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Freie Universität Berlin: Forschung in Zeiten des Krieges
Die Verdi-Betriebsgruppe der Freien Universität fordert eine stärkere antimilitaristische Praxis am Campus
Im Zuge der militärpolitischen sogenannten Zeitenwende entstehen in der Rüstungsindustrie neue Arbeitsplätze und neue Fabriken. Zivile Industrie wird für die Waffenproduktion umgerüstet. Auch in Berlin. Das gefällt nicht allen. So wendet sich die Initiative »Kein Rheinmetall im Wedding« dagegen, dass in einem ehemaligen Werk für Autoteile ab nächstem Jahr Rüstungsprodukte hergestellt werden sollen.
Doch die Herstellungskette beginnt nicht erst bei der Fertigung. Weniger bekannt ist, dass auch an den Hochschulen die militärpolitische Wende nicht vorbeigeht. An der Freien Universität (FU) setzt sich die Betriebsgruppe der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi mit dem Thema auseinander. Kürzlich im Rahmen der kritischen Orientierungswochen.
Die politische Zeitenwende drücke sich vor allem darin aus, referierte ein wissenschaftlicher Mitarbeiter aus dem Gewerkschaftsumfeld, dass die Zivilklauseln an vielen Hochschulen massiv unter Druck geraten. Zivilklauseln sind Selbstverpflichtungen der Universitäten, nur für friedliche Zwecke zu forschen. Der Referent wies darauf hin, dass viele Zivilklauseln an den Hochschulen in den 80er und 90er Jahren von studentischen Initiativen erkämpft wurden. »›Nie wieder Faschismus – Nie wieder Krieg‹, dieser Grundsatz war bei linken, aber auch bei vielen sozialdemokratischen und grünennahen Initiativen noch vor 20 Jahren als Lehre aus dem von Deutschland ausgegangenen Vernichtungskrieg weitgehend Konsens«, sagte der Mitarbeiter auf der Veranstaltung. »Vor allem aber sollte gerade Deutschland nicht wieder zur Militärmacht werden.«
Solche Grundsätze wurden längst über Bord geworfen, so der Referent. In Bayern seien die Hochschulen bereits per Gesetz dazu verpflichtet worden, mit dem Militär zu kooperieren. Klagen dagegen seien noch anhängig.
An der FU konnte eine Zivilklausel trotz mehrfacher Anläufe der Studierendenschaft nie durchgesetzt werden. Darauf verweist die Universität auf Anfrage von »nd«. »Vor dem Hintergrund der Gründungsgeschichte der Universität und ihres Selbstverständnisses gibt es ein breites gemeinsames Grundverständnis der Universitätsmitglieder, sich für eine friedliche Nutzung von Forschungsergebnissen einzusetzen«, betont die FU.
So habe sich auf Initiative von Forschenden eine »AG Dual Use« gebildet, welche sich den Herausforderungen in der öffentlichen Ringvorlesung »Dual Use« im Wintersemester 2021/2022 gestellt habe. Im Herbst 2023 habe sich die AG im Rahmen der selbst konzipierten Ausstellung »Dual Use – Ambivalente Wissenschaften« öffentlichkeitswirksam mit der Problematik auseinandergesetzt. Unter dem Label Dual Use firmieren Forschungen, die für zivile und militärische Zwecke genutzt werden können. Dabei ist es oft schwer nachzuvollziehen, welche Forschung in militärische Nutzung einfließt. Und umgekehrt ist kaum vorher abzusehen, ob und wie Forschungsarbeiten künftig für Militärzwecke verwendet werden.
»Schon jetzt sehen wir, dass weniger Mittel in sozial- und geisteswissenschaftliche Projekte und Fächer fließen, die für die technologische Hochrüstung keinen Nutzen haben.«
Verdi-Betriebsgruppe an der FU Berlin
Dass die Problematik auf dem Campus präsent sein könnte, deutet die Kommission für Ethik sicherheitsrelevanter Forschung (KEF) an. Sie wurde der FU zufolge 2021 eingerichtet. Die interdisziplinäre Kommission setzt sich aus Professor*innen und Doktor*innen der Charité der Humboldt Universität (HU) und der FU zusammen. Laut Selbstbeschreibung berät und beurteilt die KEF »in sicherheitsrelevanten Fragen, wenn erhebliche sicherheitsrelevante Risiken für Menschenwürde, Leben, Gesundheit, Freiheit, Eigentum, Umwelt oder ein friedliches Zusammenleben mit einem Forschungsvorhaben verbunden sind«. Wie oft die KEF eingeschaltet wurde und getagt hat, sei nicht bekannt. In einer auf der Veranstaltung beschlossenen Resolution forderte die Verdi-Betriebsgruppe, die Kommission aufzuwerten und paritätisch mit Hochschulmitarbeiter*innen und Student*innen zu besetzen.
Die Gewerkschafter*innen identifizieren in ihrer Resolution einen Zusammenhang zwischen Rüstungsforschung und einer Sparpolitik im Bildungsbereich. »Schon jetzt sehen wir, dass weniger Mittel in sozial- und geisteswissenschaftliche Projekte und Fächer fließen, die für die technologische Hochrüstung keinen Nutzen haben«, monierten die Verdi-Mitglieder.
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Die Kritik bezieht sich allerdings auf die Situation an den Hochschulen insgesamt. Verdi und der Deutsche Gewerkschaftsbund werden dazu aufgerufen, Kongresse gegen Aufrüstung und Militarisierung zu organisieren und sich stärker in der Frage zu positionieren. Auf »nd«-Anfrage verwies die für die Berliner Hochschulmitarbeiter*innen zuständige Verdi-Sekretärin Jana Seppelt auf einen Beschluss vom jüngsten Verdi-Bundeskongress. In Bezug auf die Rüstungsforschung heißt es da in einem Halbsatz: »Weder dürfen öffentliche Hochschulen und Forschungseinrichtungen auf die eine oder andere Weise, etwa durch strukturelle Unterfinanzierung, dazu gedrängt werden, entsprechende Forschung durchzuführen (und Zivilklauseln faktisch auszuhebeln), noch dürfen autonome Waffensysteme entwickelt oder durch die Bundeswehr eingesetzt werden.«
Die Verdi-Aktiven an der FU wollen auch in Zukunft die Diskussion über die Auswirkungen der »Zeitenwende« an den Hochschulen verfolgen und sowohl Mitarbeiter*innen als auch Student*innen für die Thematik sensibilisieren. Das scheint auch dringend notwendig. Schließlich beteiligten sich an dem Workshop im Rahmen der kritischen Orientierungswochen nur etwa 15 Studierende und wissenschaftliche Mitarbeiter*innen. Zudem sind die antimilitaristischen Gruppen am Campus offenbar noch wenig koordiniert. Fast zeitgleich bot eine studentische Initiative gegen Militarisierung am FU-Campus eine eigene Veranstaltung an.
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