- Berlin
- Amtsgericht
Strausberg: Antifaschismus auf Messers Schneide
Zur AfD-Fraktion gehörender Strausberger Stadtverordneter Nicolai Schirocki zu Geldstrafe verurteilt
Strausberg solle eine Stadt sein, in der man streiten dürfe, aber nicht mit Waffen, fordert Bürgermeisterkandidat Knut Steinkopf (Linke). Die Bürgermeisterwahl ist am 15. Februar 2026. Am Mittwochmorgen ist erst einmal eine kleine Kundgebung der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN-BdA) vor dem Amtsgericht. Steinkopf und andere sprechen zusammen 15 Minuten lang vor knapp 30 Leuten. Dabei wird auch ein Verbot der AfD gefordert und Samuel Signer von der VVN-BdA nennt es unglaublich, dass Menschen beim Gedenken an Opfer des Faschismus angepöbelt und mit einem Messer bedroht werden.
Über ein mögliches Verbot der AfD hätte das Amtsgericht nicht zu befinden. Doch es verhandelt ab zehn Uhr, was sich am 27. Januar 2025 zum 80. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz in Strausberg zugetragen hat. Zu einer Veranstaltung zum Holocaust-Gedenktag erschienen auch vier von acht Stadtverordneten der AfD und bekamen dort mehrfach gesagt, dass sie lieber verschwinden, sich verpissen sollen.
Daran erinnern sich der Stadtverordnete Horst Baldszus (AfD) und seine Frau, die am Mittwoch als Zeugen aussagen, aber auch der VVN-BdA-Kreisvorsitzende Nils Weigt, der damals eine Rede hielt und der AfD sagte, dass sie hier nicht willkommen sei, auch wenn sie von Bürgermeisterin Elke Stadeler (parteilos) eingeladen wurde.
Angeklagt ist der Stadtverordnete Nicolai Schirocki, der nach dem Vorfall aus der AfD austrat, der AfD-Stadtfraktion aber dennoch weiter angehört. Der AfD-Kreisvorsitzende Falk Janke hatte Schirocki damals umgehend nahegelegt, die Partei zu verlassen. In Saal 5 des Amtsgerichts sagt der Angeklagte am Mittwoch nichts zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen. Er sagt aber, er habe die AfD aus eigenem Antrieb verlassen. Es geht offensichtlich darum, einen Imageschaden für die Partei abzuwenden.
Schirocki soll am 27. Januar einen 30-jährigen Antifaschisten derart geschubst haben, dass dieser ein bis zwei Schritte zurücktaumelte und noch bis zum Abend Schmerzen in der Brust verspürte. Dabei ist dieser 30-Jährige von kräftiger Statur und satte 80 Kilogramm schwer. Schirocki soll ihm gesagt haben: »Na los, schlag mich doch, du Weichei!« Schließlich soll der Kommunalpolitiker ein Messer mit ungefähr acht bis zwölf Zentimeter langer Klinge gezogen haben. Zugestochen hat er definitiv nicht. Denn der 30-jährige angehende Sozialarbeiter und auch andere ergriffen sofort die Flucht und retteten sich in eine nahe Seniorenresidenz.
Zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen von 30 Euro wird Schirocki verurteilt. Er ist nicht vorbestraft und mit dieser geringen Strafe bleibt er es auch. Der Staatsanwalt hatte 90 Tagessätze gefordert, der Verteidiger einen Freispruch, da sich nicht beweisen lasse, ob Schirocki wirklich ein Messer dabei hatte, was allein schon als Delikt gewertet wird, weil so etwas bei einer Versammlung nicht zulässig ist. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Es kann Berufung eingelegt werden.
»Wir sind nicht auf diese Leute zugegangen, sondern die sind zu uns gekommen. Die haben uns bedroht«, schildert der AfD-Stadtverordnete Horst Baldszus zuvor als Zeuge, was am 27. Januar geschehen sei, als das Gedenken beendet war und die Stühle schon zusammengestellt wurden. Dabei hatte Baldszus während der Rede des VVN-BdA-Kreischefs Nils Weigt nicht mehr still zuhören können, als mit Blick auf die AfD gesagt worden sei: »Dort stehen die Erbauer der nächsten KZ!« Baldszus mischte sich da mit lauter Stimme ein. Nach Weigts Erinnerung rastete Baldszus ungefähr bei dem Satz aus: »Aus den Reihen der AfD werden notorisch geschichtsrevisionistische und holocaustverharmlosende Positionen verbreitet.«
Aber das Messer von Schirocki wollen bei der späteren Auseinandersetzung weder Baldszus noch seine 79-jährige Frau gesehen haben. Horst Baldszus vernahm nur den Ruf: »Der hat ein Messer!« Nicolai Schirockis Mutter könnte als Angehörige die Aussage verweigern, tut es aber nicht. Ihr zufolge ist nicht ihr Sohn dem 30-Jährigen so nah gerückt, dass dieser Speicheltropfen abbekam und den Atem des Stadtverordneten spürte. Im Gegenteil seien andere ihrem Sohn nahe gekommen. Sie sollen den 35-jährigen Sohn am Kragen gepackt haben. Ein Klappmesser will die Mutter bei ihrem Sohn, der bei ihr wohnt, nicht gesehen haben. Er habe gar keins, beteuert die 64-Jährige. Alarmierte Polizisten, die Nicolai Schirocki ein ganzes Stück entfernt aufgriffen und durchsuchten, fanden auch keins bei ihm. Die Mutter des Angeklagten widerspricht auch der Darstellung, sie habe das Messer sehr wohl gesehen und ihren Sohn deshalb angefahren: »Bist du bescheuert? Pack das weg!«
Ob der Angeklagte das Messer weggeworfen hatte, bevor die Polizei zur Stelle war, lässt sich nicht beweisen. Der Richter glaubt aber den Zeugen, die das Messer gesehen haben. Schirocki selbst lässt sich zur Sache nicht ein. Bei einem Geständnis hätte sich der Staatsanwalt darauf eingelassen, den Vorwurf der Körperverletzung fallen zu lassen. Das wäre gegebenenfalls auf eine mildere Strafe hinausgelaufen. Aber dazu ließ sich der Rechtsanwalt des Angeklagten nicht bewegen. Er wollte nur eine Einstellung des Verfahrens akzeptieren.
Nachdem dies um 13 Uhr klargestellt ist, setzt der Richter die Vernehmung der Zeugen fort. Gleich der nächste Zeuge gibt an, Schirocki habe erst geschubst und dann ein Messer gezogen. Auch weitere Zeugen schildern das dann übereinstimmend genau so.
Bei der Kundgebung morgens hatte Samuel Signer von der VVN-BdA erklärt: »Wir werden der Normalisierung der AfD überall entgegentreten und zeigen, was sie ist: eine faschistische Partei.« Als AfD-Kommunalpolitiker Baldszus als Zeuge vernommen ist, zischt ein Zuschauer. »So ein Faschist.« Baldszus hört das, zögert kurz und antwortet nicht.
Andere Zeitungen gehören Millionären. Wir gehören Menschen wie Ihnen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser*innen und Autor*innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.
Dank der Unterstützung unserer Community können wir:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ Themen ins Licht rücken, die sonst im Schatten bleiben
→ Stimmen Raum geben, die oft zum Schweigen gebracht werden
→ Desinformation mit Fakten begegnen
→ linke Perspektiven stärken und vertiefen
Mit »Freiwillig zahlen« tragen Sie solidarisch zur Finanzierung unserer Zeitung bei. Damit nd.bleibt.