- Kultur
- Ex-Jugoslawien
Keine Diamanten: Singen für Halid Bešlić
Der Tod des bosnischen Sängers Halid Bešlić löst weltweite Singebewegung aus
Als der bosnische Komiker Enis Bešlagić einen Aufruf startete, sich in allen Städten am Sonntag um 17 Uhr zu versammeln, um gemeinsam Lieder des am 7. Oktober 2025 verstorbenen Sängers Halid Bešlić zu singen, hatte er bestimmt keinerlei Vorstellung, was er damit auslösen würde.
Nicht nur in Bosnien, nein, in fast allen Ländern des ehemaligen Jugoslawiens, in zahlreichen Städten Europas, ja sogar in den USA, Kanada und Australien kamen spontan Hunderte und Tausende Menschen auf öffentlichen Plätzen zusammen. Es waren nicht nur Bosnier, sondern auch Kroaten und Serben. Über Lautsprecher wurden die Lieder von Bešlić gespielt, und die Menge sang lautstark mit. Es war das erste Mal nach den schrecklichen Kriegen im einstigen Jugoslawien, dass Muslime, Orthodoxe, Katholiken und die oft unterschlagenen Atheisten gemeinsam auf einem Platz standen, sangen und so alles Trennende überwanden. Insgesamt 250 000 Menschen kamen in 200 Städten weltweit zusammen.
Der Anlass war eigentlich trivial. Halid Bešlić, geboren 1953, war ein Sänger, der seine Karriere in der Jugoslawischen Volksarmee startete. Nach seiner Militärzeit sang Bešlić dann in den Bars und Restaurants von Sarajewo. 1979 erschien seine erste Single »Sanjam Majku« (Ich träume von Mutter), die ein Erfolg wurde. Insgesamt veröffentlichte er 20 Alben. Sein 1983 erschienenes Album »Neću neću dijamante« (Ich will keine Diamanten) erhielt Platin. Jährlich veröffentlichte er bis 1990 neue Alben, die ebenfalls meist Platinstatus erreichten.
Mit unserem wöchentlichen Newsletter nd.DieWoche schauen Sie auf die wichtigsten Themen der Woche und lesen die Highlights unserer Samstagsausgabe bereits am Freitag. Hier das kostenlose Abo holen.
Musikalisch gehörten seine Lieder zum sogenannten Turbo-Folk, einer Mischung von Popmusik mit Elementen traditioneller Balkan-Musik. Seine Texte erinnern an deutsche Schlager, die von Liebe und Sehnsucht, von der Schönheit Sarajevos und Ähnlichem handeln. Seine Stimme war außergewöhnlich, aber ein Pavarotti war er nicht. Damit war Bešlić kein ungewöhnlicher Künstler, keiner, von dem man bis zu seinem Tod jenseits des Balkans groß Notiz genommen hätte. Aber er war ein besonderer Mensch!
»Ich will keine Diamanten, weder trockenes Gold noch Diamanten, keine Saphire noch Rubine«, heißt es in seinem ersten Hit. Und das waren keine leeren Worte. Während des Bosnien-Krieges veranstaltete Bešlić in ganz Europa zahlreiche Benefizkonzerte. Auch danach spendete er regelmäßig seine Gage für Waisenkinder und andere soziale Projekte in Sarajevo.
Eine Anekdote verdeutlicht, was er für ein Mensch war: Bešlić betrieb eine kleine Tankstelle außerhalb Sarajevos. Sein Mitarbeiter war eines Tages verschwunden, und es stellte sich heraus, dass er Geld unterschlagen hatte. Einige Tage später kam Bešlićs Frau aufgeregt ins Haus gelaufen und sagte ihrem Mann, dass dieser Mitarbeiter ja wieder in der Tankstelle arbeiten würde. Bešlić antwortete ihr ruhig, dass er ihn erwischt und zur Rede gestellt hatte. Dieser habe alles gestanden und erklärt, dass er in einer Notlage gewesen sei, aus der er keinen anderen Ausweg sah, als das Geld zu stehlen. Bešlić habe mit ihm geschimpft und ihn gefragt, warum er ihm das nicht einfach gesagt habe. Er hätte ihm doch geholfen. Daraufhin habe er den Mann wieder eingestellt und seinen Lohn sogar noch erhöht.
Es ist dieser Mensch, den Bosnier, Kroaten und Serben gleichermaßen liebten und der jetzt, postum, die Nationen vereint. Dies ist ein hoffnungsvolles Zeichen in einer Welt, die sich gerade wieder in Nationalismus und Egoismus zu verlieren scheint. Sicher, das ist nur ein kleines Zeichen. Aber vielleicht entwickelt sich daraus mehr. Denn womöglich bringt das gemeinsame Singen die Menschen wieder zueinander und schafft das, was kein Dayton-Vertrag und kein Nobelpreisträger bisher vermocht haben: die Überwindung der Grenzen zwischen Nationen, Ethnien und Religionen.
Wir sind käuflich. Aber nur für unsere Leser*innen.
Die »nd.Genossenschaft« gehört ihren Leser*innen und Autor*innen. Sie sind es, die durch ihren Beitrag unseren Journalismus für alle zugänglich machen: Hinter uns steht kein Medienkonzern, kein großer Anzeigenkunde und auch kein Milliardär.
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ unabhängig und kritisch berichten
→ übersehene Themen aufgreifen
→ marginalisierten Stimmen Raum geben
→ Falschinformationen etwas entgegensetzen
→ linke Debatten voranbringen
Mit »Freiwillig zahlen« machen Sie mit. Sie tragen dazu bei, dass diese Zeitung eine Zukunft hat. Damit nd.bleibt.