der vergangenen Wochen in Frankreich, Italien, Deutschland? Vor allem junge Menschen haben die Straßen und Plätze europäischer Städte gefüllt. Entsteht hier eine neue europäische, ja globale linke Bewegung?
Es zeigt etwas über die Völker Frankreichs, Italiens, Deutschlands, die viel mehr auf der Höhe der Zeit sind als ihre Regierungen, weil sie die Augen nicht vor dem laufenden Genozid im Gazastreifen verschließen, weil sie klare Sanktionen gegen die genozidäre Regierung von Benjamin Netanjahu fordern. Und es gibt in der Tat eine ganze Jugendgeneration, die sich politisiert durch den Kampf gegen den Genozid an den Palästinensern. Ich denke, dass diese Generation die Schlüssel zu unserer gemeinsamen Zukunft in Händen hält. Von ihrem auch politischen Engagement hängt ab, ob wir in der Lage sein werden, die derzeitigen Mächte zu stürzen. Das gilt für Italien, das gilt für Deutschland, das gilt für Frankreich.
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